Das besprochene Urteil des LG Tübingen ist das erste Urteil eines deutschen Gerichts zur Zulässigkeit von Negativzinsen im Privatkundengeschäft. Gerade in Deutschland als Sparernation handelt es sich hierbei um ein hochemotionales Thema. Entsprechend aufgeweckt war auch die Medienresonanz, die dem Urteil folgte. In juristischer Hinsicht ist besonders die AGB-rechtliche Zulässigkeit der Anpassung eines variablen Einlagezinssatzes in den nominell negativen Bereich, über die das Landgericht hier zu entscheiden hatte, in der Fachliteratur in den letzten Monaten hochumstritten gewesen. Das Urteil wurde daher mit Spannung erwartet.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg verlangte von der Volksbank Reutlingen die Unterlassung der Verwendung ihres Erachtens unwirksamer AGB; verfahrensrechtlich eingekleidet war das Problem vorliegend also in eine Unterlassungsklage nach § 1 UKlaG. Bei diesen AGB handelte es sich um den Preisaushang der Bank, in dem für drei streitgegenständliche Kontomodelle Negativzinsen ausgewiesen waren: Für ein Tagesgeldkonto mit täglicher Verfügbarkeit ohne Zahlungsverkehrseignung (-0,5 % ab 10.000 € Einlage), ein Kündigungsgeldkonto ohne feste Laufzeit mit einer Kündigungsfrist von 90 Tagen (-0,35 %, ab 25.000 € Einlage) sowie ein Festgeldkonto (gestaffelt nach Einlagedauer -0,25 bis -0,1 %, ab 25.000 € Einlage). Der Preisaushang wurde von der Bank zwischen dem 17.05. und dem 26.06.2017 genutzt; infolge des Drucks von Verbraucherzentrale und Medien wurden die Negativzinsklauseln wieder zurückgezogen. Zum Prozess kam es aber dennoch, da die Volksbank Reutlingen keine Unterlassungserklärung für die Zukunft abgeben wollte.
Das Landgericht gab der Klage statt und untersagte es der Volksbank, künftig die angegriffenen AGB (oder inhaltsgleiche) zu verwenden. Die Negativzinsen ermöglichenden Klauseln im Preisaushang hielten für alle drei Kontomodelle der AGB-Kontrolle nicht stand. Es handele sich jeweils sowohl um eine unangemessene Benachteiligung der Kunden wegen Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB) als auch um überraschende Klauseln (§ 305c BGB). Das Landgericht stützte dies darauf, dass die Preisaushänge auch für Altverträge gelten sollten; eine Geltung nur für Neuverträge – d.h. solche Verträge, bei denen bereits bei Vertragsschluss auf die Möglichkeit negativer Zinsen hingewiesen wurde – hätte es für zulässig gehalten.
Zwar sei der Preisaushang an sich als Preisabrede der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB entzogen. Dennoch verstoße der Preisaushang gegen § 307 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 BGB, weil er Negativzinsen auch gegenüber Altkunden ermögliche. Denn er ändere insoweit unzulässigerweise durch eine Umkehr der Zahlungspflichten den Vertragscharakter. Die Regelungen lägen somit nicht mehr innerhalb des billigen Ermessens nach § 315 BGB.
Selbst wenn man dies anders sehen wolle, liege letztlich jedenfalls eine überraschende Klausel vor, da der Verbraucher bei bereits abgeschlossenen Einlageverträge nicht mit einem Übergang von Positiv- zu Negativzinsen gerechnet habe und damit auch nicht habe rechnen müssen.
Kontext der Entscheidung
Der ökonomische Hintergrund der erst in den letzten Jahren vermehrt auftretenden Negativzinsen im Einlagengeschäft der Banken liegt in der extremen Niedrigzinspolitik der EZB, die zu einem seit Sommer 2014 negativen Zinssatz der Einlagefazilität von mittlerweile -0,40 % geführt hat. Da in der Folge auch die Interbankenzinssätze deutlich in den negativen Bereich gefallen sind, fehlt es den Banken an ausreichenden Möglichkeiten einer rentablen, insbesondere kurzfristigen, Geldanlage. Überschüssige Liquidität verursacht im Gegenteil Kosten. Während manche Banken diese Zusatzkosten indirekt durch Gebührenerhöhungen – für Abhebungen, Überweisungen etc. – auf alle Kunden verteilen, packen andere das Problem bei der Wurzel, indem sie die Negativzinsen jedenfalls an große Einlagen weitergeben und sich so gleichzeitig gegen übermäßige zusätzliche Liquidität wehren.
In rechtlicher Hinsicht wurde mit der Durchdringung des Phänomens negativer Zinsen erst in den letzten Jahren begonnen. Die Möglichkeit der einseitigen Zinsfestsetzung für Banken ergibt sich aus sog. Zinsanpassungsklauseln, i.d. R aus Nr. 12 Abs. 1, 5 AGB Banken, sofern nicht – wie im Besprechungsfall – spezifische Klauseln vereinbart sind. Die jeweilige Zinsfestsetzung basiert somit auf zwei Vertragsbedingungen, die beide den AGB-Begriff des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllen: Erstens auf der Zinsanpassungsklausel selbst und zweitens auf der darauf beruhenden Festsetzung des konkreten (hier negativen) Zinssatzes im Preisaushang. Die Zinsfestsetzung im Preisaushang unterliegt zudem – unabhängig vom AGB-Recht – den Bindungen des § 315 BGB, wonach eine einseitige Leistungsbestimmung billigem Ermessen genügen muss. Nur die letzten beiden Aspekte wurden im vorliegenden Urteil behandelt: Das Landgericht war daran gehindert, die Zinsanpassungsklauseln selbst zu prüfen, da es insoweit an den Antrag gebunden war (§ 8 Abs. 1, 5 UKlaG, § 308 ZPO), der ausdrücklich nur die Preisaushangklauseln umfasste. Ob die Zinsanpassungsklauseln einer solchen Prüfung standgehalten hätten, wäre am Maßstab des § 308 Nr. 4 BGB zu beurteilen gewesen.
Auswirkungen für die Praxis
Die Praxis wird aus der vorliegenden Entscheidung vorerst den Schluss zu ziehen haben, dass Negativzinsen auf solche Kunden begrenzt werden müssen, denen diese Möglichkeit bei Vertragsschluss offengelegt wurde. Leider hat die Volksbank keine Rechtsmittel eingelegt, sodass mit einer baldigen höchstrichterlichen Klärung nicht zu rechnen ist.
Rechtspolitisch sind diese Aussichten enttäuschend. Denn negative Zinsen sind ein probates Mittel, die geldpolitischen Kosten, die den Banken vonseiten der EZB entstehen, zielgenau an diejenigen weiterzugeben, die hieran einen überproportional großen Anteil tragen. Stattdessen ist nun zu befürchten, dass die Banken weiter an der Gebührenschraube drehen und somit die geldpolitischen Kosten auf alle Kunden verteilen – und zwar überproportional auf ältere Mitbürger, die gebührenauslösende Dienstleistungen wie papiermäßige Überweisung oder Abhebungen am Schalter mutmaßlich besonders häufig in Anspruch nehmen.
Bewertung
Das Urteil schließt die Erhebung negativer Einlagezinsen überzeugenderweise nicht generell aus. Die Einschränkung bei Bestandsverträgen erscheint jedoch zu weitgehend.
Die Bestimmung des (negativen) Zinssatzes durch Preisaushang hätte der Inhaltskontrolle meines Erachtens gar nicht unterworfen werden dürfen. Denn es handelt sich hierbei um eine Preisbestimmung. Eine solche unterfällt anerkanntermaßen nicht der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle, da ein privatautonom vereinbarter Preis für eine bestimmte Leistung niemals eine Abweichung von Rechtsvorschriften darstellen kann, § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB. Das Landgericht erkennt dies in seinem Urteil zunächst ausdrücklich an. Sodann unterwirft es die Preisbestimmung aber doch der Inhaltskontrolle, weil sie auch von Kunden, bei deren Vertragsschluss auf die Möglichkeit negativer Einlagezinsen nicht hingewiesen war, negative Zinsen verlange. Das Gericht begründet jedoch nicht, warum dieser Umstand dazu führen sollte, dass es sich nicht mehr um Preisbestimmungen handelt. Selbst wenn es sich beim Negativzins um eine Vergütung für die Verwahrungsleistung der Bank statt für die Kapitalüberlassung des Bankkunden handeln sollte – hierzu näher sogleich – ändert dies nichts daran, dass eine kontrollfreie Preisabsprache vorliegt.
Die eigentliche Frage hätte somit sein müssen, ob die Bank sich mit der Festlegung der negativen Zinsen noch innerhalb des billigen Ermessens nach § 315 BGB hielt. In diesem Zusammenhang folgt das Landgericht der bereits zuvor verschiedentlich in der Literatur geäußerten Ansicht, wonach die Grenze billigen Ermessens bei nominell negativen Zinsen überschritten sei. Es fehle an der für § 315 BGB grds. erforderlichen prinzipiellen Einigung über die Begründung der Leistungspflicht, die dann später einseitig konkretisiert werden könne.
Diese Auffassung erfasst jedoch die wirtschaftliche Natur mitsamt der im Rahmen eines Einlagevertrages wechselseitig verfolgten Interessen von Bank und Bankkunde nur unvollständig. Auch bei positiven Zinsen besteht ein Interesse des Bankkunden an der Verwahrung und ggf. auch Verfügbarhaltung seines Geldes auf seinem Bankkonto. Zudem entfällt das Finanzierungsinteresse der Bank nicht vollständig, nur weil der Zins in den negativen Bereich sinkt. Vielmehr handelt es sich um einen graduellen Prozess. Das Auftreten von Negativzinsen ergibt sich lediglich daraus, dass der Marktpreis für Liquidität unter den Marktpreis für die Kapitalverwahrung sinkt und Letzterer damit nicht mehr komplett von Ersterem kompensiert wird. Ein grundlegender qualitativer Unterschied liegt nicht vor, vielmehr unterscheiden sich nominell negative Zinsen nur graduell von positiven Zinsen. Eine Leistungspflicht war damit im Grundsatz bereits begründet.
Vor diesem Hintergrund vermag es nicht zu überzeugen, der Bank die Anpassung des Zinssatzes anhand der realen wirtschaftlichen Marktverhältnisse zu verwehren. Denn die Zinsanpassungsklausel enthält genau diese Befugnis; würde sie sich nicht an tatsächlichen Marktzinsen orientieren, wäre sie bereits selbst unwirksam.
Dieser Beitrag erschien erstmals in: Juris, jM 2018, 230