Poolvertragliche Bündelung stimmrechtsloser Anteile
Kapitalgesellschaftsanteile zählen nur dann zum erbschaftsteuerlich begünstigungsfähigen Betriebsvermögen, wenn der Erblasser/ Schenker zu mehr als 25% unmittelbar an der Gesellschaft beteiligt ist. Erreicht ein Gesellschafter diese Beteiligungsschwelle nicht, kann sie durch die Einbeziehung der Anteile von Mitgesellschaftern in einen Poolvertrag überschritten werden (vgl. §13b Abs. 1 Nr. 3 S. 2 ErbStG; §13b.6 Abs. 3 ErbStR 2019). Hinsichtlich der Behandlung stimmrechtsloser Anteile verhält sich die Finanzverwaltung dabei widersprüchlich. Einerseits sollen sie bei der Bestimmung der Mindestbeteiligungsquote berücksichtigt werden (§13b.6 Abs. 1 S. 2 ErbStR 2019), andererseits aber nicht in einen Poolvertrag einbezogen werden können (§13b.6 Abs. 5 S. 1 Hs. 2 ErbStR 2019). Ein Gesellschafter, der zu mehr als 25% mit stimmrechtslosen Anteilen beteiligt ist, überschreitet demnach die erforderliche Mindestbeteiligungsquote. Seinem Mitgesellschafter, der 24% der stimmberechtigten Anteile hält, soll es aber nicht möglich sein, diese mit den stimmrechtslosen Anteilen zu poolen.
Dies erscheint nicht sachgerecht. Der Inhaber stimmrechtsloser Anteile hat keinen Einfluss auf die Willensbildung in der Gesellschaft, sodass die für das Vorliegen eines Poolvertrags erforderliche einheitliche Stimmrechtsausübung unabhängig davon gewährleistet ist, dass der einzelne Anteilsinhaber mit seinem Stimmrecht tatsächlich zurücktritt (vgl. §13b.6 Abs. 3 S. 3 Nr. 2, Abs. 5 S. 1 Hs. 1 ErbStR 2019); dies gilt umso mehr, als bereits die Poolung nur eines stimmberechtigten Anteils genügen kann, damit die stimmrechtslosen Anteile desselben Gesellschafters als begünstigungsfähiges Vermögen qualifizieren, obwohl sie nicht in den Pool einbezogen werden (vgl. H E 13b.6 ErbStH 2019).
Unklarheit besteht zudem hinsichtlich der Form des Poolvertrags. Während die Finanzverwaltung Schriftform verlangt (R E 13b.6 Abs. 6 ErbStR 2019), hat der BFH (Az. II R 25/16) bereits gegenteilig entschieden. Die Finanzverwaltung nimmt in H E 13b.6 ErbStH 2019 zwar uneingeschränkt Bezug auf das Urteil, stellt jedoch nicht ausdrücklich klar, wie sie zu mündlichen Poolvereinbarungen steht. Zur Streitvermeidung ist daher die Einhaltung der Schriftform dringend zu empfehlen. Im Rahmen einer Abwehrberatung ist zu erwägen, sich unter Verweis auf den BFH notfalls auch gerichtlich zur Wehr zu setze.
Konzerninterne Einlagen als junge Finanzmittel
Grundsätzlich steht es Steuerpflichtigen frei, Freibeträge – einschließlich des sog. Sockelbetrags für Finanzmittel (§13b Abs. 4 Nr. 5 S. 1, 4 ErbStG) – auszunutzen. Der Gesetzgeber sieht im Ausnutzen dieses Sockelbetrags jedoch dann einen Missbrauch, wenn z.B. Barvermögen noch kurz (zwei Jahre) vor der Unternehmensübertragung in das Unternehmen eingelegt wird; es handelt sich dann stets um steuerschädliches Verwaltungsvermögen (sog. junge Finanzmittel, §13b Abs. 4 Nr. 5 S. 2 ErbStG). Die Vorschrift soll verhindern, dass der Steuerpflichtige an sich voll steuerpflichtiges Barvermögen mit dem Unternehmen quasi huckepack durch Ausnutzen des Sockelbetrags steuerfrei übertragen kann.
Bedauerlicherweise hat die Finanzverwaltung in den ErbStR 2019 diesen Zweck (Missbrauchsvermeidung) aus den Augen verloren. Danach sollen nämlich nicht nur Einlagen des Steuerpflichtigen aus dessen Privatvermögen in das Unternehmen zu jungen Finanzmitteln führen, sondern auch Einlagen innerhalb einer Konzernstruktur (z.B. Einlage einer Mutter- in ihre Tochtergesellschaft), wobei sich die jungen Finanzmittel im Zuge einer Weiterleitung des eingelegten Betrags auf nachgelagerte Konzernebenen (z.B. Tochter- in Enkelgesellschaft usw.) kumulieren sollen, und zwar zunächst auch dann, wenn die betreffenden Mittel ausgegeben wurden (vgl. R E 13b.29 Abs. 3 S. 3-4 ErbStR 2019).
Aus dem Einlagenbezug in §13b Abs. 4 Nr. 5 S. 2 ErbStG und der Gesetzgebungshistorie ergibt sich, dass dem Begriff der jungen Finanzmittel nur konzernexterne Einlagen unterfallen sollen. Der Finanz- und Wirtschaftsausschuss des Bundesrates hat dies im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich klargestellt (vgl. BR-Drs. 353/15 (Beschluss), S. 16). Auch die Finanzverwaltung empfindet die mehrfache Erfassung junger Finanzmittel offenbar als nicht sachgerecht, wenn sie versucht, dieses Ergebnis zu korrigieren (vgl. R E 13b.23 Abs. 3 S. 3, R E 13b.29 Abs. 3 S. 5-6 ErbStR 2019).
Unabhängig davon, dass junge Finanzmittel damit letztlich nur einfach erfasst werden sollen, trägt dieser Umweg nicht zur Rechtsklarheit bei. Dies gilt v.a. im Hinblick auf H E 13b.29 ErbStH 2019. Danach hat die Begrenzung der jungen Finanzmittel auf Ebene der Konzernmutter (R E 13b.29 Abs. 3 S. 5 ErbStR 2019) im „Fall mehrerer zeitlich hintereinander erfolgter Einlagen von Finanzmitteln in nachgelagerte Beteiligungsgesellschaften (Einlage von einer Muttergesellschaft in eine Tochtergesellschaft und anschließend von der Tochtergesellschaft in die Enkelgesellschaft usw.)“ durch Kürzung um den Betrag der mehrfach erfassten jungen Finanzmittel zu erfolgen. Unklar ist hierbei insbesondere, ob davon auch Einlagen in anderer Reihenfolge (z.B. zunächst vom Gesellschafter in die Muttergesellschaft oder von der Tochter- in die Enkelgesellschaft) erfasst sind und ob nur Einlagen zu berücksichtigen sind, die in engem zeitlichen Zusammenhang oder während des gesamten Zwei- Jahres-Zeitraums (§13b Abs. 4 Nr. 5 S. 2 ErbStG) weitergereicht wurden.
Ungeachtet der dringend gebotenen Klarstellung durch den Gesetzgeber bleibt zu hoffen, dass der Bundesfinanzhof (BFH) zeitnah Gelegenheit hat, sich dieser Frage anzunehmen und der Auffassung der Finanzverwaltung eine Absage zu erteilen. Dies gilt umso mehr, als sich die Finanzverwaltung durch die Rechtsprechung einiger Finanzgerichte und – dem Vernehmen nach – auch durch bestätigende BFH-Urteile (anhängig unter Az. II R 8/18; II R 13/18; II R 18/18; II R 21/18; II R 41/18), wonach durch bloße Umschichtungen innerhalb des Verwaltungsvermögens junges Verwaltungsvermögen entsteht, mit Blick auf ihre Gesetzesauslegung hinsichtlich konzerninterner Einlagen von Finanzmitteln bestärkt fühlen könnte.
Behaltensfristverstoß – Maßgeblichkeit des obligatorischen Rechtsgeschäfts
Nahezu einhellig wurde bislang im Rahmen von §13a Abs. 6 ErbStG bei Veräußerung begünstigt erworbenen Betriebsvermögens für die Frage nach einem steuerschädlichen Behaltensfristverstoß auf das dingliche Rechtsgeschäft abgestellt. Demgegenüber sieht die Finanzverwaltung in den ErbStR 2019 nun überraschenderweise den Abschluss des obligatorischen Rechtsgeschäfts als maßgeblich an (R E 13a.13 Abs. 1 S. 2, R E 13a.14 Abs. 1 S. 2, R E 13a.16 Abs. 1 S. 2); der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums ist damit für die Fristeinhaltung irrelevant. Entsprechendes soll nach Auffassung der Finanzverwaltung für den Beginn der sechsmonatigen Frist gelten, innerhalb derer gemäß §13a Abs. 6 S. 3-4 ErbStG eine zur Abwendung der rückwirkenden Besteuerung notwendige Reinvestition des erzielten Veräußerungserlöses stattfinden kann (vgl. R E 13a.18 S. 4 ErbStR 2019).
Die Verwaltungsauffassung führt zu einer unangemessenen Belastung des Steuerpflichtigen. Im Lichte der mit der Behaltensfrist bezweckten Weiterführung eines übernommenen Betriebs für die Dauer von mindestens fünf Jahren ist richtigerweise darauf abzustellen, zu welchem Zeitpunkt der Betrieb mit dinglicher und wirtschaftlicher Wirkung veräußert wird. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Reinvestitionsklausel. Denn vor dem dinglichen Vollzug fließen dem Veräußerer aufgrund des obligatorischen Rechtsgeschäfts keine Mittel zu, die er reinvestieren könnte; die Reinvestitionsfrist wird damit – obgleich für eine fristwahrende Vornahme der Reinvestition auf den Abschluss des obligatorischen Rechtsgeschäfts abzustellen ist (R E 13a.18 S. 5 ErbStR 2019) – in der Praxis in aller Regel faktisch verkürzt.
Fazit
Die vorstehend aufgezeigten Unstimmigkeiten und Fallstricke könnten im Detail ohne Schwierigkeiten fortgeführt werden. Bereits die kurze Zusammenschau genügt aber, um zu zeigen, dass die Finanzverwaltung es – trotz zahlreicher Einwendungen und Vorschläge im Vorfeld – versäumt hat, mit den ErbStR 2019/ErbStH 2019 in den hier angesprochenen Bereichen die erhoffte und im Interesse der Rechtssicherheit gebotene Rechtsklarheit zu schaffen; die an sie gestellte Erwartung, verlässliche Leitlinien für die Praxis zu bilden, wurde nicht gänzlich erfüllt. Vielmehr bleibt festzuhalten, dass angesichts der (weiterhin) bestehenden Unwägbarkeiten dem Rechtsanwender die Last aufgebürdet wird, in mitunter zeit- und kostenintensiven Verfahren vor den Finanzgerichten selbst für die nötige Rechtsklarheit zu sorgen.
Kernaussagen
- Die Finanzverwaltung hat leider die Chance verpasst, mit den ErbStR 2019 und ErbStH 2019 für mehr Rechtsklarheit zu sorgen. Die an den zuvor eingeführten koordinierten Ländererlassen und dem veröffentlichten Entwurf der neuen Richtlinien geübte Kritik wurde weitgehend ignoriert.
- Für den Rechtsanwender sind relevante Detailfragen offengeblieben, was den praktischen Umgang nach wie vor erschwert. Stellvertretend dafür steht die Auffassung der Finanzverwaltung zu konzerninternen Einlagen. Der durch die ErbStH 2019 eingeführte Kürzungsbetrag wirft an dieser Stelle mehr Fragen auf als er beantwortet.
- Es steht zu befürchten, dass die notwendige Rechtsklarheit in vielen Bereichen erst durch den BFH hergestellt werden wird, was aufseiten des Steuerpflichtigen nicht nur viel Zeit, sondern auch viel Geld in Anspruch nehmen wird.
Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in: JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien, 2020