Einführung des § 1 Abs. 4a GrEStG: Neuregelung der Grundstückszurechnung
Der Bundestag hat das Jahressteuergesetz (JStG) 2024 am 18.10.2024 verabschiedet. Vorbehaltlich der Zustimmung des Bundesrates werden mit diesem Gesetz diverse Änderungen des GrEStG eingeführt. Das Ziel der Änderungen liegt in der Klarstellung von Steuertatbeständen, der Schaffung von Rechtssicherheit bei zugleich Vermeidung missbräuchlicher Gestaltungen.
Eine der wesentlichen Neuerungen betrifft die Zurechnung von Grundstücken für Ergänzungstatbestände. Mit der neuen Regelung wird erstmals gesetzlich festgelegt, ab wann ein Grundstück als Vermögen einer Gesellschaft gilt, was insbesondere bei steuerpflichtigen Share Deals und gruppeninternen Umstrukturierungen von Bedeutung ist. Grundbesitz ist nunmehr einer Gesellschaft zuzurechnen, wenn sie es aufgrund eines Rechtsvorgangs nach § 1 Abs. 1 GrEStG erworben hat, d.h. insbesondere durch Abschluss eines Grundstückskaufvertrages (§ 1 Abs. 4a Satz 1 GrEStG). Eine Zurechnung kann daneben auch durch das Innehaben einer Verwertungsbefugnis im Sinne des § 1 Abs. 2 GrEStG begründet werden (§ 1 Abs. 4a Satz 4 GrEStG). Enden soll die Zugehörigkeit, sobald das Grundstück durch einen anderen Erwerber erworben wird oder die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 4a Satz 1 bzw. Satz 4 GrEStG nicht mehr erfüllt werden.
Kein Einfluss von Share Deals auf die Zugehörigkeit von Grundstücken
Eine wesentliche Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis stellt die Regelung dar, dass ein steuerpflichtiger Share Deal nach § 1 Abs. 3 oder 3a GrEStG nicht mehr zur Zuordnung des Grundstücksvermögens an den Anteilserwerber führt. Damit sollen kontrovers diskutierte Fallgestaltungen einer Doppelzugehörigkeit eines Grundstücks zum Vermögen zweier Gesellschaften ausgeschlossen werden. Folge ist, dass durch Anteilsübertragungen keine mehrfache steuerliche Belastung aufgrund widersprüchlicher Zurechnungen zu unterschiedlichen Gesellschaften entstehen soll, was in der Praxis insbesondere gruppeninterne Umstrukturierungen erschwert hat.
Beispiel
Eine Käufer-GmbH kauft 100% der Anteile der grundstückshaltenden Immo-GmbH. Der Ankauf (Signing) ist zunächst steuerbar bei der Käufer-GmbH (§ 1 Abs. 3 GrEStG). Ein nachfolgender Übergang der Anteile (Closing) lässt die Besteuerung bei der Käufer-GmbH zwar wieder entfallen (§ 16 Abs. 4a GrEStG), änderte nach den Ländererlassen vom 16.10.2023 aber nichts an der neu begründeten Zurechnung. Neben der Immo-GmbH wurde das Grundstück fortan auch der Käufer-GmbH zugerechnet. Ein nachfolgender Erwerber der Käufer-GmbH erwarb in einem Rechtsakt zwei grundstückshaltende Gesellschaften. Diese Doppelzurechnung entfällt nach dem neuen § 1 Abs. 4a Satz 1 GrEStG.
Zurechnungsänderung mit Tatbestandsverwirklichung?
Der Wortlaut der Vorschrift („erworben hat“) lässt nicht eindeutig erkennen, ob für die Zurechnung bereits die „Verwirklichung“ des Tatbestandes ausreicht oder ob es auf die Entstehung der Steuer (§ 14 GrEStG) ankommt. Ein Unterschied ergäbe sich insbesondere bei bedingten oder genehmigungsbedürftigen Grundstückskaufverträgen. Die Ländererlasse vom 16.10.2023 waren hier präziser und stellten ausdrücklich auf die Verwirklichung der Tatbestände ab; Steuerentstehung war nicht erforderlich. Nach der Gesetzesbegründung scheint § 1 Abs. 4a GrEStG hiervon keine Abkehr machen zu wollen, sodass man wahrscheinlich auf die Tatbestandsverwirklichung abstellen kann. Sicherheit auf Basis des Wortlautes besteht jedoch nicht.
Beispiel
Man denke sich eine typische Unternehmenstransaktion über eine GmbH, bei der der Erwerber den operativen Betrieb der GmbH vom Betriebsgrundstück strukturell trennen will. Um nicht zuerst die GmbH grunderwerbsteuerbar (§ 1 Abs. 2b GrEStG) zu erwerben und dann intern durch Weiterübertragung des Grundstücks in die Zielstruktur erneut Grunderwerbsteuer auszulösen (§ 1 Abs. 1 GrEStG), soll das Grundstück vor Beurkundung des Anteilskaufs direkt von der künftigen Grundbesitzgesellschaft erworben werden. Der Verkäufer wird sein Betriebsgrundstück jedoch nicht hergeben, ohne den Anteilskauf unterschrieben zu haben. Die GmbH verkauft daher das Grundstück aufschiebend bedingt auf Beurkundung des Share Deals. Ein vorsichtiger Erwerber der Anteile, der das Ziel verfolgt, die GmbH grunderwerbsteuerfrei zu erwerben, bleibt hier mit einem Restrisiko zurück, das die Finanzverwaltung schnellstmöglich klarstellen sollte.
Missbrauchsvermeidung und Rückgängigmachung
Nach den bisher geltenden Ländererlassen sollte die schlichte Rückgängigmachung eines Grundstückserwerbs keine Rückwirkung entfalten. Auch hier setzt der Gesetzgeber an: Zur Vermeidung missbräuchlicher Gestaltungen sollen die neuen Zurechnungsregelungen auf Rechtsvorgänge und Grundstücke keine Anwendung finden, die gemäß § 16 Abs. 1 GrEStG rückgängig gemacht oder nach § 16 Abs. 2 GrEStG zurückerworben werden, „soweit dies dazu führt, dass ein Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG vermieden wird“ (§ 1 Abs. 4a Satz 3 GrEStG). Erfasst werden sollen nach der Gesetzesbegründung insbesondere Konstellationen, in denen ein Share Deal zwischen Veräußerung und Rückgängigmachung oder Rückerwerb des Grundstücks stattfindet. Solche Rückabwicklungen gelten künftig als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und ermöglichen eine nachträgliche Berücksichtigung des Sachverhalts.
Bemerkenswert ist die Einführung des Tatbestandsmerkmals der „Vermeidung“ der Steuer, die § 1 Abs. 4a Satz 3 GrEStG zu einer lex specialis gegenüber § 42 AO erhebt. Zwar ist der Tatbestand insgesamt passivisch formuliert; zugleich dürfte der natürliche Sprachgebrauch eine subjektive Komponente beim „Vermeiden“ verorten. Die Steuerpflichtigen werden an die Finanzämter in geeigneten Fällen sicherlich die Anforderung herantragen, den Steuervermeidungswillen nachzuweisen. Mittelfristig werden sich Fallgruppen herausbilden und in weiteren Erlassen niedergeschrieben werden, die den Steuervermeidungswillen typisieren.
Schließlich ist auf den Fall der Rückgängigmachung eines Grundstückskaufes nach Anteilsübertragung auf Erwerberseite hinzuweisen. In dieser „umgekehrten Konstellation“ besteht eine Zurechnung trotz Rückabwicklungstatbestand fort. Der Gesetzeswortlaut lässt die Zurechnung für einen Erwerber nämlich nicht durch eine Rückabwicklung des Grundstückskaufvertrages enden, wenn er an einem Steuervermeidungsgeschäft gerade nicht beteiligt ist. Das wirft Gerechtigkeitsfragen auf.
Beispiel
Die Käufer-GmbH kauft ein Grundstück, dass ihr fortan zuzurechnen ist (§ 1 Abs. 4a Satz 1 GrEStG). Nun werden 100% der Anteile an der Käufer-GmbH grunderwerbsteuerbar übertragen (§ 1 Abs. 2b GrEStG), anschließend tritt die Verkäufer-GmbH des Grundstücks wieder vom Grundstückskaufvertrag zurück. Der Fortbestand der ursprünglichen Zurechnung (§ 1 Abs. 4a Satz 3 GrEStG) greift hier nicht, da kein steuerbarer Share Deal vermieden wurde; es bleibt bei der Besteuerung der Käufer-GmbH.
Um das Beispiel ad absurdum zu treiben: Eine Zurechnung zur Immo-GmbH könnte dann entfallen, wenn im relevanten Zeitraum zugleich auch die Anteile der Verkäufer-GmbH übertragen worden wären, denn dann wäre mit dem Gesamtvorgang „ein Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 2b GrEStG vermieden“ worden (bei der Verkäufer-GmbH). Sicher ist das Ergebnis aber auch nicht, denn zugleich ist ein (anderer) Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 2b GrEStG nicht vermieden worden (bei der Käufer-GmbH).
Anwendung des § 1 Abs. 4a GrEStG
Der neue § 1 Abs. 4a GrEStG soll erstmals auf Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG Anwendung finden, die nach Verkündung des JStG 2024 im Bundesgesetzblatt verwirklicht werden (§ 23 Abs. 25 GrEStG). Dabei sind auch Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 1 und Abs. 2 zu berücksichtigen, die vor dem Verkündungsdatum verwirklicht wurden. Diese Rückbezugsmöglichkeiten sollen den nahtlosen Übergang auf die neuen Regelungen gewährleisten.
Fazit
Die Einführung des § 1 Abs. 4a GrEStG eliminiert die Gefahr einer Doppelzurechnung von Grundstücken im Vermögen zweier Gesellschaften durch vorangegangene Anteilsübertragungen. Sie schafft in diesen Konstellationen bei Share Deals sowie Umstrukturierungen innerhalb einer Gruppe eine dringend ersehnte Rechtssicherheit. Zugleich wird der Versuch unternommen, durch gezielte Missbrauchsvermeidungsregeln Umgehungsstrategien zu unterbinden. In einzelnen Konstellationen ist die Zielgenauigkeit dieser Missbrauchsvermeidung noch nicht ganz geglückt. Dennoch stellen die praxisrelevanten Änderung im Grunderwerbsteuerrecht einen wichtigen Schritt dar, um die zuletzt ins Groteske ausufernde Besteuerung von Immobilientransaktionen wieder auf ein faires Belastungsmaß zurückzuführen.
Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in: DER BETRIEB, Steuerboard, 05. November 2024
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