Laut aktuellem German Venture Capital Barometer, das quartalsweise von der KfW zusammen mit dem Bundesverband Deutsche Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK) und dem Deutsche Börse Venture Network für das Handelsblatt berechnet wird, ist die Stimmung auf dem deutschen VC-Markt – mit Ausnahme des ersten Coronajahrs 2020 – so schlecht wie seit 20 Jahren nicht mehr. Der im Investorenbarometer ermittelte Indikator für die aktuelle Geschäftslage fiel auf -41,2 Saldenpunkte (-28,9 Zähler), der Indikator für die Geschäftserwartung auf -44,7 Saldenpunkte (-22,2 Zähler). Nachdem es im Spätsommer noch so aussah, als habe die Talfahrt ein Ende, untermauerte das vierte Quartal die anhaltende Eintrübung im Verlauf des vergangenen Jahres. „Offenbar rückten mit dem Jahresabschluss die aufgrund der Jahresentwicklung notwendigen Wertberichtigungen nochmals in den Fokus und drückten die Stimmung“, so KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib.
Die steigenden Zinsen machen Staats- und Unternehmensanleihen wieder attraktiver für institutionelle Geldgeber, die hier nun häufig zu Ungunsten der deutlich risikoreicheren VC-Fonds umschichten. Hinzu kommt eine deutliche Zurückhaltung der für den deutschen Markt wichtigen US-Investoren, die sich nach der Insolvenz der Kryptobörse FTX im November 2022 nun neu sortieren müssen.
Start-ups schalten in den Krisenmodus
Für viele Start-ups und junge Unternehmen heißt es nun: Augen zu und durch. „Der Fokus in diesem Jahr liegt darauf, das eigene Überleben zu sichern“, meint auch Michael Wax, Chef und Mitgründer der Frachtvermittlungsplattform Forto, gegenüber dem Handelsblatt. Jeder müsse strikte Kostendisziplin bewahren und das eigene Geschäft sichern. Wax hat daher den Großteil des eingesammelten Kapitals aus der jüngsten Finanzierungsrunde noch auf dem Konto. „Wir rechnen nicht damit, dass sich an der abgekühlten Finanzierungslandschaft so schnell etwas ändert.“
KfW-Chefvolkswirtin Köhler-Geib ist da optimistischer. „Die mittelfristig guten Aussichten für die VC-Investitionstätigkeit hellen den Jahresanfang 2023 auf: Die Investitionsmittel, die insbesondere junge Fonds noch von ihren Fondsinvestoren abrufen können, sind trotz des widrigen gesamtwirtschaftlichen Umfelds weiter gestiegen.“ Zudem habe der INVEST-Zuschuss, der für Business Angels ein wichtiger Investitionsanreiz ist, einen „glücklichen schnellen Neustart“ hingelegt.
Auch Ulrike Hinrichs, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des BVK, wertet die nach wie vor bestehende Kapitalstärke vieler Fonds als gutes Zeichen. Denn trotz der „misslichen Rahmenbedingungen“ hätten in 2022 eine Vielzahl neuer VC-Fonds geschlossen werden können. Dennoch: Dass sich die Zurückhaltung der US-Investoren immer noch so deutlich auf den deutschen Markt auswirke, zeige einmal mehr, wie wichtig eine Stärkung des deutschen Standortes sei, so Hinrichs. „Um den deutschen Markt robuster und in Krisen resilienter zu machen, bedarf es einer kapitalstarken einheimischen Szene mit starker deutscher Investorenbasis. Hieran gilt es gemeinsam mit Marktteilnehmern und Politik zu arbeiten.“
Neue Geschäftsfelder rücken in den Fokus
Wie so oft gilt: Jede Krise birgt auch neue Chancen. Denn das aktuelle Investorenbarometer zeigt auch: So günstig wie jetzt wurden die Einstiegsmöglichkeiten seit Jahren nicht bewertet. Aufgrund der derzeit niedrigen Unternehmensbewertungen ist der Stimmungsindikator für die Einstiegspreise bei Neuinvestitionen im vierten Quartal 2022 auf den höchsten Stand seit zehn Jahren geklettert. Und Investoren stehen bereits in den Startlöchern, um in „neue“ Geschäftsfelder zu investieren. Neben Klimatechnologien, die nach wie vor ganz oben auf der Liste vieler Investoren stehen, rücken künstliche Intelligenz und die Rüstungssparte in den Blick. Gerade Letztere habe aktuell viel Potenzial, so Julian Riedlbauer, Partner bei GP Bullhound, wobei sich das Interesse der Investoren aber auf sogenannte Dual-Use-Technologien fokussiere, die neben dem militärischen auch eine zivilen Verwendungszweck hätten.
Zum Investorenbarometer:
Das German Venture Capital Barometer wird unter den Mitgliedern des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften, (seit dem 2. Quartal 2021) den Mitgliedsinvestoren des Deutsche Börse Venture Networks sowie weiteren Beteiligungsgesellschaften mit Sitz in Deutschland vierteljährlich erhoben. Berichtet wird das Marktklima auf dem deutschen Venture Capital-Markt auf Basis der Einschätzungen von Beteiligungsgesellschaften mit einem Fokus auf jungen Unternehmen.
Die Stimmung im vierten Quartal:
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