Durch das sog. Fondsstandortgesetz wurde bereits mit Wirkung vom 1. Juli 2021 das Umsatzsteuergesetz (UStG) um eine Steuerbefreiung für die Verwaltung von Wagniskapitalfonds ergänzt. Bislang war jedoch weitgehend unklar, wie die Finanzverwaltung den nicht gesetzlich definierten Begriff des „Wagniskapitalfonds“ auslegt und welche Fonds von der neuen Umsatzsteuerbefreiung erfasst sein sollen.
Inzwischen wurde der Umsatzsteuer-Anwendungserlass durch das Bundesministerium der Finanzen (BMF) um eine lang erwartete Definition des Begriffs des „Wagniskapitalfonds“ ergänzt. Wir fassen für Sie die wesentlichen Erkenntnisse zum Begriff des „Wagniskapitalfonds“ im Folgenden zusammen.
Das Wichtigste im Überblick
Die Finanzverwaltung versteht als Wagniskapitalfonds insbesondere Private Equity oder Venture Capital Fonds, die mehrheitlich in junge Unternehmen investieren, die nicht älter als 12 Jahre seit Unternehmensgründung sind.
Unter dieser Voraussetzung sollen insbesondere EuVECA-Fonds als Wagniskapitalfonds zu qualifizieren sein. Bei Spezial-AIF sollen im Einzelfall gleiche Wettbewerbsbedingungen wie bei OGAW (Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren) und eine besondere staatliche Aufsicht nachgewiesen werden. Zudem müssen auch bei Spezial-AIF die Unternehmensgröße und der Sitz der Portfoliounternehmen zum Zeitpunkt der jeweiligen Erstbeteiligung mehrheitlich den Anforderungen an sog. qualifizierte Portfoliounternehmen im Sinne der EuVECA-Verordnung entsprechen.
Die Verwaltung von anderen AIF, die nicht in Wagniskapital im vorstehenden Sinn investieren, soll nach der geltenden Rechtslage umsatzsteuerpflichtig bleiben. Die insoweit weiterhin restriktive Auffassung der Finanzverwaltung ist unionsrechtlich bedenklich und führt dazu, dass Standortnachteile für den Fondsstandort Deutschland weiter bestehen bleiben. Vor diesem Hintergrund ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung als Teil ihrer Start-up-Strategie angekündigt hat, „die Umsatzsteuerbefreiung für Wagniskapitalfonds im Rahmen des unionsrechtlich Zulässigen aus[zu]weiten“, um den Fondsstandort Deutschland steuerlich weiter zu stärken. Es bleibt aktuell abzuwarten, ob, wann und inwieweit entsprechende Änderungen umgesetzt werden.
Gemäß aktuell geltendem § 4 Nr. 8 Buchst. h Var. 3 UStG ist die Verwaltung von Wagniskapitalfonds von der Umsatzsteuer befreit. Vor Einführung dieser Regelung war nach nationaler Rechtslage nur die Verwaltung von Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) und mit diesen vergleichbaren alternativen Investmentfonds (AIF) umsatzsteuerbefreit.
Der deutsche Gesetzgeber hatte erkannt, dass sich diese – im internationalen Vergleich sehr restriktive – Regelung als entscheidender Standortnachteil gegenüber anderen europäischen Staaten darstellt. So ist beispielsweise in Luxemburg die Verwaltung von sämtlichen offenen und geschlossenen Fonds umsatzsteuerfrei (Art. 44 Nr. 1 Buchst. d des luxemburgischen Umsatzsteuergesetzes). Mit dem Ziel der Beseitigung dieses Standortnachteils für Deutschland wurde die Umsatzsteuerbefreiung für die Verwaltung von Wagniskapitalfonds geschaffen.
Voraussetzungen für die Umsatzsteuerbefreiung bei Wagniskapitalfonds
Die Neuregelung im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (Abschnitt 4.8.13 Abs. 10) sieht vor, dass als Wagniskapitalfonds in diesem Sinn bestimmte AIF, insbesondere (aber nicht ausschließlich) „qualifizierte Risikokapitalfonds“ im Sinne der EuVECA-Verordnung (EuVECA-Fonds), anzusehen sind. Voraussetzung der Umsatzsteuerbefreiung soll jedoch sein, dass der betreffende AIF die folgenden Kriterien erfüllt:
Punkt 1
Der AIF muss durch entsprechende Vorgaben in den Anlagebedingungen (insbesondere Gesellschaftsverträge) verpflichtet sein, sein aggregiertes eingebrachtes bzw. noch nicht eingefordertes, aber zugesagtes Kapital zu mehr als 50 % in Wachstumsunternehmen (Zielunternehmen) zu investieren, die die nachfolgenden Voraussetzungen erfüllen:
- zum Zeitpunkt der ersten Wagniskapitalbeteiligung nicht älter als 12 Jahre seit Unternehmensgründung;
- zum Zeitpunkt der ersten Wagniskapitalfinanzierung entspricht die Unternehmensgröße des Zielunternehmens einem sog. qualifizierten Portfoliounternehmen nach Artikel 3 Buchstabe d) Unterbuchstabe i) im Sinne der EuVECA-Verordnung. Anders als in einem früheren Entwurf aus dem März muss das Zielunternehmen daher nicht die (strengeren) Voraussetzungen eines kleinen oder mittleren Unternehmens (KMU) erfüllen. Nicht börsennotierte Unternehmen dürfen aufgrund dessen bis zu 499 Personen beschäftigen (statt der für KMU geltenden Grenze von weniger als 250 Mitarbeitern);
- Sitz in einem Gebiet nach Artikel 3 Buchstabe d) Unterbuchstabe iv) der EuVECA-Verordnung. Anders als in dem früheren Entwurf aus dem März muss das Zielunternehmen daher nicht zwingend in der Europäischen Union (EU) oder im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ansässig sein. Unternehmen mit Sitz in bestimmten Drittstaaten wie unter anderem den USA, dem Vereinigten Königreich oder der Schweiz sind danach ebenfalls zulässige Wachstumsunternehmen im Sinne des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses;
- fortlaufend wirtschaftlich (mit Gewinnerzielungsabsicht) aktiv.
Unschädlich für die Qualifikation eines AIF als Wagniskapitalfonds ist es demnach, wenn der AIF im Übrigen (aber zu weniger als 50%) in Zielunternehmen investiert ist, welche die vorstehenden Voraussetzungen nicht erfüllen. Die konkrete Form der „Wagniskapitalfinanzierung“ bzw. „Wagniskapitalbeteiligung“ wird nicht explizit vorgeschrieben. Insbesondere sind keine ausdrücklichen Begrenzungen auf Eigenkapital- und eigenkapitalähnliche Instrumente vorgesehen. Neben Private Equity (PE) und Venture Capital (VC) Fonds könnten daher nach unserem Verständnis z.B. auch bestimmte Kreditfonds (insbesondere sog. Venture Debt Fonds) erfasst sein. Diese Auslegung wäre zu begrüßen, weil solche Kreditfonds gleichermaßen – entsprechend dem Ziel des Fondsstandortgesetzes – den Venture-Capital-Markt in Deutschland und damit letztlich deutsche Startups stärken.
Punkt 2
Wagniskapitalfonds streben nach dem Verständnis des BMF durch „Risiko tragende Finanzierungen regelmäßig nach Erreichen des durch die Finanzierung beabsichtigten Zwecks auf einen erheblichen Wertzuwachs des Zielunternehmens ab, der zum Zeitpunkt des Ausstiegs des Fonds maßgeblich dessen Investitionsertrag bestimmt“. Damit wird insbesondere der typische PE/VC Fonds beschrieben, der Wertzuwächse in Bezug auf seine Zielunternehmen durch Veräußerung mittel- bis langfristig gehaltener Anlagen realisiert.
Aber auch andere Fonds wie z.B. Kreditfonds streben einen erheblichen Wertzuwachs des Zielunternehmens an, an denen diese Fonds z.B. über gewinn- oder umsatzabhängige Zinskomponenten partizipieren können.
Mit der Typusbeschreibung nach diesem Punkt 2 dürfte das BMF den Tatbestand des Wagniskapitalfonds letztlich nicht zusätzlich einschränken wollen.
Punkt 3
Das Kapital des AIF kann direkt oder indirekt in die Zielunternehmen fließen. Damit dürfte lediglich klargestellt werden, dass eine Zwischenschaltung von Akquisitions-/Holdinggesellschaften oder auch von Zielfonds (im Dachfondskontext), die ihrerseits erst in das Zielunternehmen investieren und die ggf. nicht selbst die Voraussetzungen des vorstehenden Punktes 1. a. bis d. erfüllen, für die Qualifikation eines AIF als Wagniskapitalfonds unschädlich ist. Zu beachten ist aber jedenfalls in Neufällen, dass die Anlagebedingungen des Wagniskapitalfonds die in Punkt 1. a. bis d. zusammengefassten Kriterien dennoch enthalten müssen, was insbesondere im Dachfondskontext ggf. die Vereinbarung korrespondierender Side Letter-Regelungen mit den Zielfonds erforderlich macht.
Punkt 4
Der AIF muss (i) den gleichen Wettbewerbsbedingungen wie OGAW unterliegen und einer besonderen staatlichen Aufsicht (z.B. der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) unterstehen oder (ii) als „qualifizierter Risikokapitalfonds“ nach der EuVECA-Verordnung registriert sein.
Die Finanzverwaltung geht also bei EuVECA-Fonds offenkundig davon aus, dass diese gleichen Wettbewerbsbedingungen und einer besonderen staatlichen Aufsicht unterliegen, wohingegen andere AIF wie Spezial-AIF diese Kriterien nachweisen sollen. Nach unserer Beurteilung unterliegen insbesondere auch gemäß § 2 Abs. 4 KAGB registrierte Kapitalverwaltungsgesellschaften (sog. „kleine“ Spezial-AIFM) per se einer besonderen staatlichen Aufsicht. Ein „kleiner“ Spezial-AIFM wird bereits insofern beaufsichtigt, als sein Geschäftsbetrieb nicht ohne Registrierung bei der BaFin aufgenommen werden darf (§ 44 Abs. 1 Nr. 1, § 339 Abs. 1 Nr. 2 KAGB). Ein „kleiner“ Spezial-AIFM unterliegt zudem diversen aufsichtsrechtlichen Folgepflichten (insbesondere Begrenzung des Werts der Vermögensgegenstände gemäß § 2 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 KAGB, Art. 3 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 231/2013, Kontrollbefugnisse der BaFin gemäß § 42 KAGB, Begrenzung der Vergabe von Gelddarlehen für Rechnung der AIF, Berichtspflicht gegenüber der BaFin gemäß § 44 Abs. 1, Abs. 4 bis 9 KAGB, Pflicht zur Jahresabschlussprüfung gem. § 45a KAGB). Das Erfordernis gesonderter Nachweise ist verfehlt. Ein mit OGAW vergleichbarer Anlegerkreis (Kleinanleger) wird darüber hinaus nicht gefordert.
Punkt 5
Die vorstehend in Punkt 1 a. bis d. genannten Kriterien müssen jedenfalls in Neufällen (neu gegründete Fondsgesellschaften) in den Anlagebedingungen reflektiert werden und der Unternehmer (d.h. die Verwaltungsgesellschaft) das Vorliegen der vorstehenden Voraussetzungen durch geeignete Belege (insbesondere anhand der vertraglichen Anlagebedingungen) gegenüber der Finanzbehörde nachweisen können. Dies ist bereits bei der Abfassung der Fondsdokumentation zu berücksichtigen (d.h. insbesondere ausdrückliche Regelungen in Gesellschaftsverträgen und etwaigen Emissionsdokumenten).
In Altfällen, d.h. bei vor der Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses bereits gegründeten Fondsgesellschaften, muss nach unserer Beurteilung genügen, dass die vorstehenden Kriterien tatsächlich erfüllt sind. Denn die Anlagebedingungen konnten in diesen Altfällen die Kriterien für Wagniskapitalfonds naturgemäß noch nicht reflektieren.
Fazit und Folgen für die Praxis
Wagniskapitalfonds sollen nach Auffassung des BMF also primär bestimmte, in frühen Phasen investierende PE/VC Fonds und möglicherweise Venture Debt Fonds sein. AIF mit anderen Anlagestrategien (z.B. in späten Phasen investierende PE Fonds, Immobilienfonds, Infrastrukturfonds, Prozessfinanzierungsfonds usw.) bleiben leider außen vor. Bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Fondsstandortgesetz wurde dies mit europarechtlichen Bedenken des BMF gegen eine weitere Ausdehnung der Umsatzsteuerbefreiung auf sämtliche AIF begründet.
Diese Bedenken des BMF sind nach unserer Beurteilung nicht nachvollziehbar. Unionsrechtlich bedenklich ist vielmehr die Ungleichbehandlung anderer AIF. Sämtliche dieser AIF unterscheiden sich lediglich in Bezug auf den jeweiligen Anlagegegenstand, der nach der Rechtsprechung des EuGH zur unionsrechtlichen Grundlage der Umsatzsteuerbefreiung (Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuersystemrichtlinie) jedoch nicht maßgeblich und daher unseres Erachtens kein legitimes Differenzierungskriterium ist. Zudem dürfte die Anknüpfung der Umsatzsteuerbefreiung an das Erfordernis einer mehrheitlichen Anlage eines AIF in bestimmte Zielunternehmen in Grenzfällen unzweckmäßig sein und zu Zweifelsfragen führen. Gegen eine dennoch erfolgende Erhebung von Umsatzsteuer bleibt betroffenen AIF bzw. Kapitalverwaltungsgesellschaften aktuell leider weiterhin oftmals nur der Weg über Rechtsbehelfsverfahren. Es bleibt aktuell abzuwarten, ob, wann und inwieweit eine jüngst im Rahmen der Start-up-Strategie der Bundesregierung angekündigte Erweiterung der Umsatzsteuerbefreiung für Wagniskapitalfonds umgesetzt wird.
Soll das Ziel des Fondsstandortgesetzes, eine Beseitigung von Standortnachteilen für Deutschland, tatsächlich erreicht werden, ist eine Erweiterung der Umsatzsteuerbefreiung in § 4 Nr. 8 Buchst. h UStG auf die Verwaltung sämtlicher geschlossener AIF zwingend erforderlich.
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