Historisches in Zahlen
Am 7. Juni 2017 unterzeichneten 67 Staaten, darunter auch die durch die Referenten Dr. Pia Dorfmueller (Deutschland), Dr. Christian Wimpissinger (Binder Grösswang, Wien / Österreich) Prof. Dr. Pascal Hinny (Lenz Staehelin, Zürich / Schweiz) vertretenen D-A-CH-Staaten, das sog. Multilaterale Übereinkommen (kurz: MLÜ) bei der OECD in Paris. Dabei ist festzustellen, dass mit Ausnahme von Estland, alle EU-Mitgliedsstaaten das MLÜ mitunterzeichnet haben. Der wohl prominenteste Vertreter der Nicht-Unterzeichner sind die USA. Die Zeremonie, in der jeder beteiligte Staat die gemeinsamen Ziele zur Bekämpfung der Steuerumgehung hervorhob, konnte weltweit im Livestream verfolgt werden und zog seine Kreise auch durch Twitter, Snapchat und Co. Dieser völkerrechtliche Rahmenvertrag wird nach gegenwärtigem Stand in einem Zuge weltweit mehr als 1.100 Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) ändern und an die im Rahmen des Base Erosion and Profit Shifting-Projektes (BEPS) entwickelten Maßnahmen anpassen. Der zu Recht als Epochenwechsel im internationalen Steuerrecht bezeichnete feierliche Akt ist jedoch nicht als Abschluss des Vorhabens zu verstehen. Vielmehr ist absehbar, dass zahlreiche weitere Staaten folgen und ebenfalls das MLÜ noch in diesem Jahr unterzeichnen werden, wodurch sich die Anzahl der sich ändernden DBA auf über 2.000 steigern wird.
Der in englischer und französischer Originalfassung gefasste und ausschließlich in diesen Sprachfassungen bindende Vertrag führt zu einem Wechsel im Verständnis des internationalen Steuerrechts. Eine deutsche Fassung liegt lediglich als informative Version vor. Eine Gegenüberstellung der bindenden englischen und informativen deutschen Sprachfassung haben wir Ihnen auf der Homepage von P+P Pöllath + Partners bereitgestellt („Synopse MLÜ“). Ergänzt wird das MLÜ durch das sog. Explanatory Statement, das ausschließlich in Englisch und Französisch veröffentlicht wurde.
Ziele des MLÜ
Stand bisher die Vermeidung der Doppelbesteuerung von Steuerpflichtigen im Vordergrund, ist es nunmehr die Vermeidung von (doppelter) Nichtbesteuerung und die „missbräuchliche“ Nutzung der gegenwärtigen Regelungsrahmen. Dies zieht auch Änderungen bei den steuerlichen Anknüpfungspunkten (z.B. bei Betriebsstätten) nach sich, da das (einzelstaatliche) Besteuerungsrecht künftig dort ansetzen soll, wo die unternehmerische Tätigkeit eine Wertschöpfung entfaltet.
Inhalt des MLÜ
Konkret adressiert das MLÜ die Ergebnisse der BEPS-Aktionspunkte zu
- hybriden Gestaltungen,
- Verhinderung des Abkommensmissbrauchs,
- Umfang des Betriebsstättenbegriffs und
- Verbesserung der Streitbeilegung im Wege der Verständigungsverfahren.
Das Matching
Zur Umsetzung der Neuregelungen waren die Staaten dazu aufgefordert, zunächst die jeweils zu ändernden DBAs auszuwählen (bislang ausgewählt: 35 (D), 38 (A) bzw. 14 (CH)). Hat auch der andere Staat das entsprechende DBA im Rahmen des MLÜ notifiziert, so liegt ein sog. Match (Match 1) vor. Ergänzend ist dann zu prüfen, ob Auswahlentscheidungen und Vorbehaltserklärungen der jeweiligen Vertragsstaaten kompatibel sind (Match 2). Wenn ja, gilt die konkrete Regelung des MLÜ entsprechend. Allerdings vertreten die D-A-CH Länder einhelllig die Meinung, dass das MLÜ nicht self-executing ist, sondern jeweils ein nationales Umsetzungsverfahren bedingt. Die erzielten Matches könnten in einem Änderungsprotokoll zu einem DBA umgesetzt werden und sodann durch ein Zustimmungsgesetz jeweils in Kraft treten. Insofern ist mit einer Auswirkung des MLÜ in den D-A-CH Staaten nicht vor 2019 zu rechnen.
Beschränkung Abkommensberechtigung: Principal Purpose-Test
Die materiell wohl bedeutendste Änderung aus dem Katalog der Neuerungen ergibt sich aus dem sog. Principal Purpose-Test (PPT). Der als Mindeststandard ausgewiesene Artikel führt zur Versagung der Abkommensvergünstigungen, wenn festgestellt werden kann, dass einer der Hauptzwecke einer Gestaltung oder Transaktion unmittelbar oder mittelbar zur Erlangung eines Steuervorteils geführt hat. Zwar beinhaltet die Regelung auch eine Exkulpationsmöglichkeit, die dann greift, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Gewährung der Vergünstigung mit dem Telos der einschlägigen Bestimmungen in Einklang steht. Vor dem Hintergrund der vagen Tatbestandsmerkmale stellt sich jedoch insgesamt die Frage, wie die Norm zu verstehen sein wird. So ist bspw. unklar, wann die Reduzierung der Steuerlast, die aus betriebswirtschaftlicher Sicht Kosten der Geschäftstätigkeit darstellen, als ein Hauptzweck einzuordnen ist. Zur Versagung des Abkommens kommt es bereits, wenn nur ein Vertragsstaat die Feststellung als gerechtfertigt ansieht, dass eine Transaktion als ein Hauptzweck einen Steuervorteil hat. Eine Einstimmigkeit beider Vertragsstaaten in dieser Feststellung ist nicht erforderlich. Dies bewirkt eine erhebliche Unsicherheit, die in Deutschland und in Österreich grundsätzlich über einen Antrag auf verbindliche Auskunft abgesichert werden könnte. Hervorzuheben ist, dass auch bestehende Strukturen in diese Anti-Missbrauchsklausel hineinfallen; ein sog. Grandfathering ist nicht vorgesehen.
Aus deutscher Sicht sei angemerkt, dass die Anti-Missbrauchsklausel aus der EU Mutter-Tochter-Richtlinie (Art. 1 Abs. 2 aus 2015) nicht in nationales Recht umgesetzt wurde, weil die Auffassung vertreten wurde, dass die vorgeschlagene Formulierung durch § 42 AO umfasst wird. Dem Vernehmen nach wird die Bundesregierung eine entsprechende Notifiktation ebenfalls i.S. EU Anti-Tax-Avoidance Directive (ATAD) vornehmen, die spätestens bis zum 31.12.2018 in nationales Recht umzusetzen wäre. Gilt entsprechende Ausage i.S. § 42 AO auf für das MLÜ, ungeachtet der Tatsache, dass sich Deutschland in Art. 28 des MLÜ die Geltung des § 42 AO ungeachtet des MLÜ vorbehalten hat (sog. Treaty Override)?
Legt man die unterschiedlichen Anti-Missbrauchskauseln aus MLÜ, EU Mutter-Tochter-Richtlinie sowie der ATAD nebeneinander, so stellt sich die Frage, ob dasselbe gemeint ist und nur aufgrund unterschiedlicher Autorenschaften unterschiedlich formuliert wurde, wie bspw. die Formulierung nach dem Steuervorteil als prinicipal vs. main vs. primary purpose.
Unter den Referenten bestand Einigkeit, dass die Auswirkung des PPT aufgrund der Aneinanderreihung von unbestimmten Rechtsbegriffen mit hoher Wahrscheinlichkeit Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen sein werden. Eine unterschiedliche Interpretation in den jeweiligen Ländern wird sich wohl nicht vermeiden lassen. Dies ist nicht nur für international tätige Private Equity-Gesellschaften ein zukünftiges, allerdings sehr greifbares Steuerrisiko.
Mindesthaltedauer für den verminderten Quellensteuerabzug auf Schachteldividenden
Für Deutschland ist anzumerken, dass für die Einführung einer Mindesthaltedauer für Kapitalertragsteuerbefreiungen oder -reduzierungen auf Dividenden aus Schachtelbeteiligungen optiert wurde. Die Mindesthaltedauer beträgt 365 Tage, wobei Änderungen in den Beteiligungsstrukturen durch Umstrukturierungen, wie Fusion oder Spaltung, unberücksichtigt bleiben sollen. Offen ist, ob die Voraussetzungen der Haltefrist am Tag der Dividende vollständig erfüllt sein müssen oder ob man wie bei der Mindesthaltefrist der EU Mutter-Tochter-Richtlinie in die Frist „hineinwachsen“ kann.
Deutschland hat nachfolgende DBA ausgenommen, weil diese bereits eine Mindesthaltefrist enthalten: Italien, Japan, Liechtenstein (und USA); das DBA Neuseeland sieht erst gar kein Schachtelprivileg vor. Österreich und die Schweiz haben diesen optionalen Vorschlag nicht angenommen.
Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Grundstücksgesellschaften
Ferner hat Deutschland als einziges Land im D-A-CH Gebiet die optionale Empfehlung zur Definition einer Grundstücksgesellschaft angekommen. Nach der von Deutschland gewählten Option zur Einführung einer Frist und einer Wertgrenze für die Prägung als Grundstücksgesellschaft, ist es erforderlich, dass zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb eines Zeitraums von 365 Tagen sich der Wert der Anteile zu mehr als 50% in unbeweglichem Vermögen widerspiegelt.
Bei dieser Definition liegt aus deutscher Sicht jeweils ein Match mit Costa Rica, Frankreich, Irland, Israel, Italien, Japan, Kroatien, Malta, Neuseeland, Russland, Slowakei, Slowenien und Spanien vor.
Fazit
Das MLÜ stellt die Einleitung eines Epochenwechsels in kleiner Dosis dar. Viele Auslegungs- und entscheidende Umsetzungsfragen sind offen. Der Principal Purpose-Test stellt wohl international die größte Änderung dar. Allerdings ist dieser mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, die man wohl nur einseitig über verbindliche Auskünfte absichern könnte, wobei zu beachten ist, dass bereits bestehende Transaktionen ebenfalls vom Principal Purpose-Test erfasst werden, da kein Grandfathering existiert. Aus dem mit Unsicherheiten behafteten Principal Purpose-Test kommen nicht nur auf international tätige Private Equity-Gesellschaften zukünftig (ab 2019) sehr greifbare Steuerrisiken zu.