Wie in jedem Jahr sieht auch der Regierungsentwurf des Jahressteuergesetzes 2022 (JStG 2022, BT-Drs. 20/3879) Änderungen in den verschiedensten Bereichen des Steuerrechts vor, für die der Gesetzgeber fachlich notwendigen Änderungsbedarf sieht. Besondere praktische Relevanz haben aktuell die geplanten Änderungen der Vorschriften der Grundbesitzbewertung nach dem Bewertungsgesetz (BewG) für die erbschaft- und schenkungsteuerliche Bewertung von Immobilien.
Aufgrund der Änderung einzelner Parameter der Immobilienbewertung können ab 1. Januar 2023 deutlich höhere Werte nach § 12 ErbStG maßgeblich sein. Demnach kann es bei der unentgeltlichen Übertragung von Immobilien oder Anteilen an Immobiliengesellschaften zu einer höheren erbschaft- und schenkungsteuerlichen Belastung kommen. Die vorgesehenen Änderungen des BewG wirken sich auch auf die Grunderwerbsteuer aus, sofern – wie etwa bei einem Share Deal – für die Bemessungsgrundlage der Grundbesitzwert ermittelt werden muss.
Den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzesentwurf hat der Bundestag am 14. Oktober 2022 beraten und an den Finanzausschuss überwiesen. Es ist vorgesehen, dass die geänderten Vorschriften für Bewertungsstichtage nach dem 31. Dezember 2022 zur Anwendung kommen (§ 265 Abs. 14 BewG-E). Im Folgenden haben wir die wichtigsten der geplanten Änderungen des BewG zusammengefasst.
Die Änderungen zur Immobilienbewertung im Überblick
- Änderung einzelner Parameter im Ertragswertverfahren (relevant für Mietwohngrundstücke, Geschäftsgrundstücke und gemischt genutzte Grundstücke), insbesondere Liegenschaftszinssätze und Bewirtschaftungskosten
- Änderung einzelner Parameter im Sachwertverfahren (relevant für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Wohn- und Teileigentum ohne Vergleichswerte), insbesondere neu eingeführter Regionalfaktor und Alterswertminderungsfaktor sowie höhere Wertzahlen
- Vollständige Neuregelung der Wertermittlung in Erbbaurechtsfällen
- Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung von Feststellungserklärungen
Anlass für die Änderungen des Bewertungsgesetzes
Die geplanten Änderungen des BewG sollen das Ertrags- und Sachwertverfahren zur Bewertung bebauter Grundstücke sowie die Verfahren zur Bewertung in Erbbaurechtsfällen und Fällen mit Gebäuden auf fremdem Grund und Boden an die 2021 geänderte Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) (BGBl. I S. 2805) anpassen. Die Neufassung der ImmoWertV diente insbesondere der Anwendung einheitlicher Grundsätze im Interesse der Verwertbarkeit der von den Gutachterausschüssen ermittelten und den Finanzämtern nach BauGB mitzuteilenden Daten. Diese führte die schon durch das Erbschaftsteuerreformgesetz 2008 reformierte Grundbesitzbewertung in enger Anlehnung an die Verkehrswertermittlungsvorschriften fort.
Die wesentlichen Änderungen im Einzelnen
Änderungen im Ertragswertverfahren (§§ 184 ff. BewG)
Das Ertragswertverfahren gilt grundsätzlich für die Bewertung von Mietwohngrundstücken, Geschäftsgrundstücken und gemischt genutzten Grundstücken.
Ermittlung des Gebäudeertragswerts
Bei der Ermittlung des Gebäudeertragswerts implementiert der Gesetzgeber eine wesentliche Erhöhung der Immobilienbewertung. Da die Gesamtnutzungsdauer von Ein- und Zweifamilienhäusern, Mietwohngrundstücken, Wohnungseigentum sowie von gemischt genutzten Grundstücken von 70 auf 80 Jahre erhöht wird (Anl. 22 BewG-E), erhöht sich auch die jeweilige Restnutzungsdauer entsprechend. Dies führt im Ergebnis zu einer höheren Kapitalisierung des Reinertrags.
Bewirtschaftungskosten
Der Gesetzgeber nimmt Abstand von dem bisher geltenden pauschalen Ansatz der Bewirtschaftungskosten. Es ist nun vorgesehen, dass sich die Bewirtschaftungskosten aus Verwaltungs- und Instandhaltungskosten und dem Mietausfallwagnis zusammensetzen (Anlage 23 BewG-E). Die Bewertung bleibt also nicht mehr über Jahre gleich, sondern wird jährlich an den vom Statistischen Bundesamt festgestellten Verbraucherpreisindex für Deutschland angepasst. Dadurch wird die Bewertung präziser an der Entwicklung der Marktwerte ausgerichtet. Da also nicht mehr auf möglicherweise veraltete Mittelwerte zurückgegriffen wird, dürfte hieraus ebenfalls in vielen Fällen eine höhere Immobilienbewertung resultieren.
Liegenschaftszinssätze
Neben der Erhöhung der Gesamtnutzungsdauer ist die für die Immobilienbewertung relevanteste Änderung die Anpassung der Liegenschaftszinssätze an das Marktniveau (§ 188 Abs. 2 S. 2 BewG-E). Beim Liegenschaftszinssatz handelt es sich vereinfacht gesagt um eine Rentabilitätskennzahl, die für die Ermittlung weiterer Bewertungsgrößen und für das Gesamtergebnis maßgeblich ist. Ein hoher Liegenschaftszinssatz führt in der Regel zu einem niedrigeren Immobilienwert. In Ballungsräumen gibt es von den lokalen Gutachterausschüssen oftmals konkrete, an die Marktsituation angepasste Werte. Sollten jedoch keine Werte des Gutachterausschusses vorliegen, konnten in der Vergangenheit die im Vergleich recht hohen gesetzlich vorgegebenen pauschalierten Liegenschaftszinssätze (§ 188 BewG) angewendet werden. Der Gesetzgeber hat diesen Hebel erkannt und plant beispielsweise den Liegenschaftszinssatz für Mietwohngrundstücke von 5% auf 3,5% zu reduzieren. Im Einzelfall geht damit eine erhebliche Werterhöhung einher.
Änderungen im Sachwertverfahren (§§ 189 ff. BewG)
Von den Änderungen bei der Ermittlung des Sachwerts sind insbesondere Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Wohnungs- oder Teileigentum betroffen, sofern für diese keine geeigneten Vergleichswerte vorliegen, was in der Praxis oftmals der Fall ist. Durch die Anpassung der Wertzahlen an das aktuelle Marktniveau sind auch hier höhere Immobilienbewertungen zu erwarten.
Ermittlung des Gebäudesachwerts
Nach dem Regierungsentwurf gilt ein geändertes Verfahren zur Ermittlung des Gebäudesachwerts (§ 190 BewG-E), welches sich strukturell an die Ermittlung des Sachwerts baulicher Anlagen nach der ImmoWertV anlehnt. Der Gebäudesachwert ermittelt sich nun durch Multiplikation der durchschnittlichen Herstellungskosten des Gebäudes mit dem neu eingeführten Regionalfaktor sowie dem Alterswertminderungsfaktor (§ 190 Abs. 5 und 6 BewG-E).
Der Regionalfaktor berücksichtigt den Unterschied zwischen dem bundesdurchschnittlichen und dem regionalen Baukostenniveau (§ 190 Abs. 5 BewG-E). Demnach sind die Regelherstellungskosten im Sinne der ImmoWertV mit den von den Gutachterausschüssen bei der Ableitung der Sachwertfaktoren (§ 191 S. 1 BewG) zugrunde gelegten Regionalfaktoren zu berücksichtigen.
Die Ermittlung des Alterswertminderungsfaktors wird entsprechend der ImmoWertV geregelt (§ 190 Abs. 6 BewG-E). Die Ablösung der bisherigen Alterswertminderung (§ 190 Abs. 4 BewG) durch den Alterswertminderungsfaktor (§ 190 Abs. 6 BewG-E) soll laut Gesetzesbegründung im Ergebnis jedoch wertneutral erfolgen.
Wertzahlen
Auch die Höhe der Wertzahlen wird an das aktuelle Marktniveau angepasst (§ 191 Abs. 2 BewG-E). Als Wertzahlen gelten die von den Gutachterausschüssen (§§ 192 ff. BauGB) ermittelten Sachwertfaktoren. Sofern solche nicht zur Verfügung stehen, sind die in der Anlage 25 bestimmten und nunmehr ebenfalls an das Marktniveau angepassten Wertzahlen zu verwenden.
Bewertung in Sonderfällen (§§ 192 ff. BewG)
Vollständig neu geregelt hat der Gesetzgeber die Bewertungsvorschriften für Erbbaurechtsfälle (§§ 192 ff. BewG). Die Wertermittlung erfolgt nun vorrangig auf Grundlage des Wertes des unbelasteten Grundstücks. Sofern dies nicht möglich ist, soll die Wertermittlung anhand des finanzmathematischen Wertes des Erbbaurechts bzw. Erbbaugrundstücks vorgenommen werden. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich ausdrücklich, dass die Verfahrensvariante zur Ermittlung des Werts des Erbbaurechts aus Vergleichspreisen für veräußerte Erbbaurechte im Sinne der ImmoWertV aus Praktikabilitätsgründen nicht übernommen wird.
Auch die Wertermittlung für Gebäude auf fremdem Grund und Boden (§ 195 BewG) wurde angepasst und soll nun methodisch analog zur Wertermittlung in Erbbaurechtsfällen erfolgen. Ob die Änderungen im Vergleich zu höheren Bewertungen führen, muss jeweils im Einzelfall geprüft werden.
Folgen für die Grunderwerbsteuer bei Share Deals
Die Änderungen des BewG wirken sich auch auf die Grunderwerbsteuer aus, etwa bei Share Deals. Die Bemessungsgrundlage ist in diesen Fällen nicht der Kaufpreis, sondern der Grundbesitzwert, der wiederum nach dem BewG ermittelt werden muss. In der Praxis ist oftmals das Ertragswertverfahren anzuwenden, da es sich häufig um Miet- und Geschäftsgrundstücke handelt. Auch hier sind Werterhöhungen aufgrund der genannten Änderungen bei der Ermittlung des Gebäudeertragswertes, den Bewirtschaftungskosten sowie den Liegenschaftszinssätzen zu erwarten.
Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung
Die Verpflichtung zur elektronischen Abgabe der Erklärungen existiert bereits für verschiedene Steuerarten (z.B. Einkommen-, Körperschafts- und Umsatzsteuer). Nun ist auch bei den geplanten Änderungen vorgesehen, dass Feststellungserklärungen zukünftig elektronisch übermittelt werden müssen (§ 153 Abs. 4 BewG-E). Für besondere Härtefälle können Ausnahmen gemacht werden. Allerdings ist derzeit noch unklar, ab wann diese Verpflichtung eintreten wird, da noch nicht alle Finanzämter über die technischen Voraussetzungen für die Entgegennahme der elektronisch abzugebenden Erklärungen verfügen.
Fazit
Die Anpassung der Bewertungsvorschriften durch das JStG 2022 führt insgesamt zu einer realitätsnäheren Immobilienbewertung und trägt damit auch der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts Rechnung, die gleichmäßige Besteuerung von Schenkungen und Erbschaften anhand von Verkehrswerten sicherzustellen. Dies geht mit einer höheren Steuerbelastung bei unentgeltlichen Übertragungen sowie bei grunderwerbsteuerbaren Share Deals ab dem 1. Januar 2023 einher. Es ist zu erwarten, dass der Gesetzgeber diese Änderungen noch in diesem Jahr verabschieden wird. Von der Werterhöhung besonders betroffen sind Immobilien, die im Ertrags- oder Sachwertverfahren bewertet werden, also Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Wohnungs- oder Teileigentum, für die keine Vergleichswerte vorliegen. Zwar gewährt das Gesetz dem Steuerpflichtigen nach wie vor die Möglichkeit, einen geringeren Wert durch Gutachten nachzuweisen (§ 198 BewG). Angesichts des Preisniveaus am Immobilienmarkt wird dies jedoch nicht immer gelingen.