Die deutsche unbeschränkte Erbschaft- bzw. Schenkungsteuerpflicht tritt grundsätzlich für den gesamten Vermögensanfall ein, wenn entweder der Erblasser bzw. Schenker oder der Erwerber im Steuerentstehungszeitpunkt Inländer waren (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Erbschaftsteuergesetz „ErbStG“). Inländer sind für diese Zwecke Personen, die im Inland ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Daneben gelten als Inländer deutsche Staatsangehörige, die sich noch nicht länger als fünf Jahre im Ausland aufgehalten haben, ohne dass ein Wohnsitz im Inland besteht (erweiterte unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 i. V. m. S. 2 Buchst. b) ErbStG). Im Verhältnis zur USA verlängert sich diese Frist in bestimmten Fällen auf zehn Jahre.
Nicht zu verwechseln ist die erweiterte unbeschränkte mit der erweiterten beschränkten Erbschaftsteuerpflicht (§ 4 Außensteuergesetz „AStG“). Mit dieser wird bei Wegzug des beschränkt erbschaftsteuerpflichtigen Erblassers bzw. Schenkers in ein einkommensteuerrechtlich niedrig besteuertes Gebiet u. U. das der Steuer unterliegende Inlandsvermögen erweitert.
Die erweiterte unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht kann dazu führen, dass neben dem in Deutschland belegenen Vermögen auch das gesamte Auslandsvermögen eines weggezogenen Erblassers beziehungsweise im Fall der Schenkung das gesamte übertragene Vermögen der deutschen Erbschaftsteuerpflicht unterliegt (Weltvermögensprinzip). Knüpft der Zuzugsstaat daneben an den neuen Wohnsitz an, unterliegt der Vermögensanfall in zwei Jurisdiktionen nach ihren jeweiligen nationalen Vorschriften der unbeschränkten Steuerpflicht. Besteht kein Doppelbesteuerungsabkommen für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer zwischen dem Zuzugsstaat und Deutschland (was der Regelfall ist), kann es zu einer Doppelbelastung für den Steuerpflichtigen kommen.
Diese Doppelbelastung fängt das deutsche Steuerrecht zumindest insoweit auf, als dass die ausländische Steuer unter gewissen Voraussetzungen auf die deutsche Steuer angerechnet werden kann (§ 21 ErbStG). In den Fällen, in denen z.B. mangels Vergleichbarkeit der Steuer keine Anrechnung zur Anwendung kommt, bleibt es grundsätzlich bei der Doppelbelastung.
Inwieweit die erweiterte unbeschränkte Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht und ihre Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit eines Wegziehenden verfassungs- und europarechtskonform ist, wurde seit einiger Zeit in der Literatur diskutiert. In diesem Spannungsfeld erging das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12.10.2022 (Az.: II R 5/20).
Sachverhalt
Im zugrundeliegenden Fall waren der Kläger sowie dessen Mutter deutsche Staatsangehörige. Im Jahr 2011 gaben beide ihren Wohnsitz in Deutschland auf und zogen in die Schweiz. Kurz nach dem Umzug schenkte die Mutter dem Kläger ein in der Schweiz belegenes Grundstück. Nachdem die Mutter des Klägers zwei Jahre später verstarb, setzte der Kläger das Finanzamt im Rahmen des Erbschaftsteuerverfahrens von der Grundstücksschenkung in Kenntnis. Das deutsche Finanzamt setzte in der Folge Schenkungsteuer für den Erwerb fest. In der Schweiz war der Erwerb des Grundstücks von der Schenkungsteuer befreit. Der Einspruch des Klägers blieb überwiegend ohne Erfolg.
Nach erfolglosem Einspruch hatte auch die Klage vor dem Finanzgericht keinen Erfolg (FG München, Urteil vom 03.07.2019 – 4 K 1286/18). Der Kläger machte im Wesentlichen geltend, die erweiterte unbeschränkte Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht sei verfassungs- und unionsrechtswidrig. Es sei nicht mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz, „GG“) vereinbar, dass die steuerliche Behandlung Wegziehender mit deutscher Staatsangehörigkeit und Wegziehender ohne deutsche Staatsangehörigkeit derart unterschiedlich sei. Unter dem Aspekt der Ausreisefreiheit sei zudem seine allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie in unionsrechtlicher Hinsicht die Kapitalverkehrsfreiheit verletzt. Wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits sah der Kläger schließlich einen Verstoß gegen das Gebot der Belastungsgleichheit. Das Finanzgericht folgte der Ansicht des Klägers nicht und wies die Klage ab. Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner Revision.
Entscheidung des BFH
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück und erklärte § 2 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 i. V. m. S. 2 Buchst. b) ErbStG für verfassungs- und unionsrechtskonform.
Die Ungleichbehandlung wegziehender Steuerpflichtiger mit deutscher Staatsangehörigkeit gegenüber solchen ohne deutsche Staatsangehörigkeit sei hinreichend gerechtfertigt. Insbesondere sei die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit ein nicht zu beanstandendes Differenzierungsmerkmal womit der Gesetzgeber im Rahmen seines weitreichenden Gestaltungsspielraums einen gleichrangigen Tatbestand neben der Anknüpfung an den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt geschaffen habe. Aus Gesetzessystematik und -historie sei nicht ersichtlich, dass Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt ein generell vorrangiges Merkmal zur Bestimmung der unbeschränkten Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht sei. Schließlich habe der Gesetzgeber durch die Beschränkung auf fünf Jahre hinreichend berücksichtigt, dass der Inlandsbezug des deutschen Staatsangehörigen mit fortschreitender Zeit im Ausland verblasse.
Im Hinblick auf die unionsrechtlichen Bedenken des Klägers verwies der BFH auf die in ähnlichem Zusammenhang ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH vom 23.02.2006 – C-513/03, van Hilten – van der Heijden). Verfahrensgegenständlich war dort eine niederländische Regelung, wonach der Übergang eines Nachlasses innerhalb von zehn Jahren nach dem Wegzug unter gewissen Voraussetzungen so besteuert wird, als sei der Wegzug nicht erfolgt. Die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht sei damit im Wesentlichen vergleichbar, sodass deren unionsrechtliche Unbedenklichkeit als geklärt angesehen werden könne. Dabei sei zu berücksichtigen, dass auch das deutsche Erbschaftsteuerrecht eine Anrechnungsmöglichkeit der ausländischen Steuer vorsehe (§ 21 ErbStG). Einen Verstoß gegen das bestehende Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz konnte der BFH ebenfalls nicht erkennen.
Fazit
Die verfahrensgegenständlichen Rechtsfragen dürften mit ihren verfassungs- und unionsrechtlichen Bezügen für den Steuerpflichtigen auf den ersten Blick theoretischer Natur sein. Die erweiterte unbeschränkte Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht kann jedoch ganz konkrete und erhebliche steuerliche Nachteile für die Beteiligten mit sich bringen. Insbesondere wenn der Wegzug in ein Land geplant ist, bei dem die Anrechnung der ausländischen Steuer in Deutschland problematisch ist und kein Doppelbesteuerungsabkommen auf dem Gebiet der Erbschaft- und Schenkungsteuer besteht, drohen steuerliche Doppelbelastungen. Die Anrechnung in Deutschland ist typischerweise dann problematisch, wenn in einem Land die Erbschaft- oder Schenkungsteuer systematisch anders umgesetzt ist als in Deutschland (z.B. in Kanada als eine Art fiktive Kapitalgewinnsteuer: capital gains tax on deemed disposition on death). Insofern ist auch dieser Hinsicht dringend zu empfehlen, sich vor dem Wegzug vorausschauend steuerlich beraten zu lassen. Zwar dürfte die Vermeidung der erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht im Hinblick auf Erbfälle kaum zeitlich vorhersehbar sein. Sofern aber Gestaltungsüberlegungen z.B. im Zusammenhang mit Übertragungen zur vorweggenommenen Erbfolge im Raum stehen, können durch zeitliche Verlagerung der Schenkungen eine Besteuerung in Deutschland und so auch etwaige Anrechnungsfragen vermieden werden. Im Übrigen könnte die Entscheidung des BFH auch für andere steuerliche Regelungen bedeutsam sein, die in ähnlicher Weise an die Staatsangehörigkeit anknüpfen (beispielsweise i. R. d. erweiterten beschränkten Erbschaftsteuerpflicht s. o.).