IT-basierte Finanzverwaltung
Nach der Begrüßung durch Herrn Dr. Hartmut Schwab, dem Präsidenten der Steuerberaterkammer München und Moderator der Veranstaltung, wurde die Diskussion mit dem Vortrag zum Thema „Risikoorientierung in Veranlagung und Außenprüfung“ von Herrn Dr. Christoph Habammer, Vizepräsident des bayerischen Landesamtes für Steuern, eröffnet. Er erläuterte, wie die Finanzverwaltung das Besteuerungsverfahren mithilfe der Digitalisierung modernisieren will. Der vollautomatisierte Steuerbescheid, bei dem sowohl Prüfung als auch Erlass ausschließlich computerbasiert erfolgen, sei zwar noch Zukunftsmusik, dennoch habe die Digitalisierung bereits Einzug in das Besteuerungsverfahren gehalten. So werde die Prüfung, ob die vom Steuerpflichtigen im ELSTER-Portal erfassten Daten den vorgehaltenen Informationen entsprechen, bereits gänzlich von einem IT-System vorgenommen. Nur bei festgestellten Abweichungen würden Sachverhalte noch einer Prüfung durch die Finanzbeamten unterzogen. Auch diese Prüfung solle zukünftig mithilfe selbst denkender Systeme erfolgen. Bis es soweit sei, solle das derzeitige Verfahren im Jahr 2019 zunächst auch auf Körperschaften angewendet werden. Auch im Zusammenhang mit der Außenprüfung werde heute bereits ein IT-basiertes Scoring-System eingesetzt, das bestimmte Risikoindikatoren wie Gesellschafterwechsel, fehlende Kooperationsbereitschaft des Steuerpflichtigen oder dessen mangelhafte Zahlungsmoral, identifiziert und die Betroffenen, zumeist kleinere und mittlere Betriebe, zur Außenprüfung vorschlägt.
Einseitige Entlastung der Finanzverwaltung durch die Digitalisierung?
Zu Beginn des darauffolgenden Vortrags stellte der Referent Herr Prof. Dr. Gregor Kirchhof, Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Steuerrecht an der Universität Augsburg fest, dass an der Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens kein Weg mehr vorbeiführe. Dies ändere jedoch nichts daran, dass dagegen verfassungsrechtliche Einwände bestünden. Die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens zähle neben dem von der OECD angestoßenen BEPS-Projekts, der Verschärfung des Steuerstrafrechts und dem steuerrechtlichen Datenschutz zu den derzeit größten Herausforderungen des Steuerrechts. Es sei, so Herr Prof. Kirchhof, ein Fehler, dass die mit der Digitalisierung einhergehende Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens losgelöst von einer Vereinfachung des materiellen Steuerrechts betrieben werde. Das derzeitige deutsche Steuerrecht sei schlicht zu kompliziert für einen automatisierten Vollzug. Zu bemängeln sei zudem, dass die angestrebte Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens lediglich die Finanzämter, nicht jedoch die Steuerpflichtigen entlaste. Anders als hierzulande, werde zum Beispiel das dänische Steuerrecht kontinuierlich auf Entlastungspotentiale zugunsten der Steuerpflichtigen überprüft.
Die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens führe zu einer faktischen Selbstveranlagung der Steuerpflichtigen. Durch die Dateneingabe im ELSTER Portal trügen Steuerpflichtige kontinuierlich zum Aufbau einer umfassenden Datenbank bei, die den Finanzämtern jederzeit zur Verfügung stehe. Erstmalig entstehe so ein Informationsungleichgewicht zulasten der Steuerpflichtigen. Diesem Informationsungleichgewicht könne durch Ausgabe vorausgefüllter Steuererklärungen begegnet werden. So wären Steuerpflichtige über den Wissensstand des Finanzamts informiert und zugleich aufwandsmäßig entlastet. Dieses Vorgehen werde bereits in zahlreichen europäischen Staaten praktiziert. Bei Einverständnis mit der vorausgefüllten Steuererklärung, könnten Steuerpflichtige diese in Schweden beispielsweise per SMS bestätigen, in Dänemark genüge hierzu selbst Schweigen.
Zudem sei sicherzustellen, dass Finanzämter den Zugriff auf die ihnen zur Verfügung gestellten Daten auch zugunsten der Steuerpflichtigen einsetzten und diese beispielsweise über ungenutzte Absetzungsmöglichkeiten informierten. Besonders im Hinblick auf die Verschärfung des Steuerstrafrechts sei es bedenklich, die Veranlagung den Steuerpflichtigen quasi selbst zu überlassen. Für den Laien sei es nämlich oft gar nicht erkennbar, dass er sich strafbar mache. Nicht zuletzt bestünden auch datenschutzrechtliche Bedenken, wenn Finanzämter umfangreiche Datensammlungen anlegten, die sie aufgrund der Vorgaben des BEPS-Projekts im Rahmen des Country by Country Reportings an die Steuerverwaltungen sämtlicher Abkommenstaaten weitergeben. Hier wäre sicherzustellen, dass geeignete Maßnahmen zum Schutz des Steuergeheimnisses ergriffen werden. In Anbetracht der Vielzahl an Abkommenstaaten erscheine dies jedoch als besonders große Herausforderung. Selbst wenn die genannten Belastungen einzeln betrachtet nicht schwerwiegend genug wären, um einen Verstoß gegen die Verfassung zu begründen, führe jedenfalls deren Kumulation zu einer unverhältnismäßigen Belastung der Steuerpflichtigen, die sich auch durch den Auftrag der Finanzierung des Staates nicht rechtfertigen lasse. Als Fazit seines Vortrages stellte Herr Prof. Kirchhof fest, dass eine Vereinfachung des materiellen Steuerrechts zugunsten der Steuerpflichtigen geboten sei.
Schließlich eröffnete Herr Dr. Schwab die Paneldiskussion, an der neben Herrn Dr. Habammer und Herrn Prof Kirchhof auch Herr Lothar Härteis, Leiter der WTS Niederlassung München als Vertreter der steuerpflichtigen Unternehmer teilnahm. Herr Härteis eröffnete die Paneldiskussion mit einem Verweis auf die gewachsenen Haftungsrisiken innerhalb von Unternehmen. Auch das Doppelbesteuerungsrisiko sei infolge der BEPS-Vorgaben gestiegen. Unternehmen wünschten sich daher in erster Linie Rechtssicherheit und Kooperation mit den Finanzämtern. Weiter vertrat Herr Härteis die Ansicht, dass die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens die Unternehmen derzeit eher be- als entlaste, da durch die Einrichtung und Führung der erforderlichen IT-Systeme (z.B. für die Erstellung der e-Bilanz) hohe Kosten entstünden, denen keinerlei Entlastung gegenüberstehe. Insgesamt war man sich einig, dass die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens sowohl die Steuerpflichtigen als auch die Finanzverwaltung vor neue Herausforderungen stellt. Herr Dr. Habammer betonte jedoch, dass die Modernisierung des Verfahrens die Steuerpflichtigen langfristig entlasten werde.
Herr Dr. Schwab bedankte sich abschließend bei den Diskussionsteilnehmern, dem Publikum sowie bei P +P Pöllath + Partners für deren Unterstützung und kündigte das 24. Münchner Unternehmenssteuerforum zum Thema „Holdingstandort Deutschland – ertragsteuerliche und umsatzsteuerliche Probleme“ an, das am 24. Januar 2018 stattfinden wird.