
Das Wichtigste in Kürze
Wenngleich das Grundkonzept von § 15 AStG beibehalten werden soll, schlägt der Entwurf tiefgreifende strukturelle Änderungen vor. Wesentliche Eckpunkte sind:
- Einführung einer Niedrigsteuergrenze von 15 %,
- grundsätzliche Öffnung des Entlastungsnachweises für Drittstaaten,
- Neuausrichtung des Entlastungsnachweises: Ersetzung des Kriteriums der „Entziehung der Verfügungsmacht“ durch das unbestimmte Kriterium „keine künstliche Gestaltung“, und
- Verschärfung für mehrstufige Strukturen durch eine Nicht-Anwendbarkeit der Entlastungsmöglichkeit für Tochtergesellschaften der Stiftung im niedrig besteuerten Ausland.
Die Einführung der Mindeststeuergrenze und die Öffnung des Entlastungsnachweises für Drittstaaten sind zu begrüßen. Die angedachte Neufassung des Entlastungsnachweises würde hingegen erhebliche Rechtsunsicherheit schaffen. Das Kriterium “keine künstliche Gestaltung“ ist unbestimmt und gerade auf Stiftungen und Trusts kaum anwendbar. Der Ausschluss der Entlastungsmöglichkeit für Einkünfte von nachgelagerten Gesellschaften ist systemwidrig und europarechtlich höchst bedenklich.
Derzeitige Rechtslage
Die sogenannte Zurechnungsbesteuerung (§ 15 AStG) regelt in ihrer aktuellen Fassung die Zurechnung von Einkünften einer ausländischen Familienstiftung (oder vergleichbaren Rechtsgebilden wie Trusts) an den unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter bzw. an die unbeschränkt steuerpflichtigen bezugs- oder anfallsberechtigten Personen (Begünstigte). Die Norm fingiert für deutsche Besteuerungszwecke, dass die in Deutschland ansässige(n) Person(en) die Einkünfte auf Ebene der ausländischen Stiftung (teilweise) selbst erzielt hätte(n) und unterwirft sie in der Folge der deutschen Ertragsbesteuerung. Dies gilt unabhängig von einer tatsächlichen Zuwendung der Stiftung an den Stifter oder die Begünstigten (sog. dry income-Besteuerung).
Die Zurechnungsbesteuerung beschränkt sich dabei nicht auf die unmittelbar von der ausländischen Stiftung erzielten Einkünfte. Ist die Stiftung ihrerseits beherrschend an niedrig besteuerten Auslandsgesellschaften mit passiven Einkünften (sog. Zwischengesellschaften) beteiligt, werden auch deren Einkünfte im Rahmen der Zurechnungsbesteuerung zunächst auf Ebene der Stiftung und sodann (in einem zweiten Schritt) auf Ebene der Stifter oder Begünstigten erfasst (§ 15 Abs. 9 AStG).
Erleichterung verspricht bislang der sog. Entlastungsnachweis, wonach eine Zurechnung unterblieb, wenn insbesondere Stifter und Begünstigten die Verfügungsmacht über das Stiftungsvermögen tatsächlich entzogen war (§ 15 Abs. 6 AStG). Der BFH hat erst kürzlich den Anwendungsbereich dieser Klausel spürbar erweitert, insbesondere auf Stiftungen und Trusts über den EU/EWR-Raum hinaus (BFH vom 03.12.2024 – IX R 31/22).
Vorgesehene Neufassung
Anders als bisher, sieht die Entwurfsfassung (nur) eine Zurechnung der Einkünfte vor, die – auf Ebene der Stiftung – einer niedrigen Besteuerung, d.h. einer Belastung durch Ertragsteuern von weniger als 15 %, unterliegen. Anders als bei der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 ff. AStG) erfolgt allerdings keine Differenzierung zwischen aktiven und passiven Einkünften. Zugleich wird der subjektive Anwendungsbereich in Anlehnung an §§ 7 ff. AStG auch auf mittelbar Bezugs- und Anfallsberechtigte erweitert.
Hinsichtlich der Höhe des den Zurechnungsempfängern zuzurechnenden Anteils an diesen Einkünften findet sich im Entwurf erstmalig eine gesetzliche Definition. Dabei soll nunmehr bei der vorrangigen Zurechnung an den inländischen Stifter der gemeine Wert des jeweils übertragenen Vermögens, bei der nachrangigen Zurechnung an die inländischen Bezugs- und Anfallsberechtigten der gemeine Wert der jeweiligen Berechtigung maßgebend sein. Wie mit den in der Praxis üblichen, diskretionären Strukturen umzugehen ist, bei denen keine quantifizierbare „Berechtigung“ der einzelnen Begünstigten vorliegt, bleibt damit weiterhin offen.
Darüber hinaus soll der für die Definition der Familienstiftung relevante „Familienkreis“ um „nahestehende Personen“ erweitert werden wie bspw. von Familienmitgliedern gehaltene Gesellschaften.
In Anlehnung an die o. g. Rechtsprechung soll der Entlastungsnachweis nunmehr auch Familienstiftungen und Trusts außerhalb von EU und EWR offenstehen. Inhaltlich soll eine Entlastung künftig den Nachweis erfordern, dass die Einschaltung der ausländischen Familienstiftung nicht auf einer „künstlichen Gestaltung“ beruht. Was unter einer künstlichen Gestaltung zu verstehen sein soll, bleibt jedoch gänzlich offen. Die Begründung des Entwurfs verweist diesbezüglich auf die Grundsätze der Rechtsprechung des EuGH (insbesondere auf das Urteil des EuGH vom 26.02.2019 – C-135/17, Rechtssache X).
Konkrete Kriterien lassen sich der Rechtsprechung des EuGH allerdings nur schwerlich entnehmen. Insbesondere stellt sich gerade bei Stiftungen die Frage, wie eine „künstliche Gestaltung“ überhaupt vorliegen kann, wenn das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht von Stifter und Begünstigten tatsächlich entzogen ist. Insoweit bliebe es beim alten Kriterium. Zudem wird man Truststrukturen, als im angelsächsischen Rechtskreis verbreitete und übliche Nachfolge- und Asset-Protection-Vehikel, kaum einen Charakter der Künstlichkeit unterstellen können, wenn ein Bezug der Beteiligten oder des Vermögens zum angel-sächsischen Rechtskreis gegeben ist.
Für Fälle nachgeschalteter Zwischengesellschaften oder Stiftungen bleibt das Konzept der mehrstufigen Zurechnung grundsätzlich bestehen. Der Entlastungsnachweis soll insoweit nun allerdings ausgeschlossen werden (§ 15 Abs. 3 S. 3 AStG-E). Dies entspricht der unter dem aktuellen Recht wohl gesetzeswidrigen Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. Rz. 852 AEAStG). Das ist irritierend, weil es erhebliche Zweifel an der Europarechtskonformität einer solchen Regelung gibt. Lediglich auf den nachgelagerten Ebenen soll der „allgemeine“ Substanznachweis für EU/EWR- Gesellschaften eröffnet bleiben (§ 8 Abs. 2 AStG).
Fazit und Ausblick
Der Entwurf wirkt unausgereift und wirft insgesamt mehr Fragen auf als er beantwortet – etwa beim Umgang mit diskretionären Strukturen hinsichtlich der Zurechnungsquote oder mit Blick auf den unbestimmten Rechtsbegriff der „künstlichen Gestaltung“. Insoweit hatte der Bundesfinanzhof gerade mehr Klarheit und Rechtssicherheit für Stifter und Begünstigte geschaffen. Korrekturen im Gesetzgebungsverfahren erscheinen erforderlich, zugleich aber auch naheliegend. Strukturelle Anpassungen im Hinblick auf die Neuregelung wirken vor diesem Hintergrund verfrüht; eine sorgfältige Beobachtung der weiteren Entwicklungen ist jedoch dringend geboten.