Hintergrund
§ 50d Abs. 3 EStG versagt im EU-Ausland ansässigen Kapitalgesellschaften die Erstattung von Kapitalertragsteuer auf Dividendenerträge, wenn sie keine angemessene wirtschaftliche Substanz nachweisen können. Die Norm bezweckt die Verhinderung missbräuchlicher Steuergestaltungen mit dem Ziel, Steuervorteile durch die Zwischenschaltung von Holdinggesellschaften in EU/DBA-Staaten zu erlangen (sog. Treaty Shopping).
Bestimmte Erträge aus Kapitalvermögen, z.B. Dividenden aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, unterliegen der Kapitalertragsteuer, welche direkt von der ausschüttenden Kapitalgesellschaft vom auszuzahlenden Betrag einbehalten und an das Finanzamt abgeführt wird (Quellensteuerabzug).
Dividenden, die einer im EU-Ausland ansässigen Muttergesellschaft von ihrer inländischen Tochtergesellschaft zufließen, können unter bestimmten Voraussetzungen von der Kapitalertragsteuerpflicht befreit sein. Dann kann die ausländische Muttergesellschaft beim zuständigen Finanzamt die Freistellung von der Kapitalertragsteuerpflicht bzw. die Erstattung der abgeführten Kapitalertragsteuer beantragen.
Dieser Erstattungs- bzw. Freistellungsanspruch wird nach § 50d Abs. 3 EStG (2007) versagt, wenn
- an der ausländischen Muttergesellschaft Personen beteiligt sind, die keinen Anspruch auf eine solche Erstattung bzw. Freistellung hätten, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielen und alternativ
- für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder
- die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder
- die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessenen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.
Das FG Köln bezweifelte, ob § 50d Abs. 3 EStG (2007) mit der europäischen Niederlassungsfreiheit und der Mutter-Tochter-Richtlinie vereinbar ist und legte diese Frage mit Beschlüssen vom 08.07.2016 (2 K 2995/12, RS1219715; vgl. hierzu Hennigfeld, DB1221779) und vom 31.08.2016 (2 K 721/13, RS1226853; vgl. hierzu Hennigfeld, DB 2016 S. 2870) dem EuGH zur Entscheidung vor.
Vorlagegrund ist der typisierende und überschießende Regelungsgehalt der Vorschrift, der grundsätzlich auch mit ausreichender wirtschaftlicher Substanz ausgestattete Gesellschaften erfasst und bei diesen zu einer Versagung der Freistellung bzw. Erstattung der Kapitalertragsteuer führen kann.
Aktuelle Entscheidung des EuGH
Der EuGH hat beide Vorlagen zu einem Verfahren verbunden und mit Urteil vom 20.12.2017 entschieden, dass § 50d Abs. 3 EStG (2007) sowohl gegen die Mutter-Tochter-Richtlinie als auch gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt. Der EuGH begründet dies insbesondere wie folgt:
Die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV gewähre u.a. Gesellschaften das Recht, ihren Sitz frei zu wählen sowie ihre Tätigkeit in einem Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft auszuüben. Als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit seien u.a. alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen.
Die Mutter-Tochter-Richtlinie bezwecke, Benachteiligungen der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten zu beseitigen und eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Die Mutter-Tochter-Richtlinie stelle das grundsätzliche Verbot auf, Ausschüttungen der inländischen Tochtergesellschaft an die ausländische Muttergesellschaft einem Quellensteuerabzug zu unterwerfen.
§ 50d Abs. 3 EStG (2007) weiche von diesem Verbot ab und stelle eine unwiderlegbare Missbrauchsvermutung auf: Soweit eine der in der Norm vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sei, gäbe sie der gebietsfremden Muttergesellschaft keine Möglichkeit, das Vorliegen wirtschaftlicher Gründe zu beweisen. Dies beeinträchtige das mit der Mutter-Tochter-Richtlinie verfolgte Ziel, die Doppelbesteuerung von Dividenden von einer inländischen Tochtergesellschaft an ihre ausländische Muttergesellschaft zu vermeiden.
Weiterhin begründe das Vorliegen der Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG (2007) weder einzeln noch zusammen betrachtet einen Missbrauch. Denn die Mutter-Tochter-Richtlinie schreibe nicht vor, welche wirtschaftliche Tätigkeit die von ihr erfassten Gesellschaften ausüben müssen oder wie hoch die Einkünfte aus ihrer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit zu sein haben. Der Regelungsgehalt der Mutter-Tochter-Richtlinie sowie die Niederlassungsfreiheit würden hierdurch eingeschränkt.
Zwar könnten gesetzgeberische Maßnahmen mit dem Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung eine Einschränkung des EU-Rechts grundsätzlich rechtfertigen, dies jedoch insbesondere nur unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Aufstellung einer unwiderlegbaren Missbrauchsvermutung anhand bestimmter Indizien sei jedoch unverhältnismäßig und ein Eingriff in das EU-Recht nicht gerechtfertigt.
Fälle bis 2011 betroffen
Die vorstehende Entscheidung des EuGH erging zu § 50d Abs. 3 EStG in der Fassung des JStG 2007 und betrifft nur Fälle bis 2011. Die Norm wurde durch das BeitrRLUmsG vom 07.12.2011 mit Wirkung zum 01.01.2012 neugefasst, sieht sich jedoch weiterhin europarechtlichen Bedenken ausgesetzt.
Die Versagung des Erstattungsanspruchs erfolgt nun gemäß der aktuellen Fassung unter den Voraussetzungen, dass
- an der ausländischen Muttergesellschaft Personen beteiligt sind, die keinen Anspruch auf eine solche Erstattung hätten, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielt hätten und
- die von der ausländischen Muttergesellschaft erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen sowie alternativ
- in Bezug auf diese Erträge auch keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe für die Einschaltung der ausländischen Muttergesellschaft vorliegen oder
- die ausländische Muttergesellschaft nicht mit einem für ihren Zweck angemessenen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen Wirtschaftsverkehr teilnimmt.
Die Neufassung modifizierte u.a. die starre 10%-Grenze in eine Aufteilungsklausel, welche zwischen aus eigener (unschädlichen) und nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammenden (schädlichen) Erträgen differenziert. Nur für die als schädlich qualifizierten Erträge sind die Substanzerfordernisse zu prüfen.
Das FG Köln hat auch hinsichtlich der aktuellen Fassung des § 50d Abs. 3 EStG (2012) Zweifel an dessen Vereinbarkeit mit EU-Recht und hat diese Frage dem EuGH mit Beschluss vom 17.05.2017 (2 K 773/16) vorgelegt (vgl. hierzu Herrmann, Steuerboard vom 09.08.2017). Die Entscheidung des EuGH hierzu steht noch aus (anhängig unter Rs. C-440/17).
Das FG Köln begründet seine Zweifel u.a. wie folgt: Die quotale Betrachtungsweise, die zwischen schädlichen und unschädlichen Erträgen differenziert, führt zu dem widersprüchlichen Ergebnis, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Gesellschaft gleichzeitig sowohl missbräuchlich als auch nicht nicht-missbräuchlich zwischengeschaltet werden kann. Richtigerweise erkennt das FG Köln, dass der Umstand, dass eine Gesellschaft unschädliche Erträge erzielt, die wirtschaftliche Realität der Gesellschaft vielmehr stärken müsse. Hierdurch könne kein Rechtsmissbrauch begründet werden. Die Norm führe dazu, dass bei einer an sich nicht-missbräuchlich eingeschalteten Gesellschaft die Kapitalertragsteuererstattung (quotal) versagt werden könne.
Zudem geht das FG Köln davon aus, dass § 50d Abs. 3 EStG (2012) in Bezug auf die nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielten Erträge eine unwiderlegbare Missbrauchsvermutung aufgrund bestimmter Indizien aufstellt. Aufgrund des immer noch bestehenden überschießenden Regelungsgehaltes bestünden weiterhin Zweifel daran, dass die Norm mit der Mutter-Tochter-Richtlinie und der Niederlassungsfreiheit vereinbar sei. Die Argumentation des FG Köln gleicht insoweit der des EuGH zur Altfassung der Norm, weshalb zu erwarten ist, dass der EuGH auch die aktuelle Fassung als europarechtswidrig ansehen wird.
Zusammenfassung
Die Entscheidung des EuGH bezüglich § 50d Abs. 3 EStG (2007) ist aufgrund der unverhältnismäßigen Substanzanforderungen zu begrüßen. Auch mit § 50d Abs. 3 EStG (2012) hat der Gesetzgeber den überschießenden Reglungsgehalt der Norm nicht beseitigt. Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH in gleicher Weise über die aktuelle Fassung der Norm entscheidet, denn diese enthält weiterhin eine unwiderlegbare Missbrauchsvermutung basierend auf bestimmten Indizien und muss anhand der vom EuGH zur Altfassung aufgestellten Grundsätze konsequenterweise ebenfalls als europarechtswidrig angesehen werden.
Dieser Artikel erschien erstmals in: Handelsblatt online, Steuerboard, 17. Januar 2018