Das BVerfG hatte mit Urteil vom 10.04.2018 (1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12) die Unvereinbarkeit des bestehenden Grundsteuersystems mit dem Grundgesetz festgestellt. In der Folge gelten die für die Ermittlung der Grundsteuer verwendeten Einheitswerte nur noch bis zum 31.12.2024. Der Gesetzgeber hat daraufhin das Grundsteuer- und Bewertungsrecht neu gefasst (Gesetz zur Reform des Grundsteuer- und Bewertungsrechts, BGBl. I 2019 S. 1794; Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetz, BGBl. I 2021 S. 2931) und mit Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 GG (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, BGBl. I 2019 S. 1546) eine Öffnungsklausel in das Grundgesetz eingefügt, die den Bundesländern eigene länderspezifische Grundsteuergesetze ermöglicht. Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen haben aufgrund der Öffnungsklausel eigene landesrechtliche Regelungen getroffen.
Das „Problem“ mit der Verfassungswidrigkeit
Seit Beginn der Diskussion um alternative Grundsteuermodelle sah sich jeder Lösungsansatz verfassungsrechtlicher Kritik ausgesetzt. So werde z.B. die Bewertungsmethodik des heutigen Bundesmodells ihrem Rechtfertigungsgrund nicht gerecht und trage dem Charakter der (Grund-)Steuer als Massenverfahren nicht hinreichend Rechnung. Die Ausgestaltung nach einem erkennbaren Belastungsgrund wurde bereits als ein zentraler Aspekt durch das BVerfG hervorgehoben. Weiter finde nach dem Bundesmodell weder eine konkrete Einzelbewertung auf Basis individueller Parameter noch eine gleichheitsgerecht ausgestaltete pauschale Besteuerung statt. Das Bundesmodell sei eine Zwischenlösung und damit „nichts Halbes und nichts Ganzes“. Des Weiteren würden die verwendeten Bodenrichtwerte keine hinreichende Vergleichbarkeit sicherstellen und die tatsächlichen Verhältnisse nicht widerspiegeln. Aus Rechtsschutzgesichtspunkten steht die tatsächliche Belastung der Steuerpflichtigen mit der Festsetzung der gemeindlichen Hebesätze erst zu einem Zeitpunkt fest, in dem die Grundlagenbescheide in der Regel bereits bestandskräftig sein dürften.
Den Flächenmodellen wird mitunter per se die Berechtigung als Grundsteuermodell abgesprochen, da es ihnen an einem der Vorgabe des BVerfG entsprechenden Belastungsgrund fehle. Das Äquivalenzprinzip reiche zur Rechtfertigung nicht aus. Durch das pauschale Abstellen auf die Grundflächen ohne Berücksichtigung von individuellen Differenzierungsmerkmalen sei ferner eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht möglich.
Für die Beratungspraxis stellt sich nun die Frage, wie mit dieser verfassungsrechtlichen Kritik umzugehen ist, insbesondere ob bzw. bei Anwendung welcher Grundsteuermodelle ein Vorgehen gegen Steuerbescheide sinnvoll erscheint. Erste Verfahren sind bereits vor den Gerichten anhängig (u.a. Popularklage beim BayVerfGH, Musterverfahren beim FG Baden-Württemberg – 8 K 2368/22 und 8 K 2491/22 – sowie beim FG Berlin-Brandenburg und beim FG Rheinland-Pfalz). Während das FG Berlin-Brandenburg in einer aktuellen Entscheidung noch keine Stellung zu Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des Bundesmodells bezogen hat (FG Berlin-Brandenburg vom 01.09.2023 – 3 V 3080/23), setzte sich das FG Rheinland-Pfalz in zwei aktuellen Entscheidungen zum einstweiligen Rechtsschutz sehr ausführlich mit der verfassungsrechtlichen Kritik am Bundesmodell auseinander. Das FG Rheinland-Pfalz kam zu dem Ergebnis, dass erhebliche Zweifel an der Verfassungskonformität des Bundesmodells insbesondere im Hinblick auf die verwendeten Bodenrichtwerte bestehen (FG Rheinland-Pfalz vom 23.11.2023 – 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23).
Bayerisches Grundsteuermodell verfassungsrechtlich unbedenklich
In einer aktuellen Entscheidung bezieht das FG Nürnberg (Beschluss vom 08.08.2023 – 8 V 300/23) nun erstmalig zur Verfassungsmäßigkeit der Ermittlung der Grundsteuer auf Grundlage des wertunabhängigen reinen Flächenmodells nach dem Bayerischen Grundsteuergesetz (BayGrStG, Gesetz vom 10.12.2021, GVBl 2021 S. 638) Stellung. Streitig war, ob die Vollziehung von Bescheiden über die Grundsteueräquivalenzbeträge sowie den Grundsteuermessbetrag wegen ernsthafter Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des BayGrStG auszusetzen ist.
Der Antragsteller bezog sich zur Begründung auf die flächenorientierte Ermittlung der neuen Grundsteuerwerte. Diese führen zu einer ungerechten Verteilung der Lasten. Die Grundsteuer werde in Bestlagen sinken, da keine Differenzierung nach der Wohnlage vorgenommen wird. Er beantragte daher das Ruhen des Verfahrens, bis verbindliche Gerichtsentscheide mit einer gerechteren Beurteilung der Probleme vorliegen.
Das FG Nürnberg erachtet die Anordnung des Ruhens des Verfahrens jedoch nicht für zweckmäßig (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 251 Satz 1 ZPO). Die Vollziehung ist auf Antrag auszusetzen, soweit ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hat. Ernsthafte Zweifel liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken.
Der Senat äußerte keine ernsthaften Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des BayGrStG vom 10.12.2021.
Das BayGrStG regelt die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer der in Bayern belegenen Grundstücke als wirtschaftliche Einheiten des Grundvermögens (Grundsteuer B). Dem Grundsteuermessbetrag nach dem BayGrStG liegen keine Grundsteuerwerte zugrunde, sondern sog. Äquivalenzbeträge. Diese werden durch Multiplikation der Gebäudeflächen sowie der Flächen des Grund und Bodens mit der jeweiligen Äquivalenzzahl nach Art. 3 BayGrStG ermittelt und sind wertunabhängig.
In seinem Urteil vom 10.04.2018 hatte das BVerfG keine Festlegung zugunsten eines konkreten Reformmodells getroffen und die Frage, ob auf eine wertabhängige Bewertungsmethode zurückzugreifen ist, offengelassen. Ein Vorteil des BayGrStG ist der leichtere Vollzug. Zudem werden die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Berücksichtigung der Bodenrichtwerte vermieden.
Nachteil ist u.a. die pauschale Bewertungssystematik, bei der der tatsächliche Marktwert von Grundstücken außer Betracht bleibt.
Bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ist die Ermittlung der Grundsteuer auf Grundlage eines reinen Flächenmodells vor dem Hintergrund des erheblichen Bewertungsspielraums des Gesetzgebers nicht zu beanstanden. Insbesondere eine Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzips (Art. 123 Abs. 1 BV) ist nicht offenkundig. Diese Norm bezieht sich nach der Rechtsprechung des BayVerfG nicht auf Landessteuern, die – ihrer Natur nach – nach objektiven Merkmalen bemessen werden. Zudem besteht im Einzelfall die Möglichkeit, Ansprüche aus dem Grundsteuerschuldverhältnis zu erlassen, soweit nach dem durch das BayGrStG vorgeschriebenen Systemwechsel im Einzelfall eine unangemessen hohe Steuerbelastung eintritt (Art. 8 BayGrStG).
Es bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des BayGrStG. Der Antragsteller brachte nicht vor, dass durch die sofortige Vollziehung der Bescheide eine unzumutbare Härte droht. Ferner hat er nicht hinreichend dargestellt und glaubhaft gemacht, dass er durch die Vollziehung der angefochtenen Grundlagenbescheide in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht wäre oder ihm nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden. Es ist zu berücksichtigen, dass wirtschaftliche Folgen erst mit Wirkung zum 01.01.2025 entstehen, da die Kommunen erst zu diesem Zeitpunkt die Grundsteuer auf Basis der ggf. geänderten Hebesätze erheben.
Nach dem FG Nürnberg kann vorläufiger Rechtsschutz nicht gewährt werden, der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung war abzulehnen.
Einsprüche gegen Flächenmodelle mit geringen Erfolgsaussichten
Die Entscheidung des FG Nürnberg stützt die Befürworter der Flächenmodelle, die insbesondere im Bayerischen Modell eine „Musterlösung“ für die Grundsteuer sehen. Einsprüche gegen Steuerbescheide nach dem Bayerischen Grundsteuermodell allein aufgrund verfassungsrechtlicher Zweifel dürften wohl von der Finanzverwaltung mit Verweis auf die Entscheidung des FG Nürnberg nur geringe Aussicht auf Erfolg haben. Es ist davon auszugehen, dass sich auch die Finanzverwaltungen der anderen Bundesländer, in denen ein Flächenmodell zur Anwendung kommt, die Argumentation des FG Nürnberg zunutze machen werden. Mögliche Einsprüche gegen Steuerbescheide auf Basis des Bundesmodells erscheinen unter Bezugnahme auf die Argumentation des FG Rheinland-Pfalz hingegen deutlich erfolgversprechender.
Verfassungsrechtliche Zweifel können letztlich gegen jedes Grundsteuermodell vorgebracht werden. Gleichwohl erscheint das pauschale Einlegen von Einsprüchen gegen sämtliche Steuerbescheide im Zusammenhang mit der Grundsteuer nicht der Weisheit letzter Schluss, da zumindest eine Differenzierung anhand der verschiedenen Grundsteuermodelle angezeigt ist. Es ist kaum vorhersehbar, ob alle oder zumindest einzelne Grundsteuermodelle tatsächlich als verfassungswidrig oder mit der Verfassung unvereinbar eingestuft werden. Aufgrund der Bedeutung der Grundsteuer für die kommunalen Haushalte ist wohl zu erwarten, dass die Grundsteuergesetze auch bei einer gerichtlichen Bestätigung der verfassungsrechtlichen Kritik (wie in der Vergangenheit bereits üblich) für einen Übergangszeitraum weiter fortgelten werden und keine rückwirkende Aufhebung der Gesetze erfolgt. Von einer zukünftigen Neuregelung wären dann ohnehin alle Steuerpflichtigen betroffen, unabhängig davon, ob sie gegen ihre individuellen Grundsteuerbescheide Einspruch eingelegt haben oder nicht. Ob nachfolgende Grundsteuermodelle im Einzelfall zu einer Verbesserung oder Verschlechterung führen werden, bleibt ebenfalls abzuwarten.
Einsprüche sollten daher aktuell unabhängig von der verfassungsrechtlichen Kritik jedenfalls immer dann eingelegt werden, wenn die Grundsteuerwert- und Grundsteuermessbetragsbescheide (zum Nachteil des Steuerpflichtigen) unrichtig sind bzw. von den eingereichten Steuererklärungen abweichen (z.B. Grundstücksdaten, Grundstücksart, Eigentumsverhältnisse). In einem solchen Fall sollte sich der Einspruch rein vorsorglich sowohl gegen den Grundsteuerwert- als auch gegen den Grundsteuermessbetragsbescheid richten.
Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in: DER BETRIEB, Steuerboard, 06. Dezember 2023