Unternehmenskaufverträge sehen in vielen Fällen für die rechtliche Streitbeilegung zwischen den Parteien ein Schiedsverfahren und nicht ein Verfahren vor den ordentlichen Gerichten vor. Die Gründe, warum sich die Parteien in der Regel für diesen Weg entscheiden, liegen auf der Hand: Schiedsgerichte können rechtliche Streitigkeiten zwischen den Parteien oft schneller und aufgrund der langjährigen Transaktionserfahrung ihrer Mitglieder sachnäher entscheiden. Der Nachteil ist jedoch, dass Schiedssprüche, anders als Gerichtsurteile, nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind und es daher für die Praxis schwieriger ist, die gegenwärtigen Entwicklungen der Judikatur nachzuvollziehen und zu bewerten.
Aus diesem Grund wollten die Panelisten mit ihrer Diskussion einen Einblick in die aktuellen Probleme, Fragen und Trends der Post M&A Arbitration gewähren. Die Schwerpunkte des Austausches waren insbesondere Streitigkeiten zu Bilanzgarantien, Kaufpreismechanismen, Zuständigkeiten von Schiedsgerichten und Schiedsgutachtern sowie vorsätzliche vorvertragliche Pflichtverletzungen (culpa in contrahendo – c. i. c.).
Objektive oder subjektive Bilanzgarantie
Zum Auftakt erörterten die Panelisten ein Urteil des OLG Frankfurt a. M. vom 7. Mai 2016 (Az.: 26 U 35 / 12) zu einer Bilanzgarantie in einem Unternehmenskaufvertrag und dessen mögliche Auswirkungen auf die Kautelar- und Schiedsverfahrenspraxis. In diesem Urteil legte das Gericht eine marktübliche Klausel für eine Bilanzgarantie aus und kam zu dem Ergebnis, dass es sich hierbei um eine objektive Bilanzgarantie handeln würde („harte“ Bilanzgarantie). Induktiv könnte dies künftig zur Folge haben, dass ein Verkäufer bis zum Bilanzstichtag für alle bekannten und unbekannten Verbindlichkeiten des Targetunternehmens, die nicht in der Stichtagsbilanz wiedergegeben sind, haftet. Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass diese Auslegung im deutlichen Widerspruch zu den Usancen der Transaktionsbranche und zur bisherigen Rechtsprechung der Schiedsgerichte steht, die solche Klauseln als subjektive Bilanzgarantien verstehen. Der Verkäufer garantiert also nur, dass die Stichtagsbilanz unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung und „nach Kenntnis“ oder „nach bestem Wissen“ erstellt wurde. Nach Ansicht der Panelisten ist die Qualifizierung einer solchen Klausel als objektive Bilanzgarantie grundsätzlich abzulehnen, da dies überwiegend zu ungerechten Ergebnissen führen und der Umfunktionierung der Bilanzgarantie zum Auffangtatbestand eines vertraglichen Garantiekatalogs unnötig Vorschub leisten würde.
Rechtsfolge bei Verletzung einer Bilanzgarantie
Das Haftungsregime eines typischen Unternehmenskaufvertrages sieht bei Verletzung einer Bilanzgarantie Schadensersatz vor. Die Schadensermittlung erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen des Schadensrechts im BGB. Der Verkäufer hat den Käufer demnach so zu stellen, wie er stehen würde, wenn die Garantie zutreffend gewesen wäre. Bei der Verletzung von Bilanzgarantien bereitet die Anwendung der Differenzhypothese jedoch Schwierigkeiten, da in vielen Fällen der echte Schaden des Käufers aufgrund einer falschen Bilanzgarantie nur schwer bestimmt werden kann. Die Bilanzauffüllung führt nur selten zu einer gerechten Lösung und sollte daher nicht als pauschale Rechtsfolge an die Garantieverletzung gekoppelt werden. Gerade auch bei der Verletzung einer Bilanzgarantie sollte der Schaden des Käufers nach Ansicht der Panelisten wirtschaftlich und nicht bilanzrechtlich ausgeglichen werden.
Zuständigkeit von Schiedsgericht und Schiedsgutachter bei Streitigkeiten der Parteien über die Richtigkeit der Closing Accounts
Neben der allgemeinen Schiedsklausel sieht ein entsprechender Unternehmenskaufvertrag in der Regel vor, dass der Käufer die Closing Accounts erstellt und der Verkäufer das Recht hat, gegen diese zu remonstrieren. Können sich die Parteien nicht einigen, wird ein Schiedsgutachter bestellt. Dieser muss dann die relevanten Bilanzpositionen bestimmen, Bewertungsfragen beantworten und prüfen, ob der Käufer die Bilanzierungs- und Stetigkeitsgrundsätze eingehalten hat. Bei Überlappungen und Graubereichen kann der Schiedsgutachter allerdings auch mit der Auslegung von Rechtsfragen konfrontiert sein, die eigentlich in den Zuständigkeitsbereich des Schiedsgerichts fallen. Für den Verkäufer kann sich also im Streitfall die Frage stellen, ob er nun das Schiedsgericht anruft oder das Schiedsgutachten wählt. Die Auslegungsregel für diese Entscheidung – Rechtsfragen zum Schiedsgericht und Tatsachenfragen zum Schiedsgutachter – hilft aufgrund ihrer Unschärfe oft nicht weiter. Dementsprechend ist die Reichweite der Schiedsgutachterregelung im Einzelfall genau auszulegen. Aber selbst wenn schlussendlich ein Schiedsgutachten erstellt wird, liegt die finale Entscheidungskompetenz beim Schiedsgericht, das bei evidenten inhaltlichen Mängeln, Verfahrensfehlern oder Ungleichbehandlungen zwischen den Parteien das Schiedsgutachten gemäß § 319 BGB analog überstimmen kann.
Nach der Erfahrung der Panelisten sind Unternehmenskaufverträge mit Locked-Box-Regelungen hinsichtlich des Kaufpreises deutlich weniger anfällig für Konflikte zwischen den Parteien, da das Targetunternehmen zu einem bestimmten Bilanzstichtag „versiegelt“ wird. Differenzen zwischen Käufer und Verkäufer ergeben sich, wenn überhaupt, beim Thema Leakage (nach dem Unternehmenskaufvertrag verbotene Mittelabflüsse aus dem Targetunternehmen). Die Anzahl solcher Schiedsverfahren spielt aber laut den Panelisten in der Praxis eine eher untergeordnete Rolle.
Vorsätzliche culpa in contrahendo (c. i. c.)
Klassische Unternehmenskaufverträge schließen zwar über die vertraglichen Regelungen hinausgehende Ansprüche der Parteien soweit gesetzlich zulässig aus. Nach § 276 Abs. 3 BGB greift ein solcher Ausschluss aber gerade nicht bei der vorsätzlichen c. i. c. (z. B. Arglist). Die Voraussetzungen der vorsätzlichen c. i. c. sind nicht nur dann erfüllt, wenn eine Vertragspartei die andere aktiv täuscht, sondern auch, wenn eine Partei ihre Aufklärungspflichten vorsätzlich nicht erfüllt. Eine Aufklärungspflicht des Verkäufers gegenüber dem Käufer kann sich beispielsweise aus einem besonderen Interesse des Käufers ergeben. Gerade weil die vorsätzliche c. i. c. das vertragliche Haftungsregime samt etwaiger Haftungsbegrenzungen (Caps) aushebeln kann, gehören entsprechende Forderungen mittlerweile zum Standardrepertoire in Schiedsverfahren. Das Schiedsgericht hat angesichts der scharfen Rechtsfolgen die Voraussetzungen der vorsätzlichen c. i. c. im Einzelfall genau zu prüfen, um unbillige Ergebnisse zu vermeiden. Liegt eine vorsätzliche c. i. c. des Verkäufers vor, muss dieser dem Käufer die Differenz zwischen dem tatsächlichen und dem hypothetischen Kaufpreis, den der Käufer bezahlt hätte, wenn ihm der nicht offenbarte Sachverhalt bekannt gewesen wäre, erstatten (negatives Interesse). Anders als bei einer Garantieverletzung (letzte mündliche Verhandlung) ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Schadensberechnung der Vertragsschluss.
Fazit
Viele der aktuellen Themenbereiche und Rechtsprobleme in der Post M&A Arbitration befassen sich nicht mit bestimmten Detailfragen, sondern betreffen ganz grundsätzliche Probleme der Rechtsgeschäftslehre, des Schuldrechts und des Schadensrechts. Auch wenn hier die Beantwortung so mancher Fragestellungen noch im Ungewissen liegt, ist es die Aufgabe künftiger Schiedsgerichte, Antworten und Lösungsansätze weiter zu entwickeln.
Über das Thema diskutierten Prof. Dr. Siegfried H. Elsing (Orrick, Herrington & Sutcliffe), Dr. Gerhard H. Wächter (Wächter Rechtsanwälte); Moderation: Dr. Matthias Bruse (P+P).