
Virtuelle Optionen sind ein beliebtes Mittel der Mitarbeiterincentivierung in Unternehmen. Anders als echte Kapitalbeteiligungen vermitteln sie keine gesellschaftsrechtlichen Mitgliedschaftsrechte, sondern begründen eine rein schuldrechtliche Erfolgsbeteiligung. Dem Mitarbeiter werden virtuelle Optionen auf Aktien oder GmbH-Geschäftsanteile zugeteilt. Bei Ausübung der Optionen erfolgt keine Übertragung von Anteilen, sondern eine Bonuszahlung, die wirtschaftlich dem Wert der zugrunde liegenden Anteile entspricht. Anderweitige Ausgestaltungen sind denkbar, zum Beispiel durch die Verknüpfung der Zahlung mit Gewinn, Umsatz oder Exit-Erlösen.
Virtuelle Optionen als Instrument der Mitarbeiterbindung
Zweck solcher Programme, auch Employee Stock Option Programs (ESOPs) oder Virtual Stock Option Programs (VSOPs) genannt, ist primär die langfristige Bindung und Motivation von Schlüsselpersonen. Um diesen Effekt sicherzustellen, sind ESOPs regelmäßig mit sog. Vesting-Klauseln versehen. Diese regeln, dass Optionen erst nach einem bestimmten Zeitraum (Time Vesting) oder bei Erreichen definierter Leistungsziele (Performance Vesting) „erdient“ und damit ausübbar/werthaltig werden. Im Fall des Ausscheidens des Mitarbeiters greifen häufig sogenannte Leaver-Klauseln, die je nach Austrittsgrund zu einem (vollständigen/teilweisen) Verfall der (erdienten) Optionsrechte führen. Um einen sofortigen Entzug von ausübbaren Optionen zu vermeiden, sehen solche Programme teils ein „Devesting“ zur sukzessiven (linearen/gestaffelten) „Abschmelzung“ vor.
Entscheidung des BAG
Das BAG hat bislang (Urteil vom 28. Mai 2008, Az. 10 AZR 351/07) die Auffassung vertreten, dass Verfallsklauseln in Aktienoptionsplänen generell zulässig sind. Optionsrechte hätten im Vergleich zu anderen Sondervergütungsbestandteilen einen spekulativen Charakter, da es keinerlei Garantie der Werthaltigkeit gibt. Mitarbeiter könnten aufgrund der bloßen Verdienstchance nicht fest mit einem wirtschaftlichen Vorteil rechnen und seien deshalb weniger schutzwürdig.
Mit seiner aktuellen Entscheidung hat das BAG nun ausdrücklich seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben (Urteil vom 19. März 2025, Az. 10 AZR 67/24). Anlass für den Kurswechsel war folgender Fall: Der Kläger erhielt während seiner Tätigkeit für die Beklagte ein Angebot über virtuelle Optionsrechte. Die ESOP-Bedingungen sahen ein vierjähriges Vesting (25% nach Ablauf einer zwölfmonatigen „Cliff-Periode“, danach 1/36 pro Monat) sowie ein Leaver-Scheme zum Verfall der Optionen vor. Ungevestete Optionen verfielen unabhängigvom Ausscheidensgrund sofort, gevestete Optionen verfielen bei Bad Leavern (zum Beispiel Eigenkündigung des Mitarbeiters ohne wichtigen Grund) sofort, bei Good Leavern (zum Beispiel ordentliche Kündigung durch Arbeitgeber) war ein zweijähriges Devesting mit 12,5% je Quartal vorgesehen. Der Kläger schied aufgrund Eigenkündigung aus dem Arbeitsverhältnis aus. Zu diesem Zeitpunkt waren 31,25% seiner Optionen gevestet. Nach Ausübungserklärung verweigerte die Beklagte die Auszahlung unter Berufung auf den Verfall.
Das BAG urteilte zugunsten des Klägers und erklärte die Verfallsklauseln unwirksam. Die ESOP-Bedingungen unterlägen als AGB (§§ 305 ff. BGB) der Inhaltskontrolle. Die gevesteten Optionen stellten eine Gegenleistung für die bereits erbrachte Arbeitsleistung dar und seien Vergütungsbestandteil. Es handle sich gerade nicht nur um die Honorierung der Betriebstreue. Der sofortige Verfall von Optionsrechten bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses benachteilige den Arbeitnehmer unangemessen und verstoße gegen § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Klauseln widersprächen dem Rechtsgedanken des § 611a Abs. 2 BGB, wonach der Arbeitgeber zur Begleichung der Vergütung verpflichtet ist.
Weiter hob das Gericht hervor, dass solche Klauseln eine unverhältnismäßige Kündigungserschwerung darstellen, da sie den Arbeitnehmer zur Vermeidung von finanziellen Einbußen davon abhalten könnten, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Unwirksam sei auch die Bestimmung zum Devesting, wonach bei Good Leavern gevestete Optionen zweimal so schnell verfallen, wie sie erworben wurden. Eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB liege vor, da die bereits durch den Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung und die Zeit des Erdienens der Optionsrechte keine an gemessene Berücksichtigung finden.
Anwendungsbereich der Rechtsprechung
Die Reichweite des Urteils ist noch unklar. Klar ist bislang, dass es für Programme gilt, die dem Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB unterfallen, also standardisierte Modelle, die einseitig, zum Beispiel vom Arbeitgeber, vorgegeben sind. Eine Übertragung auf gesellschaftsrechtliche Beteiligungen wie Private-Equity-typische Managementbeteiligungsprogramme (MPPs) erscheint dagegen unwahrscheinlich. Soweit diese originär gesellschaftsrechtlich ausgestaltet sind, auf kollektiver Willensbildung beruhen und dem Gesellschaftsrecht unterliegen, greift die Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB. Zudem unterscheiden sich MPPs strukturell und in der Interessenlage deutlich von VSOPs: MPPs sind keine schuldrechtlichen Vereinbarungen, sondern echte gesellschaftsrechtliche Eigenkapitalbeteiligungen.
Der Teilnehmer wird Mitgesellschafter mit den entsprechenden Rechten und Pflichten und leistet zum Beteiligungserwerb ein eigenes Investment. Damit partizipiert er nicht nur am Unternehmenserfolg, sondern trägt auch das Risiko eines Totalverlusts. Das Investment erfolgt regelmäßig nicht auf Ebene der Arbeitgebergesellschaft, sondern (mittelbar) über eine Holdingstruktur. Aufgrund des eigenen finanziellen Beitrags liegt keine Vergütungskomponente vor; es handelt sich um ein eigenständiges Rechtsverhältnis neben dem Arbeitsverhältnis. Ob und inwieweit einzelne Wertungen über das AGB-Recht hinaus im Rahmen von § 138 oder § 242 BGB Berücksichtigung finden, bleibt abzuwarten.
Das Argument der unzulässigen Kündigungserschwerung greift nicht in Fällen, in denen der Arbeitnehmer einen wichtigen Grund für die arbeitgeberseitige Kündigung gesetzt hat (§ 626 BGB). Hier mangelt es an einer Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit. Sofern eine klare, transparente Regelung für solche Fälle vorliegt, kann der Verlust aus sachlichen Gründen angemessen und verhältnismäßig sein. Der Arbeitnehmer nimmt den Verfall durch sein Fehlverhalten billigend in Kauf.
Fraglich ist, ob die Grundsätze gelten, wenn vertraglich kein Vesting vorgesehen ist oder soweit es um den Verfall von ungevesteten Optionen geht. Gleiches gilt für Programme mit bedingten Zahlungsansprüchen, zum Beispiel Exit-Boni. In diesen Konstellationen fehlt es an einem bereits erdienten Vergütungsbestandteil, vielmehr handelt es sich um zukunftsgerichtete Anreize, deren Auszahlung an ein bestimmtes Ereignis und die damit verbundene Unternehmenstreue knüpft.
Gestaltungsoptionen
Aus dem Anwendungsbereich des Urteils ergeben sich mögliche Gestaltungsoptionen für das Vesting, um die Unwirksamkeit entsprechender Regelungen zu vermeiden. So könnte man zum Beispiel die „Cliff-Periode“ von zwölf auf 24 Monate verlängern, wodurch ein vollständiger Verfall innerhalb der ersten zwei Jahre möglich ist. Ob dies als zumutbar gilt, ist unklar. Möglich ist auch, das zeitbasierte Vesting durch ein ereignisbasiertes Modell zu ersetzen, bei dem ein Großteil der Optionen erst im Fall eines Exits vestet. Die Alternative hierzu ist ein zielbasiertes Vesting, bei dem die Zuteilung vom Erreichen bestimmter Unternehmens-/Individualziele abhängt – vorausgesetzt, Zieldefinition und -feststellung sind hinreichend transparent, um Streitigkeiten zu vermeiden. Auch ein back-loaded Vesting, bei dem die Anteile nicht linear, sondern mit höheren Prozentsätzen mit steigender Zugehörigkeit erdient werden, kann als Anreizmodell dienen.
Offen ist, ob das BAG Devesting gänzlich als unverhältnismäßig ansieht. Die Pressemitteilung deutet darauf hin, dass ein Devesting zulässig ist, sofern zeitlich und sachlich angemessen (zum Beispiel durch Gleichlauf zum Vesting und begrenzt auf bestimmte Leaver-Fälle).
Fazit
Die Praxisrelevanz des Urteils ist hoch. Für eine abschließende Bewertung und Vertragsanpassungen ist jedoch die Veröffentlichung der Urteilsgründe abzuwarten. Mit Veröffentlichung der Entscheidungsgründe wird es eher möglich sein, fundierte Handlungsempfehlungen für die Ausgestaltung neuer oder die Anpassung bestehender Incentivierungen abzuleiten. Gleichwohl ist Arbeitgebern zu empfehlen, nicht nur bestehende VSOP auf ihre rechtliche Wirksamkeit zu überprüfen, sondern auch Arbeitsverträge. Dies gilt vor allem in Hinblick auf Verfalls-, Verzichts- und Verjährungsregelungen. Diese können eventuell auch VSOP-Ansprüche erfassen.
Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in: Going Public, Spezial Mitarbeiterbeteiligung 2025, S. 38/39