Der Deutsche Bundestag hat am 21.05.2021 das Gesetz zur Umsetzung der europäischen Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATADUmsG) beschlossen und darin – über die Vorgaben der EU-Anti-Steuervermeidungsrichtlinie hinaus – auch die Bestimmungen zur Wegzugssteuer für im Privatvermögen gehaltene Beteiligungen verschärft. Die Zustimmung des Bundesrates zu dem Gesetz ist für den 25.06.2021 geplant. Das Gesetz ist seit Ende 2019 in Planung und hat sich seitdem, zumindest in Bezug auf die Wegzugsbesteuerung, wenig verändert. Es ist davon auszugehen, dass das Gesetz in der jetzigen Form verabschiedet und für alle Wegzüge ab dem 01.01.2022 gelten wird (§ 21 Abs. 1 AStG-neu). Die mit der Gesetzesänderung verbundenen Verschärfungen könnten dazu führen, dass die Anzahl der Wegzüge in diesem Jahr rapide ansteigen wird und man im Nachhinein möglicherweise von einer Flucht von Unternehmern und Unternehmerfamilien aus Deutschland sprechen kann.
Allgemeines zur deutschen Wegzugsbesteuerung
Die deutsche Wegzugssteuer (§ 6 AStG) regelt die Besteuerung eines fiktiven Veräußerungsvorgangs von einer in der Regel mindestens 1-prozentigen Beteiligung am Kapital einer (in- oder ausländischen) Kapitalgesellschaft im Privatvermögen bei Wegzug des Gesellschafters in das Ausland. Unter Wegzug in diesem Sinne ist insbesondere die Aufgabe des deutschen Wohnsitzes gemeint. Daneben bestehen jedoch auch weitere sog. Ersatztatbestände, wie die unentgeltliche Übertragung auf eine im Ausland ansässige Person oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts auf andere Weise. Hintergrund ist, dass das Besteuerungsrecht für entsprechende Veräußerungsgewinne nach den meisten Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) regelmäßig dem neuen Wohnsitzstaat im Zeitpunkt der späteren Realisierung der stillen Reserven zusteht (vgl. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA).
Die wichtigsten Änderungen durch das ATADUmsG
Persönlicher Anwendungsbereich
In Bezug auf den persönlichen Anwendungsbereich ist nach der bisherigen Rechtslage vorausgesetzt, dass der Steuerpflichtige für mindestens zehn Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war. Diese 10-Jahres-Frist muss jedoch nicht an einem Stück erfüllt werden, sondern es werden alle Zeiträume im Laufe des gesamten Lebens bis zum Wegzug berücksichtigt. Nach der neuen Regelung ist eine unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland von mindestens sieben Jahren in den letzten zwölf Jahren notwendig. In der Praxis führt dies zu einer Verschärfung in den meisten Fällen. Jedoch ist in bestimmten Konstellationen auch eine Erleichterung möglich, wenn ein Steuerpflichtiger beispielsweise in „jungen Jahren“ ein paar Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war, zwischenzeitlich im Ausland steuerlich ansässig wurde und nunmehr seit weniger als sieben Jahren wieder in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig ist.
Abschaffung der Steuerstundung bei Umzug von EU-/EWR-Bürgern innerhalb der EU/des EWR
Die wesentlichste Änderung und Verschärfung durch das ATADUmsG ist die Abschaffung der zinslosen und unbefristeten Stundung in EU-/EWR-Fällen. Nach der bisherigen Rechtslage kann eine zeitlich unbegrenzte und unverzinsliche Stundung der Wegzugssteuer ohne Sicherheitsleistung erreicht werden, wenn ein EU-/EWR-Bürger in ein anderes Mitgliedsland der EU oder des EWR wegzieht (doppelter EU-/EWR-Konnex). Diese Möglichkeit, unter gewissen Umständen quasi steuerfrei innerhalb der EU bzw. des EWR umziehen zu können, wird mit dem ATADUmsG vollständig abgeschafft. Diese Änderung ist vor dem Hintergrund der europäischen Grundfreiheiten, insb. der Personenverkehrsfreiheiten, äußerst kritisch zu sehen und es darf bezweifelt werden, ob diese Regelung vor dem EuGH standhalten würde. Die Diskriminierung von Umzügen über die Grenze innerhalb des EU-/EWR-Raums gegenüber rein inländischen Umzügen ist eklatant. Nach der neuen Rechtslage tritt an die Stelle der bisherigen Stundungsregelungen für EU-/EWR-Umzüge eine einheitliche Regelung für alle Wegzüge, unabhängig von der Staatsbürgerschaft des Steuerpflichtigen und dem jeweiligen Zielland. Die Wegzugssteuer ist künftig in allen Fällen grundsätzlich sofort fällig. Jedoch kann auf Antrag eine zinsfreie Ratenzahlung in sieben gleich hohen Jahresraten erlangt werden, „in der Regel“ allerdings nur gegen Sicherheitsleistung. Diese drastische Verschärfung in EU-/EWR-Fällen stellt für Wegzüge in Drittstaaten dagegen eine relative Verbesserung dar, weil nunmehr einfacher als nach heutigem Recht in Drittstaatenfällen eine zinsfreie Ratenzahlung erreicht werden kann.
Modifizierung der Rückkehrerregelung
Kleinere Anpassungen erhält auch die sog. Rückkehrerregelung. Bisher kann die Wegzugsbesteuerung rückwirkend entfallen, wenn innerhalb von fünf Jahren eine Rückkehr nach Deutschland erfolgte. Diese Frist kann unter gewissen Voraussetzungen um weitere 5 Jahre verlängert werden. Auf Grundlage dieser Regelung kann die Wegzugssteuer auf Antrag für die Zwischenzeit gegen Sicherheitsleistung gestundet werden. Bei Umzügen von EU-/EWR-Bürgern innerhalb der EU/des EWR gilt die Rückkehrerregelung unbefristet und ohne Sicherheit. Die künftige Regelung verlängert die ursprüngliche Frist auf sieben Jahre und ermöglicht weiterhin eine Verlängerung um weitere fünf Jahre, so dass eine Rückkehr nunmehr bis zu 12 Jahre nach dem Wegzug erfolgen kann. Die größte Änderung ist jedoch auch hier der komplette Wegfall der bisherigen EU-/EWR-Privilegierung, d.h. der zeitlich unbegrenzten Rückkehrmöglichkeit ohne Sicherheitsleistung. Über die Rückkehrerreglung eine Stundung zu empfangen, ist nach neuem Recht die einzig verbleibende Möglichkeit, eine Stundung der gesamten Wegzugssteuer zu erhalten.
Erweitertes Erfordernis zur Besicherung einer nicht sofort bezahlten Wegzugssteuer
Das neue Recht sieht sowohl die siebenjährige Ratenzahlung als auch die Stundung im Rahmen der Rückkehrerregelung „in der Regel“ nur gegen Sicherheitsleistung vor. Im Umkehrschluss ist die Rechtsfolge einer fehlenden Sicherheitsleistung im Regelfall die sofortige Fälligkeit der gesamten Wegzugssteuer. Die Art der zulässigen Sicherheitsleistung richtet sich nach allgemeinem Abgabenrecht (§§ 241 ff. AO). Danach gibt es eine abschließende Liste an Sicherheiten, die im Grundsatz als Sicherheitsleistung vorgesehen sind, insbesondere die Hinterlegung von Bargeld oder die Bestellung von Grundpfandrechten an deutschen Immobilien. Andere Sicherheiten sind nur nach Ermessen der Finanzbehörden zulässig (§ 245 AO). Beispielsweise kommt hiernach im Grundsatz eine Verpfändung von Anteilen an Kapitalgesellschaften in Frage, insbesondere wenn die jeweiligen Anteile börsennotiert sind und/oder die jeweilige Kapitalgesellschaft im EU-/EWR-Raum ansässig ist. Die Stellung der Sicherheit kann ein sehr großes Problem in der Praxis werden, da der wegzugswillige Steuerpflichtige auf der einen Seite stark von der Entscheidung der Finanzbehörde abhängig ist und auf der anderen Seite die schwerwiegendste Konsequenz, die sofortige Fälligkeit der gesamten Wegzugssteuer, droht. Hierbei ist wiederum auf die europäischen Grundfreiheiten zu verweisen, da es m.E. nicht vertretbar ist, in einem EU-/EWR-Fall die sofortige Fälligkeit der Wegzugssteuer vorzusehen. Die Praxis der Finanzverwaltung und die zwangsläufig drohenden Gerichtsverfahren dürfen mit Spannung erwartet werden.
Zu guter Letzt gibt es noch eine Anpassung bei den Voraussetzungen des Widerrufs der Ratenzahlung bzw. der Stundung. Der Widerruf erfolgt künftig nicht nur bei einer (auch unentgeltlichen!) Übertragung der betroffenen Anteile oder bei einer Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen, sondern nunmehr auch bei Gewinnausschüttungen bzw. Einlagenrückzahlungen, die insgesamt das Volumen von 25% des Werts der betreffenden Anteile übersteigen.
Ausblick
Die Änderungen der Wegzugsbesteuerung durch das ATADUmsG stellen die Gegebenheiten für Wegzüge von EU-/EWR-Bürgern innerhalb der EU/des EWR völlig auf den Kopf. Vor allem internationale Unternehmerfamilien und Familienunternehmen können von den Verschärfungen betroffen sein, so dass diese zum Teil noch unter Nutzung des bisherigen Regimes mit seinen großzügigen Stundungsregelungen für Wegzüge innerhalb der EU einen Wegzug in Betracht ziehen werden. Für Stundungen, die auf entsprechende Wegzüge bis zum 31.12.2021 gewährt werden, gilt das alte Recht auch nach dem 01.01.2022 unverändert weiter. Ob eine große Fluchtwelle von Unternehmern aus Deutschland einsetzt oder die tatsächlichen Schwierigkeiten eines Wegzugs die Mehrheit der Betroffenen doch am Bleiben hält, darf abgewartet werden. Die Beraterschaft darf sich jedoch sicherlich in der zweiten Jahreshälfte auf vermehrte Anfragen in diesem Zusammenhang einstellen. Die Zukunft wird dann zeigen, wie die Steuerpflichtigen und die Gerichte, allen voran der EuGH, auf die Verschärfungen reagieren werden.
Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in: Handelsblatt online, Steuerboard, 14. Juni 2021