Damit urteilt nun zum zweiten Mal (vgl. schon FG Sachsen vom 06.05.2021 – 8 K 31/21) ein Finanzgericht, dass für die Schenkungsfiktion des § 7 Abs. 8 ErbStG nicht allein ein rein objektiver Tatbestand genügt. Das Urteil des FG Münster ist ein lesenswertes Musterbeispiel der juristischen Auslegungskunst und lässt an Klarheit weder in seiner Begründung noch im Ergebnis zu wünschen übrig. Das Urteil ist allerdings nicht rechtskräftig; abzuwarten bleibt, wie der BFH hierzu in der von der Finanzverwaltung eingelegten Revision (Az.: II R 19/24) entscheiden wird.
Einführung
Mit dem Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 07.12.2011 wurde die Schenkungsteuerbarkeit sog. disquotaler Einlagen in Kapitalgesellschaften durch Schaffung von § 7 Abs. 8 ErbStG eingeführt: „Als Schenkung gilt die Werterhöhung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die eine an der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligte natürliche Person oder Stiftung (Bedachte) durch die Leistung einer anderen Person (Zuwendender) an die Gesellschaft erlangt.“ (Gesetzeswortlaut des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG)
Durch die Formulierung „als Schenkung gilt“ bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass es sich bei dem Steuertatbestand des § 7 Abs. 8 ErbStG um eine gesetzliche Schenkungsfiktion handelt, d.h. um einen Vorgang, der nach den für das Schenkungsteuerrecht grundsätzlich maßgeblichen zivilrechtlichen Bestimmungen gerade keine Schenkung darstellt. Bis zur Einführung von § 7 Abs. 8 ErbStG stellten disquotale Einlagen von Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft in die Gesellschaft nach der gefestigten Rechtsprechung des BFH keine Schenkungen an die Mitgesellschafter dar. Mit der Einführung von § 7 Abs. 8 ErbStG wollte der Gesetzgeber die nach seiner Ansicht durch diese Rechtsprechung entstandenen Besteuerungslücken schließen. Die Vorschrift des § 7 Abs. 8 ErbStG ist daher als Missbrauchsvermeidungsnorm konzipiert, um die von der Finanzverwaltung befürchtete Umgehung der schenkungsteuergesetzlichen Regelungen durch die Zwischenschaltung von Kapitalgesellschaften zu unterbinden.
Allerdings ist der Wortlaut der Vorschrift – wie häufig bei der Schaffung von sog. „Missbrauchsvermeidungsnormen“ – nicht auf besondere Missbrauchskonstellationen begrenzt, sondern sehr weit gefasst. Entsprechend kritisch wird die Vorschrift seither in der Literatur bewertet, die der Vorschrift eine „überschießende Besteuerungstendenz“ attestiert. Mangels Eingrenzung des Wortlauts der Vorschrift kommt jede Form der Leistung an eine Kapitalgesellschaft als potenziell schenkungsteuerbare Zuwendung an die Mitgesellschafter in Betracht. Es gibt daher eine Vielzahl von dem Schenkungsteuertatbestand des § 7 Abs. 8 ErbStG betroffener gesellschaftsrechtlicher Vorgänge.
Die Vorschrift des § 7 Abs. 8 ErbStG gilt insb. nicht speziell nur für Familiengesellschaften oder Sachverhalte zwischen Familienangehörigen, sondern unterschiedslos für sämtliche Kapitalgesellschaften und alle gesellschaftsrechtlichen Einlagevorgänge auch unter fremden Dritten. Daher kommt seit der Einführung von § 7 Abs. 8 ErbStG bei vielen gesellschaftsrechtlichen Transaktionen mit untereinander weder verwandten noch verschwägerten Beteiligten (z.B. Start-up-Gründungen, Joint-Ventures, M&A-Transaktionen mit Rückbeteiligung, Managementbeteiligungen usw.) bisweilen Unsicherheit auf, ob die geplante Transaktion zusätzlich zu den jeweiligen ertragsteuerlichen Folgen möglicherweise auch noch Schenkungsteuer bei einzelnen Beteiligten auslösen könnte. Die möglichen Besteuerungsergebnisse sind dabei häufig sehr kurios.
Praxisbeispiel
Investor X ist Steuerausländer und leistet eine disquotale Einlage in die deutsche Y GmbH, an der er beteiligt ist. Weitere Investoren der Y GmbH sind acht weitere Steuerausländer sowie drei Steuerinländer, die jeweils keine Einlage leisten. Ergebnis nach dem Wortlaut von § 7 Abs. 8 ErbStG: Die drei in Deutschland ansässigen Investoren müssen die aus der disquotalen Einlage von X resultierende „Werterhöhung“ in ihren Anteilen als Schenkung von X versteuern. Für die acht im Ausland ansässigen weiteren Investoren ergeben sich keine schenkungsteuerlichen Folgen. Zu beachten ist ferner, dass der im Ausland ansässige X nach den deutschen steuergesetzlichen Bestimmungen als „Zuwendender“ ebenfalls für die Schenkungsteuer der drei in Deutschland ansässigen Investoren haftet (§ 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG).
Es liegt auf der Hand, dass Investments in deutsche Kapitalgesellschaften für ausländische Geldgeber durch die Schaffung von § 7 Abs. 8 ErbStG unattraktiver geworden sind. Insbesondere bei Sachverhalten mit Investoren aus dem Ausland wurde daher seit Jahren überlegt, welche zivilrechtlichen Vorkehrungen zu treffen seien, um die zusätzliche Entstehung von deutscher Schenkungsteuer bei einzelnen Investoren zu vermeiden.
Streit um das subjektive Tatbestandsmerkmal des § 7 Abs. 8 ErbStG
Besonders kontrovers diskutiert wird seit der Einführung der Vorschrift die Frage, ob der Steuertatbestand des § 7 Abs. 8 ErbStG ein subjektives Merkmal i.S. eines Bewusstseins bezüglich der (Teil-)Unentgeltlichkeit der Leistung erfordert. Denn gerade bei Sachverhalten des Wirtschaftslebens unter fremden Dritten möchten die Beteiligten sich typischerweise untereinander gerade nichts schenken.
Aus Sicht der Finanzverwaltung fingiert die Vorschrift unabhängig von einem subjektiven Merkmal eine Schenkung von dem an die Kapitalgesellschaft Leistenden an die an der Kapitalgesellschaft unmittelbar und mittelbar beteiligte natürliche Person, deren Anteile an der Gesellschaft durch die Leistung im Wert steigen. Anders als nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG komme es im Rahmen des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG weder auf die unmittelbare Zuwendung von Sachsubstanz an den Bedachten noch auf den Willen zur Unentgeltlichkeit an. Jedoch begrenzt selbst die Finanzverwaltung den Anwendungsbereich der Norm entgegen dem Wortlaut, indem sie zumindest für das Vorliegen einer disquotalen Leistung eine sog. Gesamtbetrachtung anstellt, bestimmte Fallgruppen damit aus der Besteuerung herausnimmt und für das Vorliegen einer Werterhöhung auf die Erkenntnismöglichkeiten und Wertvorstellungen der Gesellschafter auf den Zeitpunkt abstellt, in dem die Leistung bewirkt wird. Allein die Tatsache dieser teilweisen teleologischen Reduktion der Vorschrift durch die Steuerrichtlinien der Finanzverwaltung selbst veranschaulicht, wie misslungen der Wortlaut der Vorschrift offenkundig ist.
Im Schrifttum wurde seit Jahren eine noch weiter gehende subjektive Eingrenzung des Anwendungsbereichs der Vorschrift gefordert, da deren Besteuerungsfolgen in der Praxis andernfalls unberechenbar sind. Der ausufernde Anwendungsbereich von § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG lasse sich auf ein vertretbares Maß begrenzen, wenn im Rahmen einer teleologischen Auslegung ein Wille zur Freigebigkeit als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zur Anwendung kommt.
Mit Urteil vom 06.05.2021 hat das FG Sachsen erstmalig seit der Schaffung von § 7 Abs. 8 ErbStG im Jahr 2011 Stellung zu der Auslegung der Vorschrift bezogen. Nach Ansicht des FG Sachsen ist angesichts der Beschränkung der gesetzlichen Fiktion auf einzelne Merkmale des steuerlichen Zuwendungstatbestands in subjektiver Hinsicht zu verlangen, dass die Leistung des „Zuwendenden“ in dem Bewusstsein erbracht wurde, dadurch den Wert des Geschäftsanteils zu erhöhen, ohne dafür von dem auf diese Weise Begünstigten einen äquivalenten Ausgleich zu erhalten. Gegen die Entscheidung des FG Sachsen wurde Revision eingelegt. Die Finanzverwaltung wendet das Urteil in gleichgelagerten Fällen bislang nicht an.
Urteil des FG Münster vom 23.05.2024 – 3 K 2585/21 Erb
Mit seinem Urteil vom 23.05.2024 hat das FG Münster mit überraschender Deutlichkeit die Linie des FG Sachsen fortgeführt und ausführlich begründet, warum die Erfüllung des Steuertatbestands des § 7 Abs. 8 ErbStG ein subjektives Merkmal verlangt.
Sachverhalt (vereinfacht)
Der Kläger und dessen Bruder hielten jeweils 30% des Stammkapitals der X-GmbH. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 2013, der bis zu seinem Ableben die restlichen Anteile der X-GmbH gehalten hatte, war der Kläger zu 70% an der X-GmbH beteiligt. Aufgrund von schwerwiegenden Differenzen zwischen den Brüdern wollte der Bruder des Klägers aus der X-GmbH ausscheiden und schloss im eigenen Namen sowie als vertretungsberechtigter Geschäftsführer der X-GmbH am 15.01.2013 einen Kauf- und Abtretungsvertrag mit der X-GmbH, demzufolge er seine Anteile an der X-GmbH an die X-GmbH mit Wirkung zum 01.11.2017 verkaufte. Der Kaufpreis für die Anteile der X GmbH wurde in dem Kauf- und Abtretungsvertrag festgelegt. Erst am 29.05.2018 erfolgte allerdings die dingliche Abtretung der Anteile des Bruders des Klägers an die X-GmbH als Erwerberin.
Mit Schenkungsteuerbescheid vom 07.01.2020 setzte das zuständige Finanzamt gegenüber dem Kläger Schenkungsteuer fest, die auf Grundlage der Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem vereinfachten Ertragswert der übertragenen Anteile gem. §§ 199 ff. BewG ermittelt wurde. Der vom Finanzamt angesetzte vereinfachte Ertragswert der übertragenen Anteile betrug zum 01.11.2017 ca. 7,5 Mio. Euro mehr als der im Kauf- und Abtretungsvertrag vom 15.01.2013 festgelegte Kaufpreis, weshalb der Vorgang nach Ansicht des Finanzamts als gemischte Schenkung gem. § 7 Abs. 8 ErbStG zu besteuern war.
Der Kläger legte gegen die Festsetzung der Schenkungsteuer Einspruch mit der Begründung ein, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung zwischen zerstrittenen Geschwistern kein Schenkungswille vorliege. Ein solcher subjektiver Bereicherungswille des Schenkers sei aber für eine Besteuerung notwendig. Das zuständige Finanzamt half dem Einspruch nicht ab, da es bei § 7 Abs. 8 ErbStG nicht auf einen Schenkungswillen des Zuwendenden ankomme. Im Übrigen verwies das Finanzamt darauf, dass schon allein aufgrund der großen Wertdifferenz zwischen Kaufpreis und vereinfachtem Ertragswert der Anteile von einem Willen zur (Teil-)Unentgeltlichkeit auszugehen sei. Im Jahr 2021 erhob der Kläger Klage auf Aufhebung der Festsetzung der Schenkungsteuer.
Entscheidungsgründe
Das FG Münster gab der Klage des Steuerpflichtigen mit seinem Urteil vom 23.05.2024 statt. Die Anteilsübertragung des Bruders des Klägers an die X GmbH verwirklicht nach Auffassung des FG keinen Schenkungsteuertatbestand. Insbesondere seien die Voraussetzungen des § 7 Abs. 8 ErbStG nicht erfüllt.
Die Festsetzung der Schenkungsteuer sei im vorliegenden Fall allein schon deshalb rechtswidrig, weil das Finanzamt die Besteuerung auf den 01.11.2017 (Stichtag des schuldrechtlichen Rechtsgeschäfts) vorgenommen habe. Eine freigebige Zuwendung ist ausgeführt, wenn der Bedachte das erhalten hat, was ihm nach der Schenkungsabrede, im Fall der freigebigen Zuwendung nach dem Willen des Zuwendenden, verschafft werden soll (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Maßgebend ist damit nicht der Vertragsschluss, sondern der Eintritt des Leistungserfolgs. Dieser mit Blick auf den Grundtatbestand aller steuerbaren Schenkungen gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entwickelte Grundsatz gilt auch für den Tatbestand des § 7 Abs. 8 ErbStG. Es kommt daher auf die dingliche Übertragung der Anteile an, da diese die der Besteuerung unterliegende Werterhöhung bewirkt. Die Anteilsübertragung im Streitfall erfolgte erst durch notarielle Abtretung am 29.05.2018. Maßgeblicher Besteuerungsstichtag (§ 11 ErbStG) war daher der 29.05.2018.
Die angefochtene Schenkungsteuerfestsetzung ist nach der Entscheidung des FG Münster darüber hinaus auch deshalb rechtswidrig, weil der Bruder des Klägers nicht in dem Bewusstsein gehandelt habe, die Übertragung seiner Anteile an der X-GmbH ohne Verpflichtung bzw. ohne rechtlichen Zusammenhang mit einer entsprechenden Gegenleistung zu erbringen. Die Erfüllung des Tatbestands des § 7 Abs. 8 ErbStG verlange aber ein solches subjektives Merkmal einer Schenkung. Das FG Münster begründet das Erfordernis eines subjektiven Merkmals in seiner Entscheidung durch eine detaillierte, lehrbuchartige Auslegung der Norm des § 7 Abs. 8 ErbStG.
a) Wortlaut
Schon der Wortlaut der Norm spricht aus Sicht des FG Münster für eine auf die Leistung an den Bedachten beschränkte Fiktionswirkung und damit für die Notwendigkeit einer subjektiven Komponente. Die verwendeten Begriffe „Zuwendender“ und „Bedachten“ würden das Erfordernis einer bewusst unausgeglichenen Leistungsbeziehung zwischen den Beteiligten nahelegen. Sowohl im alltäglichen Sprachgebrauch als auch in der Verwendung im Rahmen des ErbStG und SchenkStG würden diese Bezeichnungen für die Beteiligten bei freigebigen Zuwendungen verwendet. Die Verwendung der Begriffe auch für den Schenkungsteuertatbestand des § 7 Abs. 8 ErbStG lasse auf das Erfordernis eines vom „Zuwendenden“ bewusst hingenommenen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung schließen.
Insbesondere im sprachlichen Vergleich zu § 7 Abs. 7 ErbStG, für den nach der Rechtsprechung des BFH ein Bewusstsein der Unentgeltlichkeit gerade nicht zum gesetzlichen Tatbestand gehört, werde nur in § 7 Abs. 8 ErbStG ausdrücklich Bezug auf die Leistung und auch auf die Beteiligten des Bereicherungsvorgangs genommen, sodass nicht von der bloßen Anordnung einer zwingenden Rechtsfolge gesprochen werden könne. Zwar handele es sich aufgrund der gleichlautenden Einleitung bei beiden Absätzen um Fiktionen, deren Reichweite divergiere jedoch. Dieses Auslegungsergebnis wird nach den Erläuterungen des FG Münster nicht zuletzt vom Wortlaut des § 7 Abs. 8 Satz 2 ErbStG bestätigt. Durch die Einleitung des Satzes 2 mit den Worten „Freigebig sind auch“ werde deutlich, dass der Gesetzgeber auch bei der Schaffung von Satz 1 implizit von dem subjektiven Erfordernis der Freigebigkeit ausgegangen ist.
b) Gesetzessystematik
Nach Ansicht des FG Münster ist es darüber hinaus systematisch widersprüchlich, wenn der „Zuwendende“ i.S.v. § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG als Steuerschuldner gem. § 20 Abs. 1 ErbStG für eine Leistung zur Steuerzahlung herangezogen werden könnte, die er nicht mit dem subjektiven Bewusstsein der Unausgewogenheit der Leistungen geleistet hat. Da § 20 Abs. 1 ErbStG als Haftungsnorm ausgestaltet sei, könne der Zuwendende ohne ein tatbestandseinschränkendes subjektives Element jederzeit für die Schenkungsteuer in Anspruch genommen werden, was bei extensiver Auslegung von § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG einer schenkungsteuerlichen „Gefährdungshaftung“ für jede Transaktion mit einer Kapitalgesellschaft gleichkäme. Entsprechendes gelte für die Anzeigepflicht aus § 30 Abs. 2 ErbStG. Einer solchen könne nur derjenige überhaupt nachkommen, der zumindest ein Bewusstsein dafür besitzt, dass Leistung und Gegenleistung unausgeglichen sind.
Vor allem mit dem Aspekt der Haftung des Einlegenden für die Schenkungsteuer sowie der Frage nach der Reichweite der – ebenfalls beide Seiten einer Schenkung treffenden – Anzeigepflicht spricht das FG Münster Probleme an, die in den vergangenen Jahren bei vielen gesellschaftsrechtlichen Transaktionen in der Praxis höchst kontrovers diskutiert wurden. Die Klarheit des FG Münster hierzu ist daher aus Sicht der gesellschaftsrechtlichen Beratungspraxis sehr zu begrüßen.
c) Sinn und Zweck
Zuwendungen nach dem ErbStG und SchenkStG sind grundsätzlich nur solche Leistungen, die beim Leistungsempfänger den Bestand seines Vermögens und nicht etwa nur den Wert bereits vorhandener Vermögenspositionen erhöhen. Diesen Grundsatz durchbricht § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG, indem die Leistung in das Vermögen der Kapitalgesellschaft schenkungsteuerlich als (mittelbare) Zuwendung an die Anteilseigner der Kapitalgesellschaft behandelt wird. Die Vorschrift des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG fingiert nach Ansicht des FG Münster allerdings ausschließlich die unmittelbare Leistung an den Bedachten, indem die Bestimmung eine mittelbare Vermögensverschiebung als unmittelbare Leistung behandelt. Damit trete jedoch keine vollständige Fiktion aller Tatbestandsmerkmale des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ein, sodass die „Leistung“ aufseiten des Zuwendenden in dem Bewusstsein erbracht werden muss, dadurch den Wert des Geschäftsanteils des mittelbar Begünstigten zu erhöhen, ohne dafür von diesem einen äquivalenten Ausgleich zu erhalten. Verstünde man die Reichweite der Fiktion extensiver, wäre der Tatbestand auf nahezu jede Transaktion, der objektiv ein zugunsten einer Kapitalgesellschaft wertmäßig unausgewogenes Geschäft zugrunde liegt, ausgeweitet.
d) Historische Auslegung
Der Gesetzgeber wollte mit § 7 Abs. 8 ErbStG eine Missbrauchsvermeidungsnorm schaffen. Im Rahmen des Gesetzentwurfs hat die Bundesregierung geäußert, dass die Norm diejenigen Fälle erfassen soll, in denen der Zuwendende mit seiner Leistung an die Kapitalgesellschaft auf die Bereicherung des Gesellschafters hinter der Kapitalgesellschaft abzielt. Die aus dem Wort „abzielt“ zu verstehende Finalität der Leistung zur Bereicherung eines Mitgesellschafters setzt nach der Entscheidung des FG Münster zwangsläufig die Kenntnis des einlegenden Gesellschafters von der (Teil-)Unentgeltlichkeit seiner Einlage voraus.
Feststellung eines Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung
Neben der Auslegung von § 7 Abs. 8 ErbStG ist insb. die Stellungnahme des FG Münster zur Feststellung der für die Annahme des Bewusstseins zur Unentgeltlichkeit nötigen Unausgewogenheit zwischen Leistung und Gegenleistung hervorzuheben. Allein das Vorliegen einer objektiven Diskrepanz zwischen den Leistungen beider Seiten reiche für das subjektive Merkmal gerade nicht aus. Der notwendige Wille zur Unentgeltlichkeit für eine Besteuerung nach § 7 Abs. 8 ErbStG liege erst dann vor, wenn sich der Zuwendende der Unentgeltlichkeit seiner Leistung derart bewusst ist, dass er seine Leistung ohne Verpflichtung und ohne rechtlichen Zusammenhang mit einer Gegenleistung erbringt.
Der Zuwendende müsse daher in dem Bewusstsein handeln, zu der Vermögenshingabe weder rechtlich verpflichtet zu sein noch dafür eine mit seiner Leistung in einem synallagmatischen, konditionalen oder kausalen Zusammenhang stehende gleichwertige Gegenleistung zu erhalten. Für das Vorliegen dieser inneren Tatsache trage die Finanzverwaltung die Beweislast. Die bloße Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit des Bewusstseins einer (Teil-)Unentgeltlichkeit z.B. aufgrund eines auffallenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung genügt nach den Ausführungen des FG Münster ausdrücklich nicht. Allein aus einer großen Differenz zwischen dem vereinbarten Anteilskaufpreis einerseits und einem nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren (§§ 199 ff. BewG) andererseits ermittelten Anteilswert könne das subjektive Element daher nicht abgeleitet werden.
Fazit
Der deutliche Richterspruch des FG Münster ist vor dem Hintergrund der bislang herrschenden Rechtsunsicherheit bei vielen gesellschaftsrechtlichen Alltagsvorgängen sehr erfreulich. Die Entscheidung behandelt eine bislang höchstrichterlich nicht geklärte, aber für die gesellschaftsrechtliche Praxis sehr bedeutsame Frage und steht in einer Linie mit dem Urteil des FG Sachsen vom 06.05.2021. Durch die aktuelle Entscheidung des FG Münster wird die seit Jahren schwelende Diskussion um den Anwendungsbereich von § 7 Abs. 8 ErbStG zwar noch nicht beendet, da gegen beide finanzgerichtlichen Entscheidungen Revision eingelegt wurde. Gleichwohl gibt die Entscheidung des FG Münster einen weiteren, inhaltlich bemerkenswert klaren Anhaltspunkt dafür, dass die Vorschrift des § 7 Abs. 8 ErbStG ein subjektives Tatbestandselement beinhaltet, das den andernfalls völlig konturlosen Anwendungsbereich der Bestimmung präzisiert und begrenzt.
Die Revision gegen das Urteil des FG Münster wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf das bereits anhängige Revisionsverfahren gegen das Urteil des FG Sachsen zugelassen. Es bleibt abzuwarten, wie sich der BFH in beiden Verfahren positioniert. Sämtliche auf Grundlage von § 7 Abs. 8 ErbStG ergangenen Schenkungsteuerfestsetzungen sollten daher bis zur höchstrichterlichen Klärung offengehalten werden.
Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in: Fachmedien Otto Schmidt KG, Düsseldorf, DB 2024, 2249-2252
Haag_Bracken_DB_2024_2249_2252_jzs-DB-2024-37-002-2249