Wie kann man in der derzeitigen Nullzinswelt überhaupt noch Geld verdienen, Herr Professor Pöllath?
Investieren müssen wir jetzt wieder lernen. Oft sind uns Erträge in den vergangenen 30 Jahren in den Schoß gefallen, das verzerrt unsere Sicht auf die Dinge. Sind die Zinsen so niedrig wie jetzt, denken wir deprimiert an Niedergang. Dieser „Niedergang“ aber ist ein Weckruf für alle.
Das müssen Sie erklären!
Für Kapitalanleger war es selten so einfach, gute Renditen zu erwirtschaften, wie in den vergangenen Jahrzehnten. Manchmal reichte es schon aus, sich klug zu verschulden. Das führte zu Investments, die zwar in sich schlüssig waren, sich aber abgekoppelt hatten vom Wirtschaftswachstum – und die genau dadurch Wachstumschancen bedroht und unterminiert haben. Jetzt sind die Zinsen unten angekommen und die Welt sieht deutlich realistischer aus. Das ist nicht per se schlecht. Nun zeigt sich, wer zu investieren versteht.
Weil vorher auch weniger kluge Investments respektable Renditen abwarfen?
Fragen Sie mal jemanden, ob er es im Fußball mit Mesut Özil oder in Astrophysik mit Stephen Hawking aufnehmen will. Aber mit Warren Buffett zu konkurrieren, das meinen wir alle zu können. Wir reden von Value at Risk, Asset Allocation und Endowment Investment. Das ist gut für die Psyche, da kommt Stolz auf.
Ist dieser Stolz angesichts erfreulicher Renditen nicht berechtigt?
Glückliche Umstände haben hier eine ebenso gewichtige Rolle gespielt wie individuelles Können. John Maynard Keynes hat vor langer Zeit einen Blick auf das Jahr 2030 geworfen und gesehen: Wir werden leben wie die Lilien auf dem Felde und höchstens drei Stunden am Tag arbeiten – wenn wir das Bevölkerungswachstum ohne Kriege unter Kontrolle bringen und die Wissenschaft ihre Aufgaben erfüllt. Alles andere erledigt der Zinseszins. Das mit dem Krieg hat anfangs nicht geklappt, seit Ende des Zweiten Weltkriegs jedoch greift der Zinseszinseffekt. So hat sich mit der Zeit jede Menge Kapital gebildet.
Was ja nicht schlecht ist …
Kommt drauf an, was man damit anfängt. Keynes rechnete damals mit einem durchschnittlichen Zins von 3,5 %. Der Wert war schon recht passend gewählt. Trotz einiger schwächerer Jahre lag der Zins, gemittelt über die letzten 140 Jahre, durchschnittlich über 4 %, nominal; ohne die eine Hochzinsperiode lag er unter 4 %. Die Inflation hat die Realzinsen so manches Jahr ins Negative gezogen. Seit 1950 waren allerdings auch die Realzinsen eigentlich immer positiv.
Was sichere Zinsen und Zinseszinsen sicherte. Wäre ein Investment in Aktien lukrativer gewesen?
Auch bei Aktien war die Rendite über denselben Zeitraum ganz gut und lag nach Kosten bei rund 6 %. Ein Delta von 4 % auf 6 % klingt nach wenig, bedeutet aber 50 % mehr als die Zinsrendite, und das wirkt sich beim Zinseszins gigantisch aus. Für diese Mehrrendite müssen natürlich die Volatilität und der Zickzack der Aktienmärkte in Kauf genommen werden: Seit 1880 sind die Börsen dreimal für jeweils länger als ein Jahrzehnt ins Minus gerutscht.
Wer langfristig plant, sollte also trotzdem den Zickzack der Börsen in Kauf nehmen?
Rendite verlangt Risiko, z. B. durch Laufzeit. Die risikofreie Rendite war immer allenfalls knapp über 0.
Ist die heutige Generation zu risikoscheu?
Wir haben den vernünftigen Umgang mit Risiken verlernt. Das hat damit begonnen, dass Paul Volcker als neuer Fed-Chef 1979 die Leitzinsen heraufsetzte, auf 15 %, um die Inflation in den USA in den Griff zu bekommen. Von diesem Höchststand aus sind die Zinsen im Laufe der Jahre allmählich gesunken. Das lässt sich nutzen: Wenn ich etwas fremdfinanziert habe, muss ich es nicht zurückzahlen, denn ich werde es wahrscheinlich billiger refinanzieren können – das nächste Mal ist der Zins dann ja niedriger. Das reduziert das Ausfallrisiko und freut die Darlehensgeber. Die kalkulieren das mit ein, versteht sich, und bewerten das Gut, um das es letztlich geht, dementsprechend. Damit steigt nicht nur der Wert der Schuldverschreibungen, sondern auch der Wert der Assets, die mit diesen Schulden finanziert werden – denn der Nächste kann sie höher bewerten, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen.
Was ist daran schlimm?
Je mehr Schulden ich mache, desto stärker wächst das Bruttoinlandsprodukt, das BIP. Wenn dahinter wirklich Wirtschaftswachstum steht, ist das problemlos – aber wehe, wenn nicht. Mit Schulden in etwas zu investieren, was produziert: super. Doch genau das passierte zuletzt nicht. Niemand weiß so genau, in was man investieren soll. Es fehlt ja gerade das Zutrauen in produktive Investments. Also kaufen Unternehmen ihre Aktien zurück und schütten reichlich Dividenden aus, mehr als Capex, das tut nicht weh und stärkt scheinbar den Wert des Eigenkapitals.
Es gibt ja Alternativen zur Börse, etwa den Private-Equity-Sektor …
… den wir P+P’ler seit den frühen 1980er Jahren mitgemacht haben. Mit dem Sektor haben sich auch Endowments und ihre Asset Allocation ganz wunderbar entwickelt. Alle wollten wissen, wie das möglich war. Die Erklärung lautet: „Information Premium“.
Was bedeutet „Information Premium“?
„Information Premium“ heißt: Ich verstehe mehr davon, und darum ist das Asset für mich mehr wert; also mache ich mehr daraus und muss anschließend bloß noch jemanden mit noch mehr „Information Premium“ finden, der deshalb noch mehr zu zahlen bereit ist. Angeblich eine Quelle ewig steigender Ungleichheit. Mittlerweile gibt es genügend Studien, die belegen, dass die ganzen eingefahrenen Gewinne der Hochzinsphase eben nicht auf einem Informations-, sondern auf einem Risiko-Delta beruhten. Auf der Bereitschaft, mehr Risiken einzugehen – und zwar ausgerechnet zu einer Zeit, in der genau das nicht übermäßig riskant war. Die Gefahr, komplett zu scheitern, war eher gering.
Aber wer sich clever anstellte, konnte auch erfreuliche Renditen einfahren.
Das stimmt, im Schnitt 15 % p. a., enorm. Die derzeit bei der Vermögensverwaltung erfolgreichsten Top Endowments – zu denen Harvard interessanterweise nicht mehr zählt – erzielen auch heute Renditen oberhalb von 10 %. Doch ob das heute erwirtschaftete Renditen sind oder eher die Früchte früherer Anlagen, ist fraglich.
Als Vorstandssprecher der Max-Planck-Förderstiftung beobachten Sie ja nicht nur, sondern mischen aktiv mit.
Als die Max-Planck-Gesellschaft 1911 als Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft entstand, hatte sie ein respektables Endowment von etwa 10 Millionen Mark, fast genauso viel wie Harvard oder Carnegie. Doch während dieses Vermögen in Deutschland schon zehn Jahre später weitgehend verloren ging, wuchsen die US-Endowments hundertfach stärker als das der Max-Planck-Gesellschaft. Yale und Harvard verwalten heute Vermögen im zweistelligen Milliardenbereich. Auch wenn das der Max-Planck-Gesellschaft durch ein bisschen Anstrengung und einen Erbfall durchaus gewachsen ist, damit kann sie sich nicht vergleichen.
Aber wachsen will die Max-Planck-Gesellschaft doch sicherlich?
Da gibt es gedankliche Schranken. Amerika steht für die private Verantwortung – mit allen guten und schlechten Seiten –, und die reicht hinein bis in die Wissenschaft. In Kontinentaleuropa gilt es als schicklicher, dem Staat die Finanzierung der Wissenschaft zu überlassen. Angeblich, weil nur das die akademische Freiheit und Unabhängigkeit sichert. Doch zwei amerikanische Topuniversitäten (z. B. Harvard und Stanford) zusammengenommen bekommen genauso viel staatliche Mittel wie die Max-Planck-Gesellschaft. Auch dort wird die Basis staatlich gelegt. Aber es kommt eben noch das Doppelte aus privater Hand dazu. Das wollen wir für die Max-Planck-Förderstiftung auch erreichen. Seit 1920 sind fast 100 Jahre vergangen, der Wiederaufstieg des privaten Endowments soll nicht so lange dauern.
Wie können Sie dem Braindrain entgegenwirken?
Keine Institution der Welt kann mehr naturwissenschaftliche Nobelpreisträger vorweisen als die Max-Planck-Gesellschaft, und sie hat mehr als alle deutschen Universitäten zusammen. Immerhin hat es die Max-Planck-Förderstiftung fertiggebracht, die beiden jüngsten Nobelpreisträger der Max-Planck-Gesellschaft in Deutschland zu halten. Und außerdem zwei weitere Kandidaten, die hoffentlich demnächst ihren – verdienten – Nobelpreis erhalten werden. Und die Max-Planck-Gesellschaft internationalisiert sich: Von den 20 Topberufungen seit 2014 kamen 15 aus dem Ausland, 10 der Berufenen waren Ausländer, 8 waren Frauen. Der wissenschaftliche Wettbewerb zieht an. Und das ist gut, wie schon Keynes wusste. Davon brauchen wir mehr.
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