
Eine Kernfrage des Zuzugs oder Wegzugs betrifft die Merkmale des steuerlichen Wohnsitzes (§ 8 AO). Mit der Neufassung des Anwendungserlasses zu § 8 AO vom 7.8.2017 hat die Finanzverwaltung die Rechtssicherheit hinsichtlich der an den steuerlichen Wohnsitz zu stellenden Voraussetzungen erhöht.
BVerfG gab bereits grünes Licht
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 15.12.2016 die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des sog. Treaty Override anerkannt. Deutsche Bestimmungen wie § 50i EStG und § 20 AStG, welche den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) vorgehen, sind damit zu akzeptieren. Der außensteuerrechtliche Treaty Override (§ 20 AStG) ist allerdings so zu verstehen, dass er nicht die Ansässigkeitsregeln der DBA verdrängt. Ein zugezogener Steuerpflichtiger, der nach DBA weiter als im Ausland ansässig gilt, unterliegt daher weder der Hinzurechnungsbesteuerung (§ 7 ff. AStG) noch der Zurechnungsbesteuerung (§ 15 AStG).
Mit der Änderung von § 16 Abs. 2 ErbStG zum 25.6.2017 dürfte der Gesetzgeber es (im zweiten Anlauf) geschafft haben, eine europarechtskonforme Neuregelung des Freibetrags bei beschränkter Erbschaftsteuerpflicht zu finden, wovon mancher Wegzügler profitiert.
Beim Wegzug nach Italien besteht für „Einkommensmillionäre“ seit 1.1.2017 die Möglichkeit, zu einer Vorzugsbesteuerung zu optieren, welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen außer Acht lässt. Aus deutscher Sicht zu beachten ist dabei, dass Deutschland sich im Verhältnis zu Italien – ebenso wie im Verhältnis zur Schweiz und zu Großbritannien – die Anwendung der erweitert beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 2 AStG) abkommensrechtlich vorbehalten hat.
Weitere Fragen ergeben sich aus der Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG). Im Zuge des Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften, kurz SEStEG, hat der Gesetzgeber zum 1.1.2007 Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften in die Wegzugsteuer einbezogen. In entsprechender Anwendung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7.10.2010 zur Absenkung der Wesentlichkeitsschwelle in § 17 EStG dürften allerdings diejenigen stillen Reserven in qualifizierten Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften nicht der Wegzugsteuer unterliegen, die vor dem 1.1.2007 bereits entstanden waren.
Aktuell umstritten ist die Anwendbarkeit der EU-Stundungsregel (§ 6 Abs. 5 AStG) bei Wegzug in die Schweiz. Mit Beschluss vom 14.6.2017 hat das FG Baden-Württemberg dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob eine sofortige Erhebung der Wegzugsteuer mit dem zwischen der EU und der Schweiz bestehenden Freizügigkeitsabkommen vereinbar ist. Solange der EuGH diese Frage nicht geklärt hat, gewährt die Finanzverwaltung die zinslose Stundung bei Wegzug in die Schweiz nicht.
Erwähnenswert ist ferner die Neufassung von § 50i EStG zum 1.1.2017. Hat ein Steuerpflichtiger vor dem 29.6.2013 Anteile im Sinne von § 17 EStG zum Buchwert in eine gewerblich geprägte GmbH & Co. KG eingebracht und ist er vor dem 1.1.2017 ins Ausland gezogen, unterliegt der Gewinn aus einer späteren Veräußerung der Anteile ungeachtet eines entgegenstehenden DBA der deutschen Besteuerung (§ 50i Abs. 1 S. 1 EStG). Erfolgt der Wegzug hingegen erst nach dem 31.12.2016, findet nach der Konzeption des neuen § 50i Abs. 1 EStG im Zeitpunkt des Wegzugs die Entstrickungsbesteuerung gemäß § 4 Abs. 1 S. 3 und 4 EStG auf die in den Anteilen enthaltenen stillen Reserven Anwendung.
Brexit hat weitreichende Folgen für Steuerpflichtige
Schließlich wird der für 2019 erwartete Austritt Großbritanniens aus der EU weitreichende steuerliche Folgen für Wegzügler haben: Beim Wegzug von EU-Bürgern nach Großbritannien ist künftig ebenso wie beim Wegzug von britischen Staatsangehörigen ins EU- oder Nicht-EU-Ausland damit zu rechnen, dass die EU-Stundung nicht mehr gewährt wird. Deshalb droht für eine Reihe von Wegzugsfällen aus der Vergangenheit mit Wirksamwerden des „Brexit“ der Widerruf der zinslosen Stundung. Für Zuzügler aus Großbritannien droht nach dem „Brexit“ der Verlust der EU-Ausnahmeregeln im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 ff. AStG) und der Zurechnungsbesteuerung (§ 15 AStG).
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Eine tiefergehende Analyse der steuerrechtlichen Problematik beim Zu- und Wegzug natürlicher Personen liefert folgender Beitrag von P+P-Counsel Maximilian Haag, erstmals erschienen in DER BETRIEB, Nr. 22 vom 01.06.2018.