Im Rahmen der Jubiläumsveranstaltung zum 10-jährigen Bestehen des Münchner Unternehmenssteuerforums wurde ein besonderes Augenmerk auf die aktuellen steuerlichen Fragen im Zusammenhang mit der Betriebsstätte im Mittelstand gelegt.
München – Residenz des Steuerrechts
Das 30. Münchner Unternehmenssteuerforum wurde durch Prof. Dr. h.c. Rudolf Mellinghoff, den Präsidenten des Bundesfinanzhofs (BFH), mit einem Grußwort eröffnet. Das Unternehmenssteuerforum diene seit der ersten Veranstaltung am 27. Januar 2010 der Förderung des Steuerrechts durch steuerrechtliche Fachdiskussionen. Hierfür gäbe es – u.a. aufgrund der Geschichte des Reichs- und Bundesfinanzhofs, der Lehrstühle und Institute – kaum einen besseren Ort als München, weshalb es – in Anlehnung an Karlsruhe als Residenz des Rechts nur folgerichtig sei, „München als ‚Residenz des Steuerrechts‘ zu bezeichnen“.
Voll des Lobes war Prof. Dr. Mellinghoff nicht nur für die große Bandbreite der behandelten Themen der vergangenen Jahre, die über den Kern des Unternehmenssteuerrechts hinausgingen, sondern auch für die zahlreichen hochkarätigen Referenten.
Nach dem Grußwort folgte eine kurze Einführung durch Prof. Dr. Klaus Dieter Drüen, Professor an der juristischen Fakultät der LMU München und Vorsitzender des Vereins Münchner Unternehmenssteuerforum e.V.
Betriebsstätte als Grundprinzip
Erster Referent des Abends war Prof. Dr. Stefan Bendlinger, Steuerberater und Partner der ICON Wirtschaftstreuhand GmbH, zur Begrifflichkeit der Betriebsstätte.
Dr. Bendlinger leitete mit einem Blick auf das internationale Steuerrecht ein, das sich aktuell im Umbruch befinde und formulierte die These, dass das Fortbestehen der derzeitigen Weltsteuerordnung ungewiss sei. Es gäbe aber weiterhin gültige Grundprinzipien, wozu auch die „Betriebsstätte“ zähle. Diese sei bereits in einem Doppelbesteuerungsabkommen aus dem Jahre 1899 zwischen Ungarn, Österreich und Preußen als Voraussetzung der Besteuerung bestimmt worden.
Der Grundtatbestand des Betriebsstättenbegriffs setze nach dem OECD-Musterabkommen eine feste Grundeinrichtung voraus („fixed place of business“). So sei das Grundverständnis der Betriebsstätte unangetastet geblieben, bis das BEPS-Programm der OECD (Base Erosion and Profit Shifting), in seinem Aktionspunkt 7 die Adaption des Betriebstättenbegriffs vorgesehen hatte. Diese sei notwendig gewesen, da der bisherige Begriff die Zielsetzung des BEPS-Programms, die Gewinne dort zu versteuern, wo die Wertabschöpfung stattfindet, nicht ausreichend widergespiegelt habe. Insoweit folgten beispielsweise eine Aufweichung der Vertreterbetriebsstätte und der Ausnahmen für Hilfstätigkeiten.
Die Umsetzung dieser Änderungen in die Doppelbesteuerungsabkommen sollte durch ein Multilaterales Instrument (MLI) vorgenommen werden; die Übernahme-Resonanz der Länder war jedoch gering. Letztendlich wurden die Änderungen inhaltlich in das OECD-MA eingepflegt; die Ansicht vieler Länder, diese seien lediglich als Klarstellung zu verstehen, sei eine falsche Interpretation.
Weitere Voraussetzung der Betriebsstätte sei die Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit.
Die OECD sei bei der Auslegung der Kriterien des Betriebsstättenbegriffs recht großzügig, was im Hinblick auf das Kriterium der Verfügungsmacht zur schnellen Bejahung einer Betriebsstätte führen kann.
Dr. Bendlinger machte einen Streifzug durch die Rechtsprechung des BFH zu den Betriebsstätten, der zuletzt u.a. das Schließfach eines Flugzeugmechanikers als Betriebsstätte einstufte. Die Rechtsprechung sei, was die Beurteilung einer festen Geschäftseinrichtung angehen, ziemlich uneinheitlich.
Es folgten Ausführungen zur Bauausführung der Montage und dem Ansinnen von Unternehmen, die Annahme einer Betriebsstätte zu vermeiden. Weiter gäbe es aber auch feste Geschäftseinrichtungen, die keine Betriebsstätte darstellen, da deren Anteil am Gewinn aus Sicht des gesamten Unternehmens so gering ist, dass die Annahme einer Betriebsstätte wenig sinnvoll sei. Insgesamt habe eine Wandlung hin zu einem wertschöpfungsorientierten Betriebsstättenbegriff stattgefunden.
Sorge bereite auch der Begriff der Vertreterbetriebsstätte: So z.B. in den Fällen, in denen im Ausland das unterschriftsreife Vorbereiten eines Vertrages für die Annahme einer Betriebsstätte ausreiche und nicht mit dem Argument abgelehnt werden könne, dass die Abschlussvollmacht für den Vertreter im Ausland fehle, da die Einnahme einer wesentlichen Rolle für den Vertragsabschluss ausreiche.
Prof. Dr. Bendlinger schloss mit dem Ausblick, dass durch Absenken der Voraussetzungen der Betriebsstätte mit einem signifikanten Anstieg und damit einhergehend mit einem erheblichen Verwaltungsmehraufwand zu rechnen sei. Die Vertreterbetriebsstätte führe letzten Endes zu einer Besteuerung des Liefergewinns. Durch die unterschiedlichen Auslegungen des Betriebsstättenbegriffs bestehe eine große Rechtsunsicherheit.
Betriebsstätte – Uneingeschränkt selbständig
Im zweiten Vortrag befasste sich Prof. Dr. Gerhard Girlich, Professor an der Hochschule Biberach, mit der Methodik der Gewinnzurechnung bei Betriebsstätten. Neben der Feststellung des Vorliegens einer Betriebsstätte sei ein zweites Problem die Feststellung, ob diese einen Gewinn gemacht habe.
Die Gewinnzurechnung bei der Betriebsstätte dürfe nicht auf Basis der Betriebsstätte als unselbständiger Teil des Gesamtunternehmens, sondern müsse auf der Basis der „uneingeschränkt selbständigen Betriebsstätte“ erfolgen. Problematisch sei das Verständnis von „uneingeschränkt selbständig“ – nach Auffassung der OECD waren Personalfunktionen entscheidend, was sich auch aus dem AOA (Authorized OECD Approach) ergab (ohne Personalfunktion kein Gewinn).
Größter Kritikpunkt sei hierbei, dass nur einer der drei betriebswirtschaftlichen Produktionsfaktoren zur Gewinnbestimmung verwendet werde. Daneben fand die Diskussion bezüglich der Betriebsstättenthematik hauptsächlich zwischen Industrienationen statt – und damit an den Entwicklungsnationen weitgehend vorbei. Aufgrund der fehlenden rechtlichen Selbständigkeit der Betriebsstätte müssten für die Gewinnzurechnung zahlreiche Fiktionen – beispielsweise nach einer Zuordnung die Fiktion von Geschäftsvorfällen zwischen Headquarter und Betriebsstätte – vorgenommen werden, was wiederum sehr anfällig für unterschiedliche Sichtweisen sei. Diese ergäben sich wiederum aus der unterschiedlich detailliert ausgestalteten Normierung der einzelnen Länder (u.a. Australien und Deutschland mit sehr ausführlichen Regelungen). Noch dazu führten die zahlreichen Fiktionen auch zu erheblichem Dokumentationsaufwand – was vor dem Hintergrund der nun zu erwartenden steigenden Anzahl an Betriebsstätten zu vermehrtem Personalaufwand führen werde.
Nach den Impulsvorträgen leitete Prof. Dr. Drüen zur Diskussion über und begrüßte hierzu neben den beiden Referenten auch Dr. Christoph Habammer, den Vizepräsidenten des Bayerischen Landesamts für Steuern, sowie Prof. Dr. Hartmut Schwab, den Präsidenten der Bundessteuerberaterkammer. Im nachfolgenden Diskurs kristallisierte sich heraus, dass u.a. die Gefahr der Doppelbesteuerung ein Risiko und zu vermeidendes Szenario darstelle. Weitgehend Einigkeit bestand unter den Teilnehmern auch dahingehend, dass gerade aufgrund der unterschiedlichen Auslegungen hinsichtlich des Betriebsstättenbegriffs eine für alle Seiten kaum tragbare Rechtsunsicherheit bestehe.
Das Münchner Unternehmenssteuerforum widmet sich der Förderung des Steuerrechts, insbesondere durch steuerwissenschaftliche Fachdiskussionen zwischen Repräsentanten der Richterschaft, der Finanzverwaltung und der Wissenschaft sowie Experten aus der Wirtschaft und der steuer- und rechtsberatenden Berufe. Das 31. Münchner Unternehmenssteuerforum findet voraussichtlich im Juni 2020 statt. Weitere Informationen erhalten Sie hier.
Weitere Branchentreffs finden Sie in unserem Terminkalender.