Eine der zentralen Aufgaben von Gesellschaftern ist es, einen belastungsfähigen Ordnungsrahmen für ihr Unternehmen zu schaffen. Die Schaffung dieses Ordnungsrahmens beginnt bei der Formulierung des Gesellschaftsvertrags, erschöpft sich darin allerdings nicht. Vielmehr ist ein laufendes Monitoring der sich ändernden tatsächlichen sowie zivil- und steuerrechtlichen Umstände erforderlich, um möglichst schnell notwendige Anpassungen des Gesellschaftsvertrags vornehmen zu können. Denn es kommt regelmäßig zu zivil- und finanzgerichtlichen Verfahren, die ihren Ursprung in veralteten Regelungen eines Gesellschaftsvertrags haben. Als gutes Beispiel dient dafür eine aktuelle Entscheidung des BFH (BFH, Beschluss v. 14.3.2022 – II B 25/21), die eine Abfindungsklausel zum Gegenstand hatte.
Abfindungsklauseln
Da sich die Höhe des Abfindungsanspruchs ausscheidender Gesellschafter grundsätzlich aus dem Verkehrswert ihrer jeweiligen Beteiligung ableitet, haben Gesellschafter regelmäßig (insbesondere zur Sicherung der Liquidität der Gesellschaft) das Interesse, Abfindungen ausscheidender Gesellschafter zu beschränken.
Abfindungsklauseln sind zulässig, ihrer Gestaltung sind jedoch Grenzen gesetzt. Gesellschaftsrechtlich sieht der BGH solche Abfindungsklauseln als problematisch an, bei denen es zu einem groben Missverhältnis zwischen dem gesellschaftsvertraglich vorgesehen Abfindungsbetrag und dem Verkehrswert des Gesellschaftsanteils kommt. Besteht das grobe Missverhältnis bereits bei Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag und kann nicht mehr durch ein Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt werden, ist die Abfindungsklausel nichtig (Wirksamkeitskontrolle). Ist das grobe Missverhältnis erst im Laufe der Zeit entstanden, bleibt die ursprünglich in den Gesellschaftsvertrag aufgenommene Abfindungsklausel wirksam. Allerdings kann sich die Gesellschaft in diesem Fall nach Treu und Glauben nicht auf die Abfindungsklausel berufen. Der Abfindungsanspruch entsteht dann nicht in Höhe des Verkehrswerts, sondern in angemessener Höhe.
Geschäftsanteil im Nachlass und Sonderregelung des § 10 Abs. 10 ErbStG
Geschäftsanteile einer GmbH sind zwingend vererblich, d.h. der Geschäftsanteil fällt in den Nachlass und geht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den oder die Erben über (§ 1922 BGB). Dieser Vorgang ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG steuerbar.
Die Bemessung der Erbschaftsteuer bestimmt sich grundsätzlich nach dem gemeinen Wert des Geschäftsanteils im Zeitpunkt des Erbfalls (§§ 12 Abs. 2 ErbStG, 11 BewG). Fraglich ist jedoch, ob der gemeine Wert des Geschäftsanteils die Bereicherung des Erben in den Fällen der Zwangseinziehung bzw. Zwangsabtretung gegen eine reduzierte Abfindung zutreffend abbildet, da der Geschäftsanteil bereits bei Übergang mit der Zwangseinziehung bzw. Zwangsabtretung belastet ist. Für diesen Fall sieht § 10 Abs. 10 Satz 2 ErbStG, der im Gesetz systematisch an der falschen Stelle verortet ist, eine Sonderregelung vor, wonach nur der Abfindungsanspruch des oder der Erben zum Vermögensanfall zählt, nicht aber der Geschäftsanteil selbst.
10 Abs. 10 Satz 2 ErbStG setzt zunächst voraus, dass der ererbte Geschäftsanteil „aufgrund einer […] im Gesellschaftsvertrag“ entweder von dem oder den Erben „unverzüglich nach dessen Erwerb“ an die Mitgesellschafter (nicht an die Gesellschaft!) übertragen (Zwangsabtretung) oder von der Gesellschaft eingezogen wird. Darüber hinaus muss der steuerliche Wert des Geschäftsanteils über dem gesellschaftsvertraglich festgelegten Abfindungsanspruch liegen. Es kommt daher nicht auf die tatsächliche Abfindungshöhe an, sondern allein darauf, in welcher Höhe der Gesellschaftsvertrag eine Abfindung zubilligt.
BFH, Beschluss v. 14.3.2022 – II B 25/21
Der aus dem Jahr 1989 stammende GmbH-Gesellschaftsvertrag im vorliegenden BFH-Fall sah für den Fall des Todes eines Gesellschafters vor, dass die Gesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen den ererbten Geschäftsanteil „gegen Zahlung eines Abfindungsentgeltes, das dem realen Wert seines Anteils entspricht, bewertet nach den steuerrechtlichen Bewertungsrichtlinien in der jeweils gültigen Fassung (sog. Anteilsbewertung nach dem Stuttgarter Verfahren)“ erwerben und einziehen konnte. Nachdem die 30%-GmbH-Beteiligung der Erblasserin von Todes wegen zu je ½ auf ihre beiden Kinder übergangen war, erwarb die Gesellschaft auf Basis dieser Klausel die Beteiligung eines Erben (15%), der zugleich Kläger im gegenständlichen Verfahren war, für EUR 523.000,00. Dieser Wert war nach dem Stuttgarter Verfahren ermittelt worden. Daran sah sich die Finanzverwaltung nicht gebunden. Nachdem für den Anteil der Erblasserin ein Wert von EUR 1.407.863,00 gesondert festgestellt worden war, setzte das Finanzamt Erbschaftsteuer gegenüber dem Kläger fest, und zwar ausgehend von einem Anteilswert von EUR 703.931,00. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem FG Düsseldorf (FG Düsseldorf, Urt. v. 10.3.2021 – 4 K 741/20 Erb) blieb ohne Erfolg.
Auslegung der Abfindungsklausel
Im vorliegenden Verfahren ging es nicht um die gesellschaftsrechtliche Wirksamkeit der Abfindungsklausel, sondern um die Frage der Bewertung des von Todes wegen übergegangenen Geschäftsanteils. Dafür musste der BFH die Abfindungsklausel auslegen. Die Auslegung von Regelungen des Gesellschaftsvertrags einer GmbH erfolgt nach objektiven Gesichtspunkten einheitlich aus sich heraus nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie ihrem systematischen Bezug zu anderen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags, da der Gesellschaftsvertrag einer GmbH korporationsrechtlicher Natur ist.
Der BFH erkannte ungeachtet der juristischen Ungenauigkeit in der Verwendung des Begriffs „realer Wert“ in der gegenständlichen Abfindungsklausel eine dynamische Verweisung auf die jeweils geltenden steuerrechtlichen Bewertungsvorschriften. Der ausdrückliche Bezug auf das Stuttgarter Verfahren, welches vor seiner Ablösung durch das vereinfachte Ertragswertverfahren im Jahr 2009 regelmäßig zu einer für den Steuerpflichtigen günstigen Bewertung von nicht notierten Kapitalgesellschaftsanteilen geführt hat, sei lediglich als Erläuterung zur Anwendung der Regelung im Zeitpunkt ihrer Entstehung zu verstehen. An diesem Ergebnis ändert sich auch dann nichts, wenn die Beteiligten die Abfindungsklausel übereinstimmend anders ausgelegt haben sollten.
Fazit
Der Entscheidung des BFH ist uneingeschränkt zuzustimmen. Der klare Wortlaut der Abfindungsklausel hätte keine andere Auslegung zugelassen. Der Rechtsanwender kann den gegenständlichen Beschluss zum Anlass nehmen, sich erneut folgende Punkte vor Augen zu führen:
- In den Fällen der Zwangseinziehung bzw. Zwangsabtretung kann nur der Abfindungswert zum Vermögensanfall gehören. Dafür muss der gesellschaftsrechtlich festgestellte Abfindungsanspruch zwingend geringer sein, als der steuerliche Wert des betreffenden Geschäftsanteils.
- Subjekte Vorstellungen der Beteiligten bleiben bei der Auslegung korporationsrechtlicher Bestimmungen außer Betracht. Entscheidend ist allein der objektive Erklärungswert.
- Der Gesellschaftsvertrag ist laufend zu überprüfen. Regelungen, die nicht mehr der jeweils aktuell geltenden Gesetzeslage entsprechen, sind schnellstmöglich anzupassen. Dynamische Verweise (z.B. in Abfindungsklauseln auf bestimmte Bewertungsverfahren) können in diesem Zusammenhang hilfreich sein.