Gegenstand der Podiumsdiskussion „Neues zur Geschäftsleitungsbetriebsstätte – Einkommens und Vermögenszurechnung“ waren – nach einem Rückblick auf die schlagzeilenträchtigen Cum-Ex- Geschäfte – insbesondere zwei Themenkomplexe, die unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) von Dr. Michael Schwenke (Richter am BFH), MR Dr. Thomas Eisgruber (Bayerisches Staatsministerium der Finanzen) und Dr. Thomas Töben (P+P) erörtert wurden:
- Haben in- oder ausländische, gewerbliche, gewerblich geprägte oder gar nur gewerblich infizierte Personengesellschaften mit in- und auch ausländischen Gesellschaftern stets nur eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte oder aber mehrere Geschäftsleitungsbetriebsstätten, weil sich einige von mehreren Geschäftsführern sporadisch oder auch dauerhaft in einem anderen Staat aufhalten und sich von dort per Telefon/Videokonferenz zu Geschäftsführersitzungen der Personengesellschaft einwählen?
- Sind Gewinne, die eine deutsche (fiktiv) gewerbliche Ober-Personengesellschaft über eine ausländische Unter-Personengesellschaft (mit im Ausland eigener Geschäftsführung durch deren Komplementärin im Ausland) erzielt, in Deutschland beschränkt steuerpflichtig, soweit an der deutschen Ober-Gesellschaft ausländische Gesellschafter mit oder ohne Schutz durch ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) beteiligt sind?
Bedeutung der Geschäftsleitungsbetriebsstätte
„Geschäftsleitung“ ist einer der zentralsten Begriffe im nationalen und internationalen Steuerrecht. Das gilt insbesondere für Unternehmen, die der Körperschaftsteuer unterliegen. Bedeutung hat der Begriff aber auch für natürliche Personen und Personengesellschaften und deren Geschäftsführer. Das ist dann der Fall, wenn Einkünfte unmittelbar oder nur mittelbar von steuerlich transparenten (nachgeschalteten) Personengesellschaften am Ort ihrer Geschäftsleitung oder anderswo erzielt und den (mittelbaren) Gesellschaftern für Einkommen- und Körperschaftsteuerzwecke nur zugerechnet werden.
Der Ort der Geschäftsleitung entscheidet über die wichtigsten Steuerfolgen, u. a.
- darüber, ob überhaupt eine (deutsche) Steuerpflicht besteht, z. B. wenn Ausländer ausländische Einkünfte über ausländische Gesellschaften beziehen, deren Ort(e) der (Geschäfts-)Leitung und damit deren Geschäftsleitungsbetriebsstätte( n) sich nur im Ausland, jedenfalls nicht (auch) im Inland befindet bzw. befinden;
- über die unbeschränkte Steuerpflicht mit dem weltweit erzielten Einkommen oder die beschränkte Steuerpflicht mit nur Inlandseinkommen.
Damit bestimmt der Ort der Geschäftsleitung auch die Haftung von Geschäftsführern (u. U. auch die anderer Personen). Diese haben die mit dem Ort der (Geschäfts-)Leitung zusammenhängenden Steuerpflichten in gesetzlich zutreffender Weise zu erfüllen. Bei mehreren Orten der Leitung soll zwar der „Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung“ der „maßgebliche“ sein, was aber nicht ausschließt, dass mit weiteren („weniger maßgeblichen“) Orten der (Geschäfts-)Leitung ebenfalls steuerliche Pflichten verbunden sein können. Das wiederum hängt davon ab, ob es überhaupt mehrere Orte der Geschäftsleitung nur eines Unternehmens gibt und – falls das möglich sein sollte – wie Vermögen und/oder Einkommen eines Unternehmens aufzuteilen sind zwischen mehreren (Geschäfts-)Leitungsbetriebsstätten, die für eine solche Vermögens- und/oder Einkommenszurechnung in Betracht kommen.
Die Folgen bei Nichtbeachtung dieser Pflichten können weit über eine persönliche Haftung hinausgehen, bis hin zum Vorwurf strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens mit Freiheitsentzug. Angesichts derart weitreichender Folgen (die ihrerseits nicht selten daraus resultieren, dass materielles Steuerrecht und Steuerstrafrecht in der Praxis selten Hand in Hand gehen) überrascht, dass selbst elementare Fragen zum Ort der Geschäftsleitung ungeklärt sind, vielleicht aber auch nur als ungeklärt erscheinen.
Meinungsspektrum: Mehrere Mittelpunkte – keinerlei Leitung
Auffassungen dazu, ob ein Unternehmen mehrere Orte, nur einen oder auch gar keinen Ort der Geschäftsleitung haben kann, standen und stehen sich in der Rechtsprechung und im Schrifttum bisweilen diametral gegenüber. Ebenso unklar scheint, ob ein Unternehmen stets auch eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht über eine feste Geschäftseinrichtung haben muss, um eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte annehmen zu können. Der Befürchtung, dass Vermögen und/ oder Einkommen eines Unternehmens wegen der Existenz mehrerer Geschäftsleitungsbetriebsstätten zwischen diesen aufzuteilen sind, steht die damit nicht zu vereinbarende Gegenauffassung gegenüber, wonach eine solche Aufteilung in aller Regel schon deshalb ausscheidet, weil Unternehmen (von sehr seltenen, zumeist recht exotischen Fällen abgesehen) grundsätzlich immer nur einen Ort der (tatsächlichen) Geschäftsleitung haben bzw. nur einen Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung.
Grundsatz: Nur eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte – Gewichtung
Nach ständiger Rechtsprechung hat jedes Unternehmen zumindest und in der Regel nur einen Ort der (tatsächlichen) Geschäftsleitung bzw. nur einen Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. An diesen (einzigen) Geschäftsleitungsort sind nach DBA-Recht und/oder innerstaatlichem Recht die mit dem Ort der Geschäftsleitung verbundenen steuerlichen Folgen zu knüpfen.
Stehen der Geschäftsführung dem Unternehmen zuzurechnende feste Geschäftseinrichtungen für die Ausübung der relevanten Geschäftsleitungsaufgaben des Unternehmens zur Verfügung, ist grundsätzlich dort der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung bzw. der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung anzusiedeln. Auf den Wohnort bzw. die Wohnung aller oder nur einiger Geschäftsführer in diesem oder in jenem Staat kommt es dann nicht (mehr) an. Es gibt, von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, immer nur einen Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung bzw. nur einen Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung.
Solche dem Unternehmen zur Verfügung stehenden Geschäftseinrichtungen sind zwar typischerweise und in erster Linie die dem Unternehmen gehörenden oder von diesem angemieteten, der Geschäftsführung zur Erledigung von Geschäftsleitungsaufgaben überlassenen Geschäftsräume. Sie können aber auch Büroräume eines mit der Geschäftsführung beauftragten Dienstleistungsunternehmens sein, jedenfalls dann, wenn das Unternehmen über diese Räume eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat. Eine solche Verfügungsmacht und damit eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte ist nicht nur dann anzunehmen, wenn das Unternehmen den Dienstleister mit eigenem Personal in dessen Geschäftseinrichtungen ständig überwacht und anweist, sondern auch und erst recht dann, wenn die Geschäftsführer des „bürolosen“ Unternehmens in Personalunion zugleich auch Geschäftsführer des mit der Geschäftsführung beauftragten Dienstleistungsunternehmens sind. Denn eine stärkere Überwachung als die Überwachung von sich selbst gibt es nicht.
Wird ein Unternehmen an verschiedenen Orten geschäftsführend tätig, z. B. durch mehrere Geschäftsführer an diesen Orten mit Leitungsaufgaben von jeweils einigem Gewicht, so sind die an den verschiedenen Orten ausgeübten Tätigkeiten nach ihrer Bedeutung für das Unternehmen zu gewichten. Die in diesem Sinne wesentlichen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit lassen sich nicht abstrakt oder absolut umschreiben. Sie können nur für den Einzelfall bestimmt werden. Der Aufenthalt eines dominierenden Geschäftsführers wird ebenso wie die Präsenz einer Mehrzahl von Geschäftsführern an einem bestimmten Ort Bedeutung haben. Der BFH vollzog diese Gewichtung auch anhand der Höhe der Managementvergütungen für die jeweiligen an verschiedenen Orten in die Geschäftsführung involvierten Unternehmen/Personen.
Allen BFH-Entscheidungen, in denen mehrere Orte der Geschäftsleitung (teils nur) für möglich gehalten wurden, lagen Extremfälle zugrunde. Ob ihnen in der Unternehmenswirklichkeit tatsächlich ein größeres Gewicht beizumessen ist, als die Exotik der zugrundeliegenden Sachverhalte und der erste Anschein vermuten lassen, erscheint fraglich.
Das schließt nicht aus, dass ein Unternehmen mit nur einer Geschäftsleitungsbetriebsstätte an einem Ort Betriebsstätten „anderer Qualität“ in anderen Staaten hat (z. B. eine sog. Vertreterbetriebsstätte). Die Zuordnung von Vermögen- und Einkommen des Unternehmens zu einer solchen „anderen Betriebsstätte“ als einer „Geschäftsleitungsbetriebsstätte“ wird indes anderen Regeln folgen und zumeist auf eine Gewinnmarge auf die Kosten einer solchen anderen Betriebsstätte beschränkt bleiben (Cost Plus).
Keine beschränkte Steuerpflicht ausländischer Gesellschafter einer deutschen Ober-Personengesellschaft mit Drittstaat-Betriebsstätteneinkünften
Bezieht eine deutsche gewerbliche Personengesellschaft Einkünfte aus ihrer Betriebsstätte in einem (Nicht-DBA-) Drittstaat, so sind diese Drittstaatseinkünfte in Deutschland nicht einmal beschränkt steuerbar, soweit sie auf ausländische Gesellschafter der Personengesellschaft entfallen. Der BFH entschied so für einen Sachverhalt, in dem im Drittstaat eine „bloße“ Betriebsstätte der deutschen Personengesellschaft bestand, an der als Gesellschafter ein Schweizer beteiligt war.
Entsprechendes sollte – und zwar ungeachtet etwaiger DBA – auch gelten, wenn es sich um eine deutsche (fiktiv) gewerbliche Ober-Personengesellschaft (z. B. Dachfonds) mit ausländischen Gesellschaftern handelt, der Einkünfte einer (fiktiv) gewerblichen Unter-Personengesellschaft in einem Drittstaat zugerechnet werden, die ihrerseits im Drittstaat eine eigene Geschäftsleitung hat. Derartige Drittstaatseinkünfte, soweit sie auf ausländische Gesellschafter der deutschen Ober-Personengesellschaft entfallen, laufen steuerlich gesehen gewissermaßen an Deutschland vorbei.
Erst recht wird das gelten müssen, wenn ausländische Gesellschafter an einer ausländischen (gewerblichen) Ober-Personengesellschaft beteiligt sind, die ihrerseits die Anteile an der Unter-Personengesellschaft im Drittstaat hält und zugleich – und nur – eine Betriebsstätte anderer Qualität als eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte in Deutschland hat (z. B. eine Vertreter- Betriebsstätte).