
Das Wichtigste in Kürze
Der I. Senat des BFH hat entschieden, dass nach derzeitiger Gesetzeslage die gesonderte Feststellung eines steuerlichen Einlagekontos bei einer rechtsfähigen privaten Stiftung des bürgerlichen Rechts mangels gesetzlicher Grundlage nicht möglich ist. Die materiell-rechtlich ungleich wichtigere Frage, ob rechtsfähige privatnützige Stiftungen des bürgerlichen Rechts „Einlagen“ einkommensteuerfrei an den Stifter zurückgewähren oder gar an ihre Begünstigten auszahlen können, hat der BFH dagegen offengelassen.
Ausgangslage
Im letzten Jahrzehnt ist die Frage der Möglichkeit einer einkommensteuerfreien Einlagerückgewähr bei rechtsfähigen privaten Stiftungen des bürgerlichen Rechts vielfach diskutiert worden. Im Kern geht es dabei um die Auskehr von sonstigem Vermögen, welches durch den Stifter oder einen Dritten dem Stiftungsvermögen zugeführt wurde.
Im steuerlichen Schrifttum hatte sich dabei eine herrschende Meinung herausgebildet: Hiernach soll eine einkommensteuerfreie Einlagenrückgewähr im Grundsatz auch bei rechtsfähigen Stiftungen möglich sein, da die Besteuerungsnorm für Stiftungsleistungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG) insoweit auf die Besteuerungsnorm für Kapitalgesellschaften (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG) verweist. Ergänzend wurde im Schrifttum eine analoge Anwendung von § 27 Abs. 7 KStG und damit die Möglichkeit der gesonderten Feststellung eines steuerlichen Einlagekontos i.S.d. § 27 Abs. 2 KStG auch bei rechtsfähigen Stiftungen befürwortet. Das steuerliche Einlagekonto dient im Regelfall dazu, die vom Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft erbrachten (steuerfrei auszahlbaren) Einlagen von den durch die Kapitalgesellschaft erwirtschafteten (steuerpflichtigen) Erträgen zu unterscheiden.
In zwei Entscheidungen aus dem Jahr 2019 hatten die Finanzgerichte Münster und Rheinland-Pfalz daraufhin die Ansicht vertreten, dass auch für rechtsfähige Stiftungen ein steuerliches Einlagekonto festzustellen ist (FG Münster vom 16.1.2019 – 9 K 1107/17 F, DStRE 2019, 755; FG Rheinland-Pfalz vom 31.7.2019 – 1 K 1505/15, DStRE 2019, 1384). Beide Gerichtsentscheidungen gingen in die Revision vor den BFH; die Finanzverwaltung reagierte mit einem Nichtanwendungserlass (LfSt Niedersachsen vom 26.9.2019 – S 2836 – 1 – St 241, DStR 2020, 556).
Entscheidung des BFH
Mit seinen Urteilen vom 17. Mai 2023 hat der BFH die Ansicht der Finanzverwaltung bestätigt und entschieden, dass jedenfalls eine gesonderte Feststellung des steuerlichen Einlagekontos einer rechtsfähigen privaten Stiftung nach derzeitiger Gesetzeslage unzulässig ist. Die anderslautenden Äußerungen des Schrifttums sowie aus den beiden finanzgerichtlichen Entscheidungen werden in ihrer Zielsetzung zwar als wünschenswert erachtet, aber angesichts des insoweit klaren Gesetzeswortlauts abgelehnt. § 179 Abs. 1 AO sieht eine gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nur aufgrund einer ausdrücklichen gesetzlichen Rechtsgrundlage vor. Eine solche Rechtsgrundlage biete jedoch weder § 27 Abs. 1 KStG noch § 27 Abs. 7 KStG. Denn für rechtsfähige private Stiftungen verwende der Gesetzgeber üblicherweise den Begriff der „Vermögensmasse“, welcher in § 27 Abs. 7 KStG fehle.
Eine Anwendung des § 27 Abs. 7 KStG über seinen Wortlaut hinaus scheide aus, da es an einer planwidrigen Regelungslücke im Gesetz fehle. Eine analoge Anwendung des Gesetzes wäre ohnehin nur dann zulässig, wenn diese nur zugunsten des Steuerpflichtigen wirken würde. Letzteres lehnt der BFH mit der Begründung ab, dass bereits das Verfahren zur gesonderten Feststellung als solches belastend für den Steuerpflichtigen wirken könne. Im Übrigen sei eine analoge Anwendung von § 27 Abs. 7 KStG gar nicht geboten, um eine steuerfreie Einlagerückgewähr zu ermöglichen, da die Veranlagungsbezirke der Finanzämter auch ohne gesonderte Feststellung eines steuerlichen Einlagekontos über die Frage der einkommensteuerfreien Einlagenrückgewähr entscheiden könnten.
Offene Fragen und Ausblick
Die Urteile des BFH zur Unzulässigkeit eines steuerlichen Einlagekontos bei rechtsfähigen Stiftungen des bürgerlichen Rechts kommen nicht überraschend. Sie fügen sich nahtlos an die bisherige Rechtsprechung des I. Senat des BFH zur steuerfreien Einlagerückgewähr bei Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung in sog. Drittstaaten (d.h. außerhalb der EU und des EWR) an (vgl. BFH vom 10.4.2019 – I R 15/16, IStR 2019, 825). Auch bei Drittstaaten-Kapitalgesellschaften hat der BFH die Notwendigkeit zur Führung eines steuerlichen Einlagekontos verneint und die Steuerfreiheit der Einlagerückgewähr an den Gesellschafter gleichwohl bejaht. Auch bei Drittstaaten-Kapitalgesellschaften müssen die jeweiligen Veranlagungsämter somit jeweils direkt prüfen, ob eine steuerfreie Einlagerückgewähr oder eine steuerpflichtige Ausschüttung vorliegt.
Die beiden Urteile des I. Senat befassen sich demgemäß nur mit der verfahrensrechtlichen Seite des steuerlichen Einlagekontos bei rechtsfähigen Stiftungen. Die wichtigere Frage, ob eine einkommensteuerfreie Einlagenrückgewähr bei rechtsfähigen privaten Stiftungen steuerrechtlich möglich ist, ist damit jedenfalls nicht negativ beantwortet.
Es ist zweifelhaft, ob bei einer Leistung aus der Vermögenssubstanz einer Stiftung die vom Gesetz für die Einkommensteuerbarkeit dieser Leistung geforderte wirtschaftliche Vergleichbarkeit mit einer Gewinnausschüttung einer Kapitalgesellschaft gegeben ist (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 9 S. 1 EStG). In allen relevanten Fällen sollte daher die Nichtsteuerbarkeit solcher Stiftungsleistungen im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung der jeweiligen Empfänger geltend gemacht werden.
Es ist allerdings zu vermuten, dass die Finanzverwaltung im Hinblick auf den konkreten Nachweis der „Einlagenrückgewähr“ der Stiftung hohe, möglicherweise überzogene Anforderungen an die Steuerpflichtigen stellen wird, welche eine steuerfreie Einlagenrückgewähr aus praktischer Sicht in vielen Fällen ausschließen dürften. Auch insoweit drängt sich der Vergleich mit der praktischen Situation im Zusammenhang mit der steuerfreien Einlagenrückgewähr bei Kapitalgesellschaften in Drittstaaten auf (vgl. BMF, vom 21.4.2022, BStBl. 2022 I S. 647). Der gesonderten Feststellung eines steuerlichen Einlagekontos bedarf es aber jedenfalls auch bei rechtsfähigen Stiftungen des bürgerlichen Rechts nicht (mehr).