
Darum geht es – 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG
Verpflichtet sich eine Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG, ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, ist das Einkommen der Organgesellschaft gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Eine dieser Voraussetzungen ist gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG, dass der Gewinnabführungsvertrag auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen ist und während seiner gesamten Geltungsdauert durchgeführt wird.
Gem. § 17 S. 1 KStG gilt dies – unter Berücksichtigung der zusätzlichen Voraussetzungen des § 17 S. 2 KStG – auch für eine inländische GmbH, die sich verpflichtet, ihren gesamten Gewinn an ein anderes Unternehmen im Sinne des § 14 KStG abzuführen.
Bisherige Rechtsprechung und Meinungsstand in der Literatur
Bislang war es höchstrichterlich ungeklärt, ob bzw. welche Anforderungen an die tatsächliche Durchführung eines Gewinnabführungsvertrages (EAV) zu stellen sind. Unklar war, ob ein Anspruch aus einem EAV in den Bilanzen der Organgesellschaft und des Organträgers ordnungsgemäß bilanziert werden muss.
Nach der Rechtsprechung des FG Schleswig-Holstein (Urt. v. 06.06.2019 – 1 K 113/17) war die bilanzielle Erfassung der entsprechenden Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem EAV in den Jahresabschlüssen von Organgesellschaft und Organträger zwingende Voraussetzung für die tatsächliche Durchführung des EAV. Das FG Schleswig-Holstein begründet diese Auffassung damit, dass sich die tatsächliche Durchführung eines EAV in zwei Stufen vollziehe und schon auf der ersten Stufe erfordere, dass die entsprechenden Forderungen und Verbindlichkeiten aus dem EAV sowohl bei der Organgesellschaft als auch bei dem Organträger bilanziell ausgewiesen werden.
In der überwiegenden Literatur ist diese Sichtweise des FG Schleswig-Holstein auf Ablehnung gestoßen. Der bilanzielle Nichtausweis des Anspruchs aus einem EAV sei für die tatsächliche Durchführung nicht schädlich, wenn die eigentliche Erfüllung dieses Anspruchs erfolge. Diese Auffassung wird insbesondere mit der BGH-Rechtsprechung begründet, wonach dem bilanziellen Ausweis keine rechtsverbindliche Wirkung für die Höhe des Ausgleichsanspruch zukommt, sondern sich diese nach dem objektiv korrekt ermittelten Ergebnis bestimmt. Wenn danach der festgestellte Jahresabschluss insoweit nicht maßgebend ist, dann könne er auch nicht für die steuerlich relevante tatsächliche Durchführung – neben der richtigen Erfüllung – als zwingend angesehen werden. Durch das Gesetz werde mit der geforderten „Durchführung“ nur an dieses tatsächliche Element angeknüpft, nicht aber an den bloßen (internen) Bilanzierungsvorgang. Zudem wird teilweise die Heilungsvorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 4 KStG für anwendbar gehalten und zwar (wegen der tatsächlich erfolgten Erfüllung) auch ohne Bilanzänderung.
Entscheidung des BFH v. 02.11.2022 (I R 37/19)
Nun hat der BFH (Urt. v. 02.11.2022 – I R 37/19) im Revisionsverfahren gegen das oben skizzierte Urteil des FG Schleswig-Holstein entschieden, dass die tatsächliche Durchführung eines EAV die Buchung von entsprechenden Forderungen und Verbindlichkeiten aus einem EAV in den Jahresabschlüssen von Organgesellschaft und Organträger erfordert.
Sachverhalt
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die B-GmbH erwarb in 2008 sämtliche Geschäftsanteile an der Klägerin (und Revisionsklägerin), einer GmbH. Mit Wirkung ab 2009 schlossen die B-GmbH und die Klägerin einen EAV, der nicht vor Ablauf von fünf Jahren seit seinem Wirksamwerden kündbar war. In den Streitjahren 2009 bis 2012 erwirtschaftete die Klägerin jeweils Gewinne, im Jahr 2013 einen Verlust. In der am 10.11.2014 erstellten Bilanz zum 31.12.2013 wurde keine Forderung der Klägerin gegenüber der B-GmbH berücksichtigt. Am 11.02.2015 zahlte die B-GmbH unter Angabe eines entsprechenden Verwendungszwecks den Verlustausgleich an die Klägerin.
Nach Auffassung des Finanzamts sei die körperschaftssteuerliche Organschaft mangels tatsächlicher Durchführung nicht anzuerkennen, da der Anspruch der Klägerin auf Ausgleich des im Jahr 2013 erwirtschafteten Verlusts weder bei der Klägerin als Organgesellschaft noch bei der B-GmbH als Organträger bilanziell berücksichtigt wurde. Das FG Schleswig-Holstein schloss sich dieser Auffassung an und wies die dagegen gerichtete Klage ab. Der BFH hatte nun über die gegen das Urteil des FG Schleswig-Holstein gerichtete Revision zu entscheiden.
Entscheidungsbegründung
Der I. Senat des BFH schloss sich der Auffassung des vorinstanzlichen FG Schleswig-Holstein an und wies die Revision als unbegründet zurück.
Die tatsächliche Durchführung eines EAV setze voraus, dass dieser entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen vollzogen wird. Dies bedeute u.a., dass die nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ermittelten Gewinne tatsächlich durch Zahlung oder Verrechnung an den Organträger abgeführt werden. Dagegen sei die reine Buchung der Forderung ohne Erfüllungswirkung nicht ausreichend.
Die Voraussetzung der tatsächlichen Durchführung des EAV beziehe sich jedoch nicht allein auf den Schlusspunkt des tatsächlichen Ausgleichs aller aus dem EAV resultierenden Forderungen und Verbindlichkeiten. Der EAV werde nur dann durchgeführt, wenn er während der gesamten Geltungsdauer tatsächlich „gelebt“ werde; es müsse dementsprechend schon vor dem Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlung/Verrechnung objektiv erkennbar sein, dass sowohl der Organträger als auch die Organgesellschaft ihre zivilrechtlichen Verpflichtungen aus dem EAV erfüllen werden. Dies habe zur Folge, dass die entsprechenden Forderungen und Verbindlichkeiten auch in den Jahresabschlüssen gebucht werden müssen.
Der BFH begründet dies mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel, Manipulationen zu verhindern: Die Organschaft solle nicht zum Zwecke der willkürlichen Beeinflussung der Besteuerung und zu Einkommensverlagerungen von Fall zu Fall abgeschlossen bzw. beendet werden können. Dieser Gesichtspunkt sei dabei nicht (erst) im Rahmen der tatsächlichen Erfüllung der zivilrechtlichen Pflichten aus dem EAV von Bedeutung, sondern erfordere auch, dass diese Pflichten schon vor ihrer Erfüllung durch eine entsprechende Bilanzierung objektiv erkennbar anerkannt werden. Außerdem handele es sich bei den Regelungen über die Organschaft um eine Ausnahme vom steuerlichen Grundprinzip der getrennten Besteuerung der einzelnen Steuersubjekte, sodass eine strenge Auslegung der vom Gesetzgeber hierfür vorgegebenen Anforderungen geboten sei.
Eine Heilung der unterbliebenen Aktivierung gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 4 KStG komme – so der BFH weiter – nicht in Betracht. Zwar gelte nach dieser Vorschrift der EAV unter bestimmten Voraussetzungen auch dann als durchgeführt, wenn der abgeführte Gewinn oder ausgeglichene Verlust auf einem Jahresabschluss beruht, der fehlerhafte Bilanzansätze enthält. Allerdings erfasse der Wortlaut nicht den unterlassenen Ausweis einer Forderung bzw. einer Verbindlichkeit der Organgesellschaft auf der Grundlage des EAV, sondern lediglich die fehlerhafte Bilanzierung der Höhe des abzuführenden Gewinns oder auszugleichenden Verlusts.
Demnach entschied der BFH, dass der EAV zwischen der B-GmbH und der Klägerin im Jahr 2013 entgegen § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG nicht tatsächlich durchgeführt worden sei, was für sämtliche Streitjahre zur rückwirkenden Nichtanerkennung der Organschaft führe. Eine – grundsätzlich denkbare – Unterbrechung der Organschaft komme vorliegend nicht in Betracht, da eine solche nur nach und nicht innerhalb der fünfjährigen Mindestvertragslaufzeit im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG möglich sei.
Zusammenfassung und Ausblick
Aus dem Urteil des BFH ergibt sich, dass die tatsächliche Durchführung eines EAV gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG in zwei Schritten erfolgt:
- In einem ersten Schritt sind die sich aus dem EAV ergebenden Forderungen und Verbindlichkeiten auf Ebene des Organträgers und der Organgesellschaft bilanziell zu erfassen.
- In einem zweiten Schritt müssen die Forderungen und Verbindlichkeiten tatsächlich ausgeglichen werden.
Wird der erste Schritt ausgelassen, kann auch der tatsächliche Ausgleich durch Zahlung keine tatsächliche Durchführung des EAV mehr bewirken. Der I. Senat des BFH stellt sich mit seiner Entscheidung damit gegen die überwiegende steuerrechtliche Literatur zur tatsächlichen Durchführung eines EAV gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Heilung gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 4 KStG vom BFH nicht zugelassen wird, gewinnt die korrekte bilanzielle Abbildung der Organschaft in der Praxis erheblich an Bedeutung.