Blickt man in das Jahr 2021 zurück, hat insbesondere auch die Änderung des Außensteuergesetzes durch das sog. ATAD-Umsetzungsgesetz die Beratungspraxis mehr als sonst beschäftigt. Konkret die Regelung zur Vermögenszuwachsbesteuerung (alias Wegzugsbesteuerung) in § 6 AStG führte in vielen Fällen ab dem Jahr 2022 zu drastischen Verschärfungen gegenüber der bislang bereits ausreichend scharfen Norm. Dies führte verstärkt zu Wegzügen aus Deutschland. Allein dies kann man – vor allem in der wirtschaftlichen Situation Deutschlands – als sehr unnötig empfinden, da notabene ein merklicher Anteil der Wegzügler Familien- und auch Jungunternehmer sind, die einen bedeutenden Faktor für die deutsche Wirtschaft darstellen oder künftig darstellen könnten. Ob wir uns dies als Gesellschaft leisten können (und wollen) wäre zu diskutieren.
Worum es bei der „Wegzugssteuer“ nach § 6 AStG geht? Nachfolgend ein „einfaches“ Beispiel
Man stelle sich folgendes vor: Die seit 01.01.11 in Deutschland lebende Jungunternehmerin, Charlotte Burg, gründete vor zwei Jahren die Clever UG in Berlin und die Smart Ltd. in London. Letztere wird von ihrem Freund Hack Ney geführt und qualifiziert aus deutscher steuerlicher Sicht – wie die UG – als Kapitalgesellschaft. Mit beiden Gesellschaften setzt sie ihre Idee, ein rosarotes Einhorn via Virtual Reality erlebbar zu machen, um und ist damit sehr erfolgreich. Schon immer war es aber auch ihr Traum, einmal andere Kulturen und Völker intensiver zu erleben. Und so ergab es sich, dass sie eines Tages das Fernweh packt und sie nach Candyland ziehen möchte; ein Staat, mit dem Deutschland ein Doppelbesteuerungsabkommen („DBA“) hat. Kurzerhand packt sie ihre sieben Sachen (und damit auch den Anteil an der deutschen UG und der britischen Ltd.), gibt Ihren Wohnsitz in Deutschland auf und verzieht am 31.01.2023 nach Candyland. Und nun?
Nach dem durchaus kompliziert ausgestalteten § 6 AStG folgt, dass
- Charlotte (als natürliche Person),
- die innerhalb der letzten zwölf Jahre (vor dem Wegzug oder vor Eintritt eines alternativen Tatbestands) insgesamt mindestens sieben Jahre („7 aus 12-Regel“) unbeschränkt steuerpflichtig gewesen war,
- aufgrund der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht infolge der Aufgabe ihres Wohnsitzes (oder des gewöhnlichen Aufenthalts),
- in Bezug auf ihre jeweiligen Anteile an der UG und an der Ltd. (jeweils unmittelbare oder mittelbare Beteiligung am Kapital der in- oder ausländischen Kapitalgesellschaft zu mindestens 1% zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der letzten fünf Jahre)
- zum Zeitpunkt der der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht
- einen fiktiven Veräußerungsgewinn auslöst, der im Rahmen eines fiktiven Veräußerungsvorgangs in Deutschland der „Wegzugssteuer“ unterliegt.
Was das Bundesfinanzministerium im AEAStG-E zur „Wegzugssteuer“ sagt
Am 20.07.2023 hat das BMF den lang erwarteten Diskussionsentwurf zu den Grundsätzen zur Anwendung des Außensteuergesetzes veröffentlicht und damit erstmals umfassend zu bestimmten Kernbereichen des AStG auf über 250 Seiten (!) Stellung bezogen. Dieser soll den Anwendungserlass vom 14.05.2004 („AEAStG 2004“) ersetzen. Der Entwurf enthält unter anderem Hinweise zur Hinzurechnungsbesteuerung, zur erweitert beschränkten Steuerpflicht und zur Behandlung von Familienstiftungen.
Aber auch die europarechtlich kritisch zu sehende „Wegzugssteuer“ kommt mit 37 Seiten nicht zu kurz und ist garniert mit vielen (Zahlen-)Beispielen! Bemerkenswert erscheint unter (vielem) anderem nachfolgendes:
(1) Zeitlicher Anwendungsbereich: Das BMF macht erfreulicherweise deutlich, dass für Wegzüge, die vor dem 01.01.2022 erfolgten, umfänglich noch § 6 AStG a.F. anzuwenden sei. Für den finalen Wurf des AEAStG-E wünschenswert wäre jedoch noch eine Klarstellung für Fälle wie diesen: Abweichend vom Eingangsbeispiel zog Charlotte bereits schon zum 31.01.2021 weg, wurde damals abkommensrechtlich in Candyland ansässig, behielt aber ihre Wohnung in Deutschland bei („Man weiß ja nie was passiert!“) und gibt diese dann erst im Dezember 2023 auf. Wäre hier ein weiterer Wegzug nach neuem Recht anzunehmen?
(2) Nachrang: § 6 AStG soll nicht zur Anwendung kommen, soweit im Hinblick auf denselben Sachverhalt die Rechtsfolgen eines im EStG, KStG oder UmwStG geregelten Veräußerungstatbestands eintreten. Klingt zunächst klar – aber: § 6 AStG n.F. fingiert – abweichend zu § 6 AStG a.F. – nunmehr einen Veräußerungstatbestand. Soll sich dieser z.B. auch auf umwandlungssteuerliche Sperrfristen auswirken, die wiederum an eine Veräußerung anknüpfen? Oder könnte es sich auch um einen Behaltensfristverstoß i.S.d § 13a Abs. 6 ErbStG handeln?
(3) Persönliche „Voraussetzungen“: Die „Wegzugssteuer“ soll nur bei (nach deutschem Recht) unbeschränkt Steuerpflichtigen greifen, d.h. nicht bei beschränkt Steuerpflichtigen.
(4) Sachliche „Voraussetzungen“: Im Gegensatz zum AEAStG 2004 macht der Entwurf deutlich, dass der Begriff der erfassten Anteile weit verstanden wird. Neben entgeltlich oder unentgeltlich erworbenen Anteilen an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften, können auch solche an optierten Personengesellschaften (§ 1a KStG), Genossenschaften oder jene, die im Rahmen von bestimmten Einbringungen entstanden sind, erfasst sein. Die Wegzugssteuer bei Charlotte greift damit sowohl für die Beteiligung an der UG als auch an der Ltd.
(5) Die „Wegzugssteuer“ auslösende Tatbestände: Nachrangig zur Beendigung der (deutschen) unbeschränkten Steuerpflicht sowie der unentgeltlichen Übertragung von Anteilen auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person, ist der Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts zu berücksichtigen. Letzteres ist in Bezug auf die sog. passive Entstrickung besonders interessant, d.h. einer Besteuerung ohne aktives Zutun des Steuerpflichtigen, z.B. durch Änderung eines DBA. Entgegen z.B. der Auffassung der Rechtsprechung (z.B. FG Köln, Urteil vom 17.06.2021 bzgl. § 6 AStG a.F., leider ohne Aussage zur Tatbestandsmäßigkeit; anhängig beim BFH) oder Teilen der Literatur war zu erwarten, dass das BMF auch diesen Tatbestand als ausreichend ansieht.
Würde – entgegen des Eingangsbeispiels – Deutschland mit Candyland zum Zeitpunkt des Wegzugs von Charlotte kein DBA gehabt haben und sie weggezogen sein, ohne die Wohnung in Deutschland aufzugeben, könnte ein Inkrafttreten eines DBA, das das Besteuerungsrecht bei der Veräußerung von Anteilen Candyland zuordnet, zu einer „Wegzugssteuer“ führen, wenn Charlotte nach dem DBA als in Candyland ansässig gilt.
Gerade die Frage, ab wann ein Steuerpflichtiger nach dem DBA als im anderen Staat als ansässig gilt, ist für diesen teils schwer bis unmöglich zu beantworten. Die Praxis zeigt, dass in- und ausländische Finanzbehörden teils sehr unterschiedliche Sichtweisen vertreten, und nicht selten grüßt auch das profiskalische Verhalten handelnder Personen. Auch die Frage, ob der ausländische Staat die deutsche Sichtweise teilt, ist regelmäßig von Unsicherheiten geprägt. Insoweit besteht hier je nach Sachverhalt große Rechtsunsicherheit.
(6) Hinzurechnungsbesteuerung und Wegzug: Das BMF stellt klar, dass im Falle der „Wegzugssteuer“, d.h. der fingierten Veräußerung, ein sog. Kürzungsbetrag nach dem § 11 AStG nicht eingreifen soll. Dieser soll eine Doppelbesteuerung im Falle aus der Veräußerung einer Beteiligung an einer ausländischen Kapitalgesellschaft vermeiden, wenn diese „schlechte“ (passive) Einkünfte (z.B. Zinsen) erwirtschaftet, die effektiv niedrig besteuert sind (derzeit 25%, nach dem geplanten Wachstumschancengesetz künftig wohl 15%), und jene Einkünfte bereits dem unbeschränkt Steuerpflichtigen zugerechnet (obwohl nicht ausgeschüttet) und bei diesem auch voll besteuert wurden. Damit tritt in Veräußerungsfällen eine faktische, wenngleich unsystematische Doppelbesteuerung ein, wenn die „Wegzugssteuer“ anfällt.
Würde Charlotte aus der Ltd. bereits Hinzurechnungsbeträge zu versteuern gehabt haben, fiele die „Wegzugssteuer“ zusätzlich zur Einkommensteuer auf die Hinzurechnungsbeträge an. Hätte Charlotte hingegen die Anteile vor dem Wegzug veräußert, hätte der Kürzungsbetrag grundsätzlich steuermindernd geltend gemacht werden können.
(7) DBA und Wegzug: Erwähnenswert erscheint, dass die abkommensrechtliche Regelung zur Zuordnung des Besteuerungsrechts auf Erfolge durch die Veräußerung von Anteilen in Wegzugsfällen, die in vielen deutschen DBA (z.B. AT, FIN, FR, LUX, LIE u.s.w.; vgl. Art. 13 Abs. 6 der deutschen Verhandlungsgrundlage DBA) enthalten ist, nur deklaratorisch wirken soll. Diskutiert wird dabei die Frage der abkommensrechtlichen Zulässigkeit einer „Wegzugssteuer“, die an eine zeitliche Frist einer (abkommensrechtlichen) Ansässigkeit von mindestens fünf Jahren vor dem Wegzug geknüpft wird. Für die Regelung, wonach eine fiktive Veräußerung unmittelbar vor dem Zeitpunkt, zu dem der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts eintritt erfolgt, mag dies noch einleuchten. Für die Fälle des tatsächlichen Wegzugs oder der Übertragung ist dies wiederum nicht zwingend, da der Gesetzgeber es ansonsten hätte vergleichbar regeln können.
Würde das DBA mit Candyland eine solche Regelung vorsehen und wäre Charlotte zwar sieben der letzten 12 Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig, nicht aber fünf Jahre vor dem eigentlichen Wegzug abkommensrechtlich in Deutschland ansässig gewesen, ist abkommensrechtlich – zumindest in Bezug auf die UG – eine Schrankenwirkung denkbar.
(8) Rückkehrerregelung: Praktisch sehr bedeutsam ist ebenfalls die Frage, welche Folgen sich aus der Rückkehr (oder einer Verbesserung des Steuerzugriffs Deutschlands) mit Blick auf die „Wegzugssteuer“ ergeben – und welche Nachweispflichten seitens des Steuerpflichtigen (und dessen Berater) dabei zu berücksichtigen sind.
Positiv anzumerken ist, dass sich das BMF sehr differenziert mit der Rückkehr(-absicht) auseinandersetzt und dies auch mit einigen Beispielen erläutert. Die Sichtweise des BFH mit Urteil vom 21.12.2022 (auch wenn auf § 6 AStG a.F. bezogen), wonach eine „nur vorübergehende Abwesenheit“ bereits dann erfüllt sei, wenn der Steuerpflichtige innerhalb des (nach altem Recht) gesetzten Zeitraums von grds. fünf Jahren wieder in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig wird, wurde vom BMF übernommen.
Würde Charlotte innerhalb von sieben Jahren nach ihrem Wegzug aus Deutschland mit Aufgabe des Wohnsitzes schlicht wieder einen Wohnsitz in Deutschland begründen und Deutschland – vereinfacht gesprochen – mindestens wieder auf ein im Zeitpunkt der Beendigung der Steuerpflicht vorhandenes Besteuerungspotenzial zugreifen können, könnte die nach Wegzug festgesetzte, aber gestundete „Wegzugssteuer“ komplett (oder teilweise) entfallen.
Praktisch ebenfalls relevant ist, dass das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile mindestens in dem Umfang wieder begründet werden muss, wie es im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht bestand. Allerdings ist diese Regelung mit deutlichen Unsicherheiten für den Steuerpflichtigen behaftet, da eine Rückkehr nach Deutschland eine „phasengleiche“ Wiederbegründung der abkommensrechtlichen Ansässigkeit in Deutschland voraussetzt. Stellt man sich bspw. eine Familie mit Kindern vor, erfolgt nicht selten eine Rückkehr der Kinder mit einem Elternteil erst zum Abschluss eines Schuljahres, während der andere Elternteil bereits wieder in Deutschland ist. Daher wäre eine Karenzzeit (z.B. bis zum Ende des Steuerjahres) begrüßenswert.
Zu beachten ist auch, dass das Gesetz – und so auch das BMF – bei einem Steuerpflichtigen, der die Wegzugssteuer grundsätzlich auslöste, aber durch rechtzeitige Rückkehr nach Deutschland die Rückkehrerregelung in Anspruch genommen hat, für weitere künftige Wegzüge dauerhaft insoweit von der „Wegzugssteuer“ erfasst sein wird – und zwar unabhängig von der „7 aus 12-Regel“, die dann nicht mehr geprüft zu werden braucht. Dies soll ein Herauswachsen aus der Wegzugssteuer vermeiden.
Kurzerhand wird dann aber gleich „klargestellt“, dass dies auch für Rückkehrerfälle gelte, die noch nach § 6 AStG a.F. weggezogen sind. Mit Blick auf den zeitlichen Anwendungsbereich unter (1) erscheint dies zumindest fragwürdig. Getoppt wird dies dadurch, dass die „7 aus 12-Regel“ im Übrigen nicht nur auf die Anteile nicht anzuwenden ist, deretwegen ursprünglich die „Wegzugssteuer“ ausgelöst wurde. Vielmehr umfasst dies nun sämtliche Anteile, die bspw. bei einem erneuten Wegzug grundsätzlich erfasst wären – Infektion par excellence.
Würde also Charlotte nach ihrer Rückkehr am 01.01.29 nach Deutschland zwischenzeitlich eine neue Beteiligung (z.B. an einer US Limited) eingehen, um bereits zum 30.06.2029 wieder wegzuziehen, wären bei diesem Wegzug alle drei Beteiligungen erfasst, obgleich die 7-aus-12 Regel erst Mitte 2030 wieder eingreifen würde.
(9) Sicherheitsleistung: Während die Rückkehrerregelung sehr intensiv diskutiert wird, wird das Thema Sicherheitsleistung nur mit zwei sehr kurzen Sätzen bedacht, wenngleich auf § 241 AO verwiesen wird. Vor dem Hintergrund des enumerativ ausgestalteten Katalogs des § 241 AO stehen in der Praxis gerade Steuerpflichtige mit relevanten Auslandsbeteiligungen, und ohne weiteres Inlandsvermögen („Beteiligung ist einziges wesentliches Vermögen“), vor faktisch nicht lösbaren Herausforderungen.
(10) Mitteilungspflichten: Das Gesetz normiert anlass- und nicht-anlassbezogene Mitteilungspflichten des Steuerpflichtigen. Hilfreich ist, dass sich das BMF zu den Zeitpunkten äußert, da das Gesetz diese nicht eindeutig regelt. So müssen nicht-anlassbezogene Mitteilungen (z.B. auch bei geplanter Rückkehr) jährlich bis zum 31.07. schriftlich vom Steuerpflichtigen erfolgen, um Auskunft über die aktuelle Anschrift zu geben sowie zu bestätigen, dass die Anteile dem Steuerpflichtigen (oder dessen Rechtsnachfolger) weiterhin zuzurechnen sind. Das BMF stellt klar, dass die nicht-anlassbezogene Mitteilung erstmals in dem Jahr abgegeben werden muss, das auf die Abgabe der Steuererklärung folgt, in der die Vermögenszuwachsbesteuerung zu erklären ist, spätestens jedoch am 31.07.dieses Jahres.
Würde Charlotte nach Aufgabe des deutschen Wohnsitzes die Mitteilung daher nicht fristgerecht jährlich abgeben, würde bei Inanspruchnahme der Rückkehrerregelung die gestundete Steuer vollumfänglich innerhalb eines Monats nach Ablauf der Mitwirkungsfrist fällig werden – ohne das Erfordernis einer Vorwarnung durch das zuständige Finanzamt.
Summa summarum: Der AEAStG-E gibt an einigen Stellen mehr Rechtssicherheit – auch mit Blick auf die „Wegzugssteuer“, verschärft jedoch in Teilen deutlich und lässt Fragen offen. Bei diesem Umfang nicht verwunderlich. Umso wichtiger ist es daher, die Entwicklung hin zu den finalen Grundsätzen zur Anwendung des Außensteuergesetzes zu verfolgen und auf weitere Klarheit und weniger Pro-Fiskalität zu hoffen – die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt!
Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in: DER BETRIEB, Steuerboard, 04. August 2023