Sie betrifft den steuerlichen Betriebsausgabenabzug für Vergleichszahlungen im Zusammenhang mit Vorwürfen sexueller Belästigung. In dem eilig durch den US-Kongress getriebenen Reformprozess fand im Finanzausschuss des Senats ein Vorschlag des Senators Robert Menendez (Demokratische Partei) Eingang in den finalen Gesetzestext, der in Zeiten der #MeToo-Bewegung augenscheinlich auch das Steuerrecht als Hebel für einen gesellschaftlichen Wandel nutzen will.
Neues Steuergesetz schränkt Betriebsausgabenabzug ein
Das US-Einkommensteuerrecht sieht – im Grundsatz ebenso wie das deutsche Einkommensteuergesetz (EStG) – einen Betriebsausgabenabzug für alle Aufwendungen vor, die betrieblich veranlasst sind (ordinary and necessary business expenses, § 162 (a) Internal Revenue Code). Danach sind z.B. die betrieblich veranlassten Ausgaben eines Unternehmens für Vergleichszahlungen an einen (streitig) aus einem Unternehmen ausscheidenden Mitarbeiter grundsätzlich von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage abziehbar.
Von diesem Grundsatz macht der neu eingeführte § 162 (q) I.R.C. eine Ausnahme, die so im deutschen Steuerrecht nicht auffindbar ist: Nach dieser Regelung ist ein Betriebsausgabenabzug für Vergleichszahlungen im Zusammenhang mit sexueller Belästigung oder sexuellem Missbrauch ausgeschlossen, wenn diese Zahlungen einer Verschwiegenheitsvereinbarung unterliegen. Darüber hinaus sind Anwaltskosten im Zusammenhang mit solchen Vergleichszahlungen nicht abzugsfähig. Die Regelung trat mit Unterzeichnung des Gesetzes am 22.12.2017 in Kraft und gilt für alle danach geleisteten (Raten-) Zahlungen (selbst wenn der Vergleich vorher geschlossen wurde).
Dadurch sieht sich die in Anspruch genommene Partei bei Abschluss eines Vergleichs künftig einem „Dilemma“ ausgesetzt: Sie kann die wirtschaftlichen Folgen einer Vergleichszahlung durch die steuerliche Abzugsfähigkeit mildern, muss jedoch in Kauf nehmen, dass die Umstände der Vereinbarung öffentlich gemacht werden können. Alternativ ist es möglich, die Verschwiegenheit der Vergleichsparteien durch eine höhere Steuerlast zu erkaufen. Aus Sicht der Steuerzahler verschafft die Allgemeinheit mithin einen Anreiz, Fälle sexueller Belästigung (unabhängig von einer gerichtlichen Schuldfeststellung) einer gesellschaftlichen Diskussion zugänglich zu machen und beteiligt sich andernfalls nicht an den Kosten zur Beseitigung diesbezüglich geltend gemachter Ansprüche.
Während das so skizzierte Regelungsziel der Norm im besten Sinne der aktuellen Debatte zum Schutz von Opfern sexuellen Missbrauchs geschuldet sein dürfte, zeichnen sich einige Friktionen bei ihrer Auslegung und Anwendung ab, die die Rechtspraxis und Betroffene beschäftigen dürften.
Unsichere Reichweite der Neuregelung und praktische Folgen
Der Wortlaut des § 162 (q) I.R.C. ist weit gefasst. Das Gesetz oder die Gesetzesbegründung enthalten weder einen Hinweis darauf, welche Verhaltensweisen von „sexueller Belästigung“ (sexual harassment) erfasst werden sollen, noch welche Vergleichszahlungen „im Zusammenhang“ (related to) mit entsprechenden Ansprüchen stehen. Eine verbindliche Klarstellung durch die US-Steuerbehörde (Internal Revenue Service) oder die Gerichte hierzu wäre wünschenswert.
Die Norm wird wegen ihrer Vagheit vor allem den Inhalt von Vergleichsvereinbarungen beim Ausscheiden eines Arbeitnehmers aus einem Unternehmen beeinflussen – selbst bei Abwesenheit von Vorwürfen sexuellen Missbrauchs. Bei strenger Wortlautauslegung sind nämlich auch Vergleichsvereinbarungen betroffen, die einen umfassenden Verzicht auf sämtliche Ansprüche unter Aufnahme einer Verschwiegenheitsvereinbarung enthalten. Weil und soweit der umfassende Anspruchsverzicht Ansprüche wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz umfasst, unterläge dieser Vergleich möglicherweise insgesamt dem Betriebsausgabenabzug, unabhängig davon, ob solche Ansprüche im konkreten Fall erhoben wurden. Hier schießt die Norm über ihr Ziel hinaus und wird zu einer schillernden Reaktion der Vertragspraxis führen. Außerdem ist in Fällen, in denen neben den Ansprüchen wegen sexuellen Missbrauchs weitere Ansprüche geltend gemacht werden, zu erwarten, dass Vertragsentwürfe künftig eine größtmögliche Allokation auf die sonstigen Ansprüche anstreben.
Gravierender noch als die Auswirkungen auf die Vertragspraxis ist, dass der Gesetzeswortlaut auch die Gefahr birgt, sich als steuerlicher Bärendienst für Opfer sexueller Belästigung zu erweisen. Grund ist die ebenfalls angeordnete Nichtabzugsfähigkeit von Anwaltskosten im Zusammenhang mit den genannten Vergleichen (attorney’s fees related to such settlement). Die Norm umfasst ihrem Wortlaut nach damit auch die Anwaltskosten des Opfers, die im Einzelfall beträchtlich sein können. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Bestandteil von Vergleichszahlungen an das Opfer zwar oft auch die Übernahme der Anwaltskosten sein wird. Die Zahlung der Anwaltskosten durch die Gegenpartei wäre jedoch im System der US-Einkommensteuer – außerhalb von Fällen physischer Verletzungen (§ 104 (a)(2) I.R.C.) – eine voll steuerbare Einnahme. Dieser unerwünschte gegenläufige Effekt für Opfer wird bisher von § 62 (a)(20) I.R.C. aufgefangen, der hierfür einen Abzugstatbestand bereithält. Sieht man den neu eingeführten § 162 (q) I.R.C. nun aber nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen als neueres und damit vorrangiges Gesetz gegenüber § 62 (a)(20) I.R.C., unterfallen die eigenen Anwaltskosten des Opfers der Besteuerung.
Es steht außer Frage, dass die Norm im Sinne der gesellschaftlichen Aufarbeitung sexueller Missbrauchsfälle gut gemeint sein dürfte. Beispiele zeigen jedoch, dass sich ihre rechtstechnische Umsetzung als Bumerang erweisen könnte.
Dieser Beitrag erschien erstmals in: Handelsblatt Online, Steuerboard, 20.02.2018