Herr Dr. Kukies, mit einem beispiellosen Maßnahmenpaket gibt der Staat aktuell den Retter der Unternehmen. Sie haben die Bankenkrise 2008/09 als Banker bei Goldman Sachs erlebt, nun die Corona-Krise 2020 als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Hilft Ihnen dieser Perspektivwechsel vom Geretteten zum Retter? Welche Parallelen lassen sich aus Ihrer Sicht ziehen?
Kukies: Die Natur der jetzigen Krise ist natürlich sowas von radikal anders als 2008, von daher ist die konkrete Analogie sehr begrenzt. Aber mal grundsätzlich zu verstehen, was an Instrumenten zur Verfügung steht, was Sinn macht und was weniger – da können wir schon Querverweise ziehen. Wir haben uns hier z.B. alle sehr genau das US-amerikanische TARP-Programm (Troubled Asset Relief Program) angeschaut, weil ich immer noch überzeugt bin, dass die USA in 2008 und 2009 smarter auf die Finanzkrise reagiert haben als Deutschland das damals getan hat.
Damals war es eine Finanzkrise, jetzt haben wir eine Pandemie. Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten, wo sehen Sie Unterschiede?
Kukies: Liquidität ist eine große Gemeinsamkeit, das ist der gemeinsame Nenner. 2008 hatten die Realwirtschaften einen „Liquidity Crunch“, dasselbe hat sich in den vergangenen Monaten auch in der deutschen Volkswirtschaft widergespiegelt – wenn auch aus völlig anderen Gründen. 2008/09 hatten die Banken nach der Lehman-Insolvenz fast über Nacht den Interbankenmarkt eingefroren, wodurch sämtliche Transmissionskanäle in die Realwirtschaft angegriffen wurden. Heute haben wir eine völlig andere Ursache, nämlich dass der Lockdown dazu geführt hat, dass die Cashflows ganz vieler Unternehmen auf einmal entweder dramatisch reduziert wurden oder sogar auf 0 gegangen sind. Das hat auch zu Liquiditätskrisen geführt. Kurz gesagt: Völlig andere Ursache, aber vom Ergebnis her durchaus vergleichbar in der Auswirkung.
Welche Rolle kann Private Equity bei der Bewältigung der Krise spielen? Schützt oder schadet z.B. aus Ihrer Sicht die Ausweitung der Investitionsprüfung nach dem Außenwirtschaftsgesetz?
Kukies: Die Investitionsprüfung soll ja nur sehr selektiv und in ganz besonders definierten Fällen sowie gegenüber bestimmten staatsnahen Investoren greifen und nicht als breiter Abwehrmechanismus wirken. Daher sollte die ausgeweitete Investitionsprüfung, so glaube ich, eigentlich keinen negativen Einfluss haben. Bei unserem Einstieg in unseren ersten großen Fall von Unternehmensbeteiligung haben wir bereits den Exit mitgedacht, d.h. wir haben in unseren Bedingungen ganz klar formuliert, dass wir den Exit in die Privatwirtschaft sobald wie möglich suchen werden. Von daher glaube ich, dass dieser Risikotransfer, der jetzt temporär stattgefunden hat vom privaten in den öffentlichen Sektor auch sobald wie möglich wieder revidiert wird. Dabei kann Private Equity selbstverständlich eine sehr wichtige Rolle spielen, z.B. durch PE-Investoren, die an direktem Eigenkapital, an Mezzanine-Eigenkapital, an hybridem Eigen- oder Fremdkapital oder Straight-Fremdkapital Interesse haben.
Wenn der Staat aus Ihrer Sicht in dieser ersten Krisenphase als Investor auftreten sollte, sind weitere finanzpolitische Maßnahmen zur Überwindung der Krise geplant? Und wie gut greifen die bereits ergriffenen Maßnahmen?
Kukies: Ich weiß, ich habe ein bisschen für Unruhe gesorgt, als ich gesagt habe, dass der Staat durchaus auch als selbstbewusster Investor am Markt auftreten sollte. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass Deutschland zu einem „Public-PE-Investor“ werden sollte. Die Stabilisierungsmaßnahme steht aktuell im Vordergrund. Aber der Staat kann ja zeitgleich eine Stabilisierungsmaßnahme machen und auf der anderen Seite auch schauen, dass die Risiken, die er übernimmt, wenigstens perspektivisch auch die Chance bieten, mit diesem Portfolio Geld zu verdienen.
Sprechen wir in diesem Zusammenhang doch konkret über die „Corona Matching Fazilität“, die kürzlich eingeführt worden ist – die so genannte erste Säule der staatlichen Fördermaßnahmen für Start-ups. Wie ist das Programm angelaufen?
Kukies: Die Nachfrage ist tatsächlich sehr hoch, es liegen bereits Dutzende von Anträgen vor. Auch höre ich von Start-ups aller Größenordnungen, dass sie sich sehr dafür interessieren. Aber wir messen den Erfolg oder Misserfolg nicht daran, ob nun 10, 100 oder 1.000 Unternehmen die Fazilität ziehen. Wenn der Markt allein durch die Tatsache, dass er weiß, dass der Staat da ist, selbstbewusster wird und selbst auch mehr finanziert, dann ist das auch okay. Von daher glaube ich, dass es den Markt auf jeden Fall schon mal beruhigt hat. Am Ende ist es aber eine sehr individuelle Entscheidung. Aus meiner Sicht ist entscheidend, dass wir dem Markt signalisieren, dass wir da sind und dass wir, wenn es schlimm kommt, auch bereit sind, Milliarden in die Hand zu nehmen.
Neben der Corona Matching Fazilität gibt es in „Säule 2“ nun auch Fördermaßnahmen für Start-Ups ohne Venture-Capital-Beteiligung. Gibt es schon nähere Informationen zur konkreten Ausgestaltung der einzelnen Programme der Landesförderinstitute?
Kukies: Ja, die gibt es, aber es würde den Rahmen sprengen, diese hier im Einzelnen durchzugehen. Hier geht es ja wirklich um ein sehr kleinteiliges Geschäft, das durch Landesförderprogramme besser abgedeckt werden kann als durch eine zentralorganisierte Herangehensweise. Das hat natürlich auch Nachteile, weil es in manchen Bundesländern besser laufen wird als in anderen, aber wir haben uns im Endeffekt dafür entschieden, weil wir wussten, wenn wir so etwas versuchen, zentral zu organisieren, haben wir überhaupt nicht die Mechanismen dafür, das auch in kurzer Zeit aufzusetzen. Dass die Landesförderinstitute diese Mechanismen dagegen schon haben, war hier das entscheidende Argument.
Sie sprechen gerade selbst die Dimension Zeit an. Wird es noch eine Säule 3 geben bzw. sind weitere Maßnahmen in Planung?
Kukies: Eine Idee ist noch, VC-Anteile bzw. den Sekundärmarkt für VC-Anteile liquider zu machen. Allerdings haben wir von den meisten Marktteilnehmern gehört, dass die direkte Unterstützung für Start-Ups – ob nun VC-finanziert oder nicht –, als weitaus dringender eingestuft wird als diese dritte Säule. Von daher sind wir jetzt dabei, uns noch einmal gemeinsam mit den Marktteilnehmern Gedanken zu machen, welchen Mehrwert es hätte, wenn wir da noch mal ein Programm aufbauen. Was aber ganz wichtig ist – und das ist für uns absolut zentral –, ist, dass wir immer noch unseren Zukunftsfonds im Umfang von 10 Mrd. Euro in Reserve haben. Der wurde ja schon vor der Krise beschlossen und dient eher dazu, das ganze VC-Ökosystem in Deutschland zu stärken, indem KfW Capital nicht nur gemeinsam Matching Fazilitäten mit VCs macht, sondern auch in erheblich höherem Ausmaß als bisher direkt investiert, um so auch die immer größer werdende Gruppe von VCs, die in Deutschland Fuß fasst, wachsen und gedeihen zu lassen.
Im Fokus der Bundesregierung stehen ja auch die FinTechs, die es sogar in den Koalitionsvertrag geschafft haben. So soll der FinTech-Standort Deutschland gestärkt werden. Was ist dort konkret geplant?
Kukies: Der bereits aufgelegte Fonds im Umfang von 2 Mrd. Euro ist ja schon mal ein guter Anfang, damit werden ganz viele Unternehmen auch finanziert werden. Der schon angesprochene Zukunftsfonds über 10 Mrd. Euro wird dann der zweite Schritt sein. Darüber hinaus sind wir mit dem Thema in allen möglichen legislativen Verfahren aktuell in der Detailarbeit. So haben wir z.B. kurz vor Weihnachten noch die deutsche Umsetzung des Geldwäsche-Umsetzungsgesetzes um einen Passus ergänzt, der in Deutschland einen rechtssicheren Regulierungsrahmen für das Kryptoverwahrgeschäft schafft. Seitdem dieses Gesetz rechtskräftig geworden ist, kann sich die Bafin vor Anträgen von Blockchain-Unternehmen, die Kryptoverwahrgeschäft in Deutschland machen wollen, kaum retten. Wir haben Dutzende von Anfragen von Blockchain-Firmen, die diesen sicheren Rechtsrahmen nutzen wollen, um in Deutschland aktiv zu werden. Das fälschlicherweise als Apple-Gesetz bezeichnete Regelwerk zur API-Öffnung (Application Programming Interface) zwingt die Anbieter von kritischen Infrastrukturen im Zahlungsbereich ihre Schnittstellen zu öffnen. Das betrifft aber nicht nur Apple, sondern im Prinzip alle Dienstleister, die diese kritische Infrastrukturschnittstellen haben. Dieser Rechtsanspruch hat das Ziel, den Markt zu öffnen und wettbewerbsfreundlicher zu gestalten, aber auch den FinTechs einen Ansatzpunkt zu geben, um da reingrätschen zu können.
Das komplette Interview mit Dr. Jörg Kukies (Bundesministerium der Finanzen) finden Sie hier.
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