Der wirtschaftliche Kern einer Venture Capital-Transaktion besteht in der Gewährung von (Eigen)Kapital gegen Gewährung einer Beteiligung an einer Zielgesellschaft (dem Start-up). Einer solchen Beteiligung wird stets eine Bewertung der Gesellschaft (die sogenannte Fully-diluted Pre-Money-Bewertung) zum Einstiegszeitpunkt zugrunde gelegt. In den Bewertungen ist typischerweise ein zukunftsbezogener Erwartungswert enthalten. Diese Bewertungen waren in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, insbesondere aufgrund des günstigen Marktumfelds und der kompetitiven Situation zwischen den Venture Capital-Investoren.
Die derzeitige Inflations- und Rezessionswahrscheinlichkeit, der andauernde Ukraine-Konflikt sowie die Energiekrise führen aktuell zu Unsicherheiten im Venture Capital-Markt. Investoren agieren – unabhängig von der Liquiditätshöhe – zurückhaltender beziehungsweise vorsichtiger bei ihren Investments. Sie möchten zum einen nicht auf Basis einer vermeintlich zu hohen Bewertung investieren und sich zum anderen bis zu einer Marktstabilisierung auf das Bestandsportfolio fokussieren können, um dieses durch die Krise zu begleiten.
Neue Vertragsbedingungen in Sicht
Eine sich bereits abzeichnende Folge der Marktunsicherheiten ist, dass Zielgesellschaften mit niedrigeren Bewertungen bepreist werden und die Verhandlungsposition der investitionswilligen Investoren gegenüber den Zielgesellschaften, die aktuell auf frisches Kapital angewiesen sind, stärker wird. Aus Gestaltungssicht in Bezug auf die typischen Vertragswerke, die einem Venture Capital-Investment zugrunde liegen, ist zu erwarten, dass sich auch die Rahmenbedingungen bezüglich der in jedem Vertrag enthaltenen sogenannten Liquidation Preference und der Downround Protection ändern werden.
Liquidation Preference
Ziel einer Venture Capital-Beteiligung ist in der Regel der Exit auf Grundlage einer seit der Investition gestiegenen Unternehmensbewertung. Das inhärente Risiko eines Risikokapitalinvestments ist also, dass sich die wirtschaftliche Lage der Zielgesellschaft nach dem Einstieg des Investors verschlechtert.
Dieses Risiko wird durch Vereinbarung von Liquidation Preferences teilweise mitigiert. Liquidation Preferences berechtigen den jeweiligen Investor, an den Erlösen aus der Liquidation einer Gesellschaft oder einem Exit, also einer das Unternehmen betreffenden Veräußerungstransaktion (in der Regel mehr als 50% der Anteile oder Assets eines Unternehmens), gegenüber den Gründern und früheren Investoren vorrangig zu partizipieren. In der gründerfreundlichen Marktlage der vergangenen Jahre hatte sich eine anrechenbare (sogenannte Non-participating) Liquidation Preference mit einfachem Multiple als Standard etabliert. Danach erhalten die durch die Liquidation Preference bevorzugten Investoren aus den Exit- beziehungsweise Liquidationserlösen zunächst vorrangig den Betrag ihrer Investition. Der verbleibende Erlös wird im Anschluss unter sämtlichen Gesellschaftern unter Einschluss der bevorzugten Investoren pro rata im Verhältnis zur jeweiligen Beteiligung verteilt, wobei die aufgrund der Liquidation Preference vorab erhaltenen Beträge im Rahmen der Pro-rata-Verteilung wieder angerechnet werden.
Bei der einfachen anrechenbaren Liquidation Preference mit einfachem Multiple handelt es sich somit lediglich um eine Absicherung („Downside Protection“) des Investments. Entspricht oder übersteigt der bei reiner Pro-rata-Verteilung auf den bevorzugten Gesellschafter entfallende Betrag den Betrag seiner Investition, wirkt sich die anrechenbare Liquidation Preference mit einfachem Multiple im wirtschaftlichen Ergebnis nicht aus. In der aktuellen, sehr volatilen Marktlage ist zu erwarten, dass die Investoren ihre verbesserte Verhandlungsposition dazu nutzen werden, nicht anrechenbare (sogenannte Participating) Liquidation Preferences beziehungsweise Liquidation Preferences mit einem gewissen Multiple durchzusetzen. Bei einer nicht anrechenbaren Liquidation Preference erhalten die bevorzugten Investoren vorab aus den Exit- beziehungsweise Liquidationserlösen den Betrag ihrer Investition.
Bei der anschließenden Pro-rata-Verteilung der verbleibenden Erlöse wird der vorab aufgrund der nicht anrechenbaren Liquidation Preference erhaltene Betrag nicht berücksichtigt. Diese Gestaltung erschöpft sich demnach nicht in der Absicherung der Investition gegen die wirtschaftliche Verschlechterung der Unternehmenslage, sondern führt bei einer positiven Unternehmensentwicklung zu einer im Verhältnis zur jeweiligen Beteiligung überproportionalen Partizipation der bevorzugten Gesellschafter am Exit- beziehungsweise Liquidationserlös.
Wird die Liquidation Preference dann noch mit einem Multiple-Faktor versehen, erhalten die bevorzugten Investoren aus dem Exit- beziehungsweise Liquidationserlös vorab den mit dem Multiple-Faktor multiplizierten Betrag ihrer jeweiligen Investition. Zu erwarten sind hier Multiples zwischen 1,5 und drei. Die Verwendung eines Multiple-Faktors kann sowohl mit einer anrechenbaren wie auch mit einer nicht anrechenbaren Liquidation Preference kombiniert werden.
Downround Protection
Bei der Bewertung der Zielgesellschaft im Rahmen einer Finanzierungsrunde stehen die Beteiligten regelmäßig vor der Herausforderung, dass eine Prognose über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung eines jungen Unternehmens mit besonderen Risiken verbunden ist. Dies gilt umso mehr bei den aktuellen, oben beschriebenen exogenen Faktoren. Aus Investorensicht besteht somit das Risiko, auf Grundlage einer zu optimistischen Prognose beziehungsweise daraus folgend einer zu hohen Bewertung der Zielgesellschaft zu investieren. Dieses Risiko adressieren Anti-Dilution-Schutzklauseln, indem sie im Falle einer nach dem Investment auf einer niedrigeren Unternehmensbewertung durchgeführten Finanzierungsrunde, einer sogenannten Downround, entweder den bevorzugten Investoren ein Bezugsrecht neuer Anteile zum Nennwert gewähren oder die Bestandsinvestoren verpflichten, den bevorzugten Investoren bestehende Anteile unentgeltlich zu übertragen.
In beiden Fällen geht der Verwässerungsschutz zulasten der Gründer beziehungsweise der Bestandsgesellschafter. In der ersten, in der Praxis weit überwiegend verwendeten Variante kommt es aufgrund der Ausgabe von neuen Anteilen zum Nominalwert zu einer Verwässerung der Beteiligungen der Gründer beziehungsweise Bestandsgesellschafter, und in der zweiten Variante verlieren die Gründer beziehungsweise Bestandsgesellschafter ihre Anteile direkt an die bevorzugten Investoren. In der gründerfreundlichen Marktlage der vergangenen Jahre haben sich Verwässerungsschutzklauseln durchgesetzt, wonach die bevorzugten Gesellschafter im Falle einer Downround so zu stellen sind, als hätten sie ihre Investition zu einem nach Investitionsvolumen gewichteten Durchschnittspreis zwischen dem Anteilspreis der Downround und dem von ihnen bezahlten (höheren) Preis getätigt (Weighted Average-Methode).
Die Weighted Average-Methode kommt in der Praxis in zwei Ausgestaltungen vor: Bei der (aktuell als Marktstandard) etablierten Broad Based Weighted Average-Methode werden bei der Berechnung des Durchschnittspreises sämtliche existierenden Anteile (inklusive Common Shares/Stammanteile) und wirtschaftlich künftig verwässernde Instrumente (wie Optionsrechte, Wandlungsrechte, virtuelle Anteile und Ähnliches) berücksichtigt. Bei der bisher ebenfalls häufig verwendeten Narrow Based Weighted Average-Methode wird der Durchschnittspreis dagegen nur unter Berücksichtigung der von den bevorzugten Investoren erworbenen Anteilen ermittelt. Im aktuellen Marktumfeld ist hingegen zu erwarten, dass Investoren die für sie günstige Full Ratchet-Methode als Bedingung für ein Investment durchsetzen wollen. Ein Full Ratchet-Verwässerungsschutz zielt darauf, die bevorzugten Investoren so zu stellen, als hätten sie ihre Investition zum Preis der Downround getätigt. Damit ist eine vollständige Absicherung „nach unten“ gewährleistet.
Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in: Venture Capital Magazin 5/2022, S. 28/29