Erklärungs- und Anzeigepflichten im Kontext der Escape-Klausel für EU/EWR-Familienstiftungen
Ausweislich des überarbeiteten Anwendungserlasses zum AStG (AEAStG 2023) hat jeder unbeschränkt steuerpflichtige Stifter, sonst jede unbeschränkt steuerpflichtige bezugs- oder anfallsberechtigte Person, eine Erklärung zur gesonderten und ggf. einheitlichen Feststellung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck abzugeben (§ 18 Abs. 4 i.V.m. § 18 Abs. 3 Satz 1 AStG). Auch in den Fällen, in denen nach § 15 Abs. 6 AStG geltend gemacht wird, dass eine Zurechnung der Stiftungseinkünfte bei den Begünstigten der Stiftung unterbleibt, soll dies zumindest anzuzeigen sein (§ 18 Abs. 4 i.V.m. § 18 Abs. 3 Satz 2 AStG). Die Anwendung dieser Escape-Klausel setzt u.a. den Nachweis voraus, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht des Stifters und der sonstigen Begünstigten rechtlich und tatsächlich entzogen ist. Die Finanzverwaltung behält sich dabei ausdrücklich vor, über das Vorliegen dieser Voraussetzungen abschließend im Feststellungsverfahren zu entscheiden. Mit anderen Worten ist die Anzeige auch in den Fällen vorzunehmen, in denen Stifter und Begünstigte davon ausgehen, dass es aufgrund der Escape-Klausel des § 15 Abs. 6 AStG überhaupt nicht zu einer Zurechnung von Einkünften kommt.
Anwendung der Vorschriften über die Hinzurechnungsbesteuerung im Kontext der Escape-Klausel
In der Praxis besonders problematisch sind Fälle, in denen in der Vergangenheit Erklärungs- und Anzeigepflichten unter Berufung auf die Escape-Klausel möglicherweise nicht (vollständig) erfüllt wurden. Die Finanzverwaltung geht nämlich davon aus, dass die Escape-Klausel in bestimmten Konstellationen nicht vor einer Hinzurechnungsbesteuerung auf Ebene der Stifter und Begünstigten schützen soll. So will die Finanzverwaltung in Bezug auf Einkünfte, die der ausländischen Familienstiftung von ausländischen Beteiligungsgesellschaften zugerechnet werden (§ 15 Abs. 9 AStG), die Abschirmwirkung der Escape-Klausel nicht zur Anwendung bringen. Dies bedeutet, dass bestimmte Einkünfte, welche eigentlich auf Ebene von (der Stiftung) nachgelagerten ausländischen Kapitalgesellschaften angefallen sind und dort thesauriert wurden, gewissermaßen an der Stiftung vorbei dennoch den Stiftern und Begünstigten zugerechnet werden. Fanden im gleichen Erhebungszeitraum keine tatsächlichen Zuwendungen aus der ausländischen Familienstiftung statt, führt dies dazu, dass die Stifter und Begünstigten (fiktive) Einkünfte besteuern müssen, obwohl ihnen keinerlei Vermögen zugeflossen ist (sog. „Dry Income“).
Folgt man dieser Finanzverwaltungsauffassung, dann wäre in Bezug auf diese nach § 15 Abs. 9 AStG zuzurechnenden Einkünfte auch die nach § 18 Abs. 4 i.V.m. § 18 Abs. 3 Satz 1 AStG bestehende Erklärungspflicht nicht hinreichend erfüllt worden. Denn hier reicht eine bloße Anzeige der Anwendung der Escape-Klausel nicht aus. Im Übrigen wäre die Anzeige auch inhaltlich unrichtig, sodass eine unrichtige Angabe i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vorliegen würde. Dies kann wiederum bei einer entsprechenden unrichtigen Steuerfestsetzung dazu führen, dass eine Steuerordnungswidrigkeit bzw. -straftat vorliegt.
Diese Sichtweise der Finanzverwaltung war bereits im AEAStG 2004 (Tz. 15.5.3) festgehalten, hatte aber keine Gesetzeskraft. Die Anwendung der Vorschriften über die Hinzurechnungsbesteuerung im Rahmen der Zurechnungsbesteuerung waren vielmehr ausdrücklich ausgeschlossen (§ 15 Abs. 5 Satz 2 AStG bis zum 31.12.2012). Der AEAStG 2004 beinhaltete auch keine Erläuterungen zum Verhältnis der Hinzurechnungsbesteuerung zur Escape-Klausel, da diese erst durch das JStG 2009 (Jahressteuergesetz 2009 vom 19.12.2008, BGBl. I 2008 S. 2794) aufgenommen wurde.
Diskussionen im Schrifttum um die zukünftige Anwendung der Vorschriften über die Hinzurechnungsbesteuerung im Kontext der Escape-Klausel finden sich bereits im Kontext des gescheiterten JStG 2013. Die Vorschriften zur Änderung des § 15 AStG sind in der Folge in das AmtshilfeRLUmsG eingeflossen. Aus der Gesetzeshistorie des JStG 2013 ergibt sich, dass der Gesetzgeber ursprünglich plante, die Escape-Klausel des § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG um einen zweiten Satz zu ergänzen. Danach sollte diese ausdrücklich nicht gelten für die der ausländischen Familienstiftung nach Abs. 9 zuzurechnenden Beträge. Mit anderen Worten hätte diese gewollte Ergänzung die bisherige Finanzverwaltungsauffassung gedeckt und eine Zurechnung von Zwischeneinkünften selbst im Falle der Einschlägigkeit der Escape-Klausel ermöglicht. Diese vorgesehene Ergänzung wurde im Verlauf des Gesetzgebungsprozesses allerdings gestrichen, um berechtigten europarechtlichen Bedenken zu begegnen. Eine Zurechnung von Einkünften nach Abs. 9 bei Stiftungen mit Sitz und Geschäftsleitung in der EU/EWR soll ausweislich der Gesetzesbegründung daher nur in Betracht kommen, wenn die vorgesehenen Nachweise zur Existenz einer begünstigten Stiftung nicht erbracht werden (vgl. BT-Drucks. 17/11190).
Es ist daher zu konstatieren, dass die Finanzverwaltung im Rahmen des AEAStG 2023 eine überschießende Auslegung zur Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung im Rahmen der Escape-Klausel vertritt. Diese ist ausdrücklich nicht von der Intention des Gesetzgebers gedeckt und ist darüber hinaus europarechtlich bedenklich. Kommt es nämlich zu einer Einkünftezurechnung bei Stifter oder Begünstigten, liegt eine Ungleichbehandlung einer inländischen gegenüber einer ausländischen Familienstiftung vor. Denn selbst wenn einer inländischen Familienstiftung im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung Einkünfte zuzurechnen sein sollten, schirmt die inländische Familienstiftung Stifter und Begünstigten bis zu einer tatsächlichen Ausschüttung steuerlich ab. Diese Ungleichbehandlung war bereits im Jahr 2007 Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland und Grund für die Einführung der Escape-Klausel durch das JStG 2009.
Auswirkungen auf die Praxis
Die deutschen Finanzbehörden sind aus Gründen des Völkerrechts nicht befugt, im Ausland eigenständige Sachaufklärung zu betreiben. Daher sieht das Gesetz für Auslandssachverhalte erweiterte Mitwirkungspflichten vor (§ 90 Abs. 2 AO).
Die Finanzverwaltung hat im Rahmen des AEAStG 2023 eine Erklärungs- und Anzeigepflicht für Familienstiftungen auch bei Anwendung der Escape-Klausel postuliert, welche eine überzeugende Begründung im Gesetz findet (§ 18 Abs. 3 Satz 2 AStG). Diesen Pflichten muss in der Praxis daher nachgekommen werden. Der Nachweis erfolgt in der Regel durch Offenlegung von Stiftungssatzung, Beistatuten und weiteren Dokumenten, aus denen sich die Rechte und Pflichten der Begünstigten oder der Stiftungsorgane ergeben können (z.B. sog. „letter of wishes“, in denen der Stifter bestimmte Ausschüttungsleitlinien geregelt hat). Das Feststellungsverfahren bietet die Chance, u.a. die gewählte Governance der Stiftung einer frühzeitigen Prüfung durch die Finanzbehörden zu unterziehen. Dies kann insbesondere in Grenzfällen zu mehr Rechtssicherheit führen und zukünftig kostspielige Nachversteuerungen vermeiden.
Selbst wenn aus Sicht der Betroffenen die Escape-Klausel zur Anwendung kommen sollte, mahnt die exzessive Auslegung der Finanzverwaltung zur Anwendung der Vorschriften über die Hinzurechnungsbesteuerung gem. § 15 Abs. 9 AStG zu weiterer Vorsicht. Dies kann so weit gehen, dass diese bereits in die Anlageentscheidungen auf Ebene der Stiftung einfließt. Werden Erklärungs- und Anzeigepflichten nachgeholt, kommt man ebenfalls nicht umhin, sich mit den weitreichenden Folgen der geschilderten Finanzverwaltungsauffassung auseinanderzusetzen – insbesondere wenn Überlegungen zu einer strafbefreienden Selbstanzeige im Raum stehen.
Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in: DER BETRIEB, Steuerboard, 1. Oktober 2024