Die bei öffentlichen Übernahmeangeboten wohl am meisten interessierende Frage ist diejenige nach dem Preis. Besondere Bedeutung kommt dabei den gesetzlichen Mindestpreisregelungen des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) zu. Hiernach hat der Bieter den Aktionären der Zielgesellschaft eine angemessene Gegenleistung anzubieten. Ist die in einem öffentlichen Angebot vorgesehene Gegenleistung nicht angemessen, steht den Aktionären, die das Angebot angenommen haben, ein Nachzahlungsanspruch zu. Dies hatte der Bundesgerichtshof (BGH) bereits in seiner Postbank-Entscheidung im Jahr 2014 klargestellt (Az.: II ZR 353/12). Für Bieter und Aktionäre nicht weniger bedeutsam dürften die jüngsten Entwicklungen der Rechtsprechung zum Rechtsschutz bei und nach öffentlichen Übernahmen sein.
Entwicklungslinien der Rechtsprechung
Der Reihe nach: Der BGH hat in einem Urteil vom 7. November 2017 entschieden, dass bei der Ermittlung der angemessenen Gegenleistung für ein öffentliches Übernahmeangebot an die Aktionäre auch die vom Bieter für den derivativen Erwerb von Wandelschuldverschreibungen gezahlten Preise zu berücksichtigen sind (Az.: II ZR 37/16).
Der amerikanische Konzern McKesson hatte im Vorfeld der Übernahme des Pharmahändlers Celesio im Jahr 2014 Wandelanleihen auf Celesio-Aktien vom US-Fonds Elliott International erworben und in Aktien gewandelt. Der höchste von McKesson für den Erwerb von Anleihen gezahlte Kaufpreis betrug umgerechnet 30,95 Euro je Aktie. Das öffentliche Übernahmeangebot von McKesson sah hingegen nur einen Preis von 23,50 Euro je Aktie vor.
Die Celesio-Aktionärin Magnetar Capital hatte daraufhin die Zahlung des Differenzbetrags in Höhe von 7,45 Euro je Aktie geltend gemacht und bekam vom BGH recht: Die maßgebliche Regelung zur Berücksichtigung von Vorerwerben (§ 31 Abs. 6 WpÜG) sei im Sinne eines allgemeinen Umgehungsschutzes zu verstehen. Der Gesetzgeber habe sicherstellen wollen, dass der Bieter an dem Preis festgehalten werde, den er im zeitlichen Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot für die Aktien als angemessen angesehen habe. Diese Preisvorstellung zeige sich aber auch an dem Erwerb von Anleihen und dem mit ihnen verbundenen Recht zum Aktienerwerb. Da mit dem Rechtsrahmen des WpÜG vor allem ein faires und transparentes Verfahren zur Verfügung gestellt werden sollte, sei eine weite Auslegung geboten.
Bislang hatte der BGH nur über einen Nachzahlungsanspruch für Aktionäre die ein zu geringes Übernahmeangebot angenommen haben, zu entscheiden; nicht hingegen über ein Andienungsrecht der Aktionäre, die das Angebot nicht angenommen haben, weil es ihnen (zu Recht) zu niedrig erschien. Ebendiese Frage beschäftigt inzwischen die Instanzgerichte.
Bemerkenswert ist insbesondere die noch nicht rechtskräftige Entscheidung des Landgerichts Stuttgart im Spruchverfahren zu dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, den McKesson und die Celesio AG im Nachgang zum Übernahmeangebot geschlossen haben (Az.: 31 O 1/15 KfH SpruchG). In dem Beschluss vom 17. September 2018 hat das Gericht inzident die Voraussetzungen eines Anspruchs aus culpa in contrahendo, gerichtet auf Zahlung des gesetzlichen Mindestpreises von 30,95 Euro je Aktie, Zug um Zug gegen Übereignung der nicht eingelieferten Aktien dem Grunde nach als gegeben angesehen.
Allerdings bestehe der Anspruch auf Rechtsfolgenseite nicht, da als rechtmäßiges Alternativverhalten der Bieterin auch das Absehen von dem Angebot in Betracht komme und sich im konkreten Fall nicht mit dem erforderlichen Maß der Überzeugung feststellen lasse, dass die Bieterin bei Kenntnis des gesetzmäßigen Mindestpreises ein Angebot zu 30,95 Euro unterbreitet hätte.
Zu erwartende Rechtsfolgen
Ob diese Rechtsprechung der Überprüfung durch die Instanzen standhalten wird, erscheint fragwürdig. Zum einen scheidet die Nichtabgabe eines Übernahmeangebots als rechtmäßiges Alternativverhalten aus, wenn – wie im besagten Fall – die Bieterin verpflichtet war, ein Angebot zum Preis von 30,95 Euro je Aktie vorzulegen. Zum anderen gebieten wesentliche Ziele des WpÜG, namentlich die Stärkung des Minderheitenschutzes bei Übernahmen sowie die Aktionärsgleichbehandlung, die prinzipielle Anerkennung eines Andienungsanspruchs auch derjenigen Aktionäre, die ein zu niedrig bemessenes Angebot nicht angenommen haben.
Nach Auffassung des Landgerichts Stuttgart könne jedoch die im Rahmen eines Übernahmeangebots tatsächlich angebotene Gegenleistung für die Prüfung der Angemessenheit einer Barabfindung an außenstehende Aktionäre anlässlich einer zeitlich nachfolgenden aktienrechtlichen Strukturmaßnahme, wie etwa dem Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages, von Bedeutung sein; insbesondere dann, wenn die Strukturmaßnahme in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem insoweit „wertprägenden“ Übernahmeangebot stehe. Sollte sich diese Rechtsprechung verfestigen, hätte dies weitreichende Folgen für die seit der Stollwerck-Entscheidung des BGH gängige Praxis, für die Bemessung der Abfindungshöhe auf den höheren Wert eines nach IDW S 1 ermittelten Ertragswerts oder des nach Umsatz gewichteten Börsen-Durchschnittskurses innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Bekanntmachung einer Strukturmaßnahme abzustellen: Die im Rahmen eines vorausgegangenen Übernahmeangebots tatsächlich angebotene Gegenleistung würde eine zusätzliche Untergrenze für die Berechnung der angemessenen Abfindung an außenstehende Aktionäre bei Strukturmaßnahmen markieren. War die angebotene Gegenleistung unangemessen, könnte überdies der übernahmerechtlich tatsächlich angemessene Betrag zu berücksichtigen sein.
Aus der skizzierten Entwicklungslinie der Rechtsprechung folgt, dass Bieter bei der Strukturierung von Übernahmeangeboten künftig noch sorgfältiger kalkulieren müssen. Selbiges gilt bis auf Weiteres auch für die Bemessung der Abfindungshöhe für außenstehende Aktionäre bei Strukturmaßnahmen wie Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen oder einem Squeeze-out.
Dieser Beitrag erschien erstmals in: Börsen-Zeitung, Nr. 232, Seite B 6, 1. Dezember 2018