Digitalisierung und neue Technologien verändern viele Branchen wie nie zuvor. Als digitale Fotografie erfunden wurde, mussten Nikon, Kodak und andere Hersteller, die damals die Branche dominiert haben, kämpfen und sich dramatisch anpassen, indem sie tausende von Mitarbeitern gekündigt und ihre Produkte und Fertigungslinien geändert haben. Kodak zum Beispiel war gezwungen, 2012 Insolvenz anzumelden, obwohl es damals sogar Pionier in der Forschung der Digitalkameras gewesen ist. Beispielhaft gab KPMG den Prozessen in den Unternehmen, die nicht auf die bahnbrechenden Veränderungen der Branche reagieren bis sie den „Point of no return” überschritten haben, den Namen „Kodakification”.
Neue Technologien haben viele Branchen wie Fertigung, Handel, Transport und Logistik, Medien, Finanzen, Verlage, Freizeit und Bildung dramatisch verändert. Aber auch in traditionellen Märkten wie der Rechtsberatung wandeln neue Technologien die Wettbewerbsregeln um. Daher ist es für die Kanzleien unerlässlich geworden, neue Trends aktiv zu beobachten und Methoden zu entwickeln, um sich an den strategischen technologischen Wandel anzupassen und langfristige Geschäftsmöglichkeiten zu entdecken.
Technologie
Der Begriff „Legal Tech” ist ein vielschichtiger Begriff. Er umfasst auf dem untersten Level sowohl juristische Datenbanken als auch Software für die Rechnungserstellung oder das Mandats‐ und Kontaktmanagement. Entsprechende Tools wurden in den Kanzleien schon genutzt, als es den Begriff „Legal Tech” noch nicht gab. Daher wird in der Praxis der Begriff „Legal Tech” erst bei Software verwendet, bei der die teilweise oder vollständige Automation von Prozessen im Mittelpunkt steht (so auch in diesem Beitrag). Hier sind erste Lösungen bereits auf dem Markt oder werden von Kanzleien derzeit entwickelt, beispielsweise Dokumentanalysetools oder Vertragsgeneratoren.
Auch wenn Legal Tech damit bereits in der Praxis angekommen ist, so kommt in der täglichen Arbeit nur eine kleine Gruppe von Rechtsanwälten mit entsprechender Software in Kontakt. Es ist davon auszugehen, dass mit fortschreitender Entwicklung und Reife der Legal Tech‐Lösungen, diese künftig noch stärker zum Einsatz kommen werden als bisher.
Diese Prognose wird durch folgende Beobachtung gestützt:
- Die Barrieren für die Nutzung von Legal Tech sind denkbar gering: Die Steuerung der Programme geschieht weitgehend intuitiv; Programmierkenntnisse sind nicht erforderlich.
- Der Anwalt muss effizient unter Einsatz möglicher verlässlicher Legal Tech‐Lösungen arbeiten. Dies führt zu Innovation oder zumindest der Bereitschaft über Automatisierung nachzudenken.
- Gerade bei gleichförmig zu verrichtender und intellektuell wenig fordernder Arbeit besteht eine hohe Eigenmotivation des Anwalts zum Einsatz von Legal Tech.
Zu beobachten ist dabei, dass sich viele Rechtsanwaltskanzleien noch gar nicht und andere erst seit kurzer Zeit mit dem Thema Automatisierung/Digitalisierung befassen. Andere Bereiche der Wirtschaft sind hier längst viel weiter. Versicherungen setzen beispielsweise seit Jahren Vertragsgeneratoren ein. Entsprechend dominieren in der Praxis derzeit Programme im Bereich des Datenmanagements und der Dokumentautomation.
Geht man von der teilweisen zur vollständigen Automation noch einen Schritt weiter, kommt man um den Einsatz künstlicher Intelligenz nicht mehr herum. Hier steht die Forschung jedoch noch ganz am Anfang. Entsprechende Legal Tech‐Tools sind am Markt selten.
Voraussetzung für den sinnvollen Einsatz künstlicher Intelligenz ist nach dem derzeitigen Stand der Technik, dass es sich bei den zu verarbeitenden Daten um eine große Menge vergleichbarer Daten handelt, mit der die Software trainiert werden kann.
Der Anwendungsbereich von künstlicher Intelligenz ist damit im Bereich Legal noch sehr klein. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Technik weiterentwickelt und welche weiteren Einsatzfelder sich herauskristallisieren.
Arbeitsweise des Rechtsanwalts
So wie FinTechs im Bankenbereich derzeit noch nicht zu einer spürbaren Disruption geführt haben, ist dies auch im Bereich Legal Tech in einer ersten Phase nicht zu erwarten. Das Verhältnis von Rechtsanwalt und Legal Tech geht derzeit auch hier eher in Richtung Kooperation. Dies beruht auf folgenden Überlegungen:
- Sachverhalte, die heute bereits vollkommen automatisiert bearbeitet werden (z.B. bei Flightright), landeten auch früher kaum auf dem Schreibtisch des Rechtsanwalts. Legal Tech als Rechtsberater und ‐dienstleister sind jedenfalls daher derzeit noch keine Konkurrenz für Rechtsanwälte.
- Start‐ups haben den Vorteil, dass sie schnell Ideen entwickeln und umsetzen können, während gerade große Kanzleien die Umsetzung von Ideen erst durch bestimmte Gremien absegnen lassen müssen. Dies verhindert Innovation und macht es für die Kanzlei spannend mit gut finanzierten, entscheidungsfreudigen Start‐ups zusammenzuarbeiten, die bei Implementierung einer Fehlerkultur auch Misserfolg akzeptieren können.
- Die IT‐Abteilungen in einem Großteil der Kanzleien haben derzeit noch nicht das Know‐how zur Entwicklung von Legal Tech, denn der Fokus der IT‐Abteilungen liegt in dem Betrieb einer funktionierenden Infrastruktur (z.B. Wartung der Einzelplatz‐PCs und der Server). Von IT‐Mitarbeitern in Kanzleien wird in der Regel nicht erwartet, dass sie programmieren können.
Für den Mandanten ist in erster Linie wichtig, dass die ihm erbrachte Rechtsdienstleistung qualitativ hochwertig ist. Weitere wichtige Faktoren sind Liefer‐/Termintreue bei möglichst geringen Stundensätzen. In der Regel spielt es für den Mandanten keine Rolle, an welchen Tools sich der Rechtsanwalt dabei bedient. Das Ergebnis der Rechtsdienstleistung bzw. das Produkt des Rechtsanwalts bleibt in seinen Grundfesten damit unverändert.
Vor dem Hintergrund des Konkurrenzdrucks auf dem Anwaltsmarkt lohnt es sich jedoch zu überlegen, wie das Produkt besser präsentiert werden kann und wie weitere Beratungsfelder erschlossen werden können. Ausgangspunkt muss dabei immer die Frage sein: Was braucht der Mandant? Wie konsumiert der Mandant die Rechtsdienstleistung? Wie können die Rechtsergebnisse in die Organisation des Mandanten reingetragen und implementiert werden um eine nachhaltige Lösung zu schaffen? Lohnenswert sind hier Überlegungen zur Einbeziehung weiterer Expertise von nicht‐fachlichen Mitarbeitern, etwa von Datenvisualisierern, Datenanalysten, Designern, Wirtschaftswissenschaftlern und Projektmanagern. Durch die Zusammenarbeit mit nichtfachlichen Mitarbeitern und der damit einhergehenden Erweiterung der Kompetenz und des Beratungsspektrums können ganz neue, interdisziplinäre Produkte entstehen.
Universitäre Juristenausbildung
Die universitäre Juristenausbildung widmet sich bisher nur vereinzelt dem Thema Legal Tech. Erste Angebote gehen auf Studenteninitiativen zurück. Bei den Universitäten steht zunächst die Vermittlung des juristischen Handwerkszeugs, und damit des Pflichtfachstoffs für die juristischen Staatsexamina im Fokus. Wenn sich die Universitäten fragen, was die Studenten darüber hinaus noch wissen müssen, blicken sie auch auf die Erwartung der Kanzleien. Mit fortschreitendem Interesse und Bedürfnis der Kanzleien nach Legal Tech entwickelt sich daher das Thema (zeitverzögert) auch bei den Universitäten weiter.
Juristen müssen jedoch nicht programmieren können. Softwareprogrammierung kann getrost den Informatikern überlassen werden. Denn Spezialisierung hat sich in unserer arbeitsteiligen Welt als die effizienteste Art und Weise der Arbeit herausgestellt. Im Übrigen sind die auf dem Markt befindlichen Legal Tech‐Lösungen häufig intuitiv nutzbar. So können beispielsweise Dokumente in Vertragsgeneratoren selbst gepflegt werden, ohne dass in das Programm eingegriffen werden müsste. Nichtsdestotrotz ist ein Grundverständnis des Juristen für Programmierung nützlich um die Funktionsweise der verwendeten Software besser verstehen zu können.
Aussicht
Die Entwicklungen im Bereich Legal Tech stecken noch in den „Kinderschuhen” gehen aber dennoch langsam und stetig steigend voran. Daher besteht aktuell noch keine Bedrohung für Kanzleien, die sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt haben. Schließlich bleibt derzeit noch ein signifikanter Bereich der Rechtsberatung, in dem der Einsatz von Legal Tech noch keinen wesentlichen Vorteil bringt. Trotzdem empfiehlt sich insbesondere für überschaubare Rechtsgebiete eine frühzeitige Beschäftigung mit Legal Tech, da die Gefahr besteht, hier am Ende den Anschluss zu verlieren. Im Wirtschaftsrecht wird dieser Trend dann mit etwas zeitlicher Verzögerung auch hier Eingang finden.
Dieser Beitrag erschien erstmals in: Existenz Magazin für Finanzen, Restrukturierung, Sanierung und Wirtschaft, Februar 2019, S. 38-42
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