Welche Konsequenzen hat die zunehmende Mobilität für Sie als Berater?
ERIK MUSCHEITES: Die globale Mobilität der Gesellschafter wirft viele Fragen steuerlicher und rechtlicher Art auf. Berater stehen vor der Herausforderung, nicht nur die Beratungsklassiker wie die Wegzugsbesteuerung auf der Klaviatur der potenziellen Beratungsthemen zu identifizieren, sondern sie müssen auch weniger prominente Fragestellungen erkennen. Es gilt, einen generationenübergreifenden Blick einzunehmen und auch ungeplante Ereignisse einzubeziehen. Bereits ein Auslandsstudium der Kinder von Gesellschaftern kann im plötzlichen Erbfall zu einer signifikanten Steuerbelastung für die Erben führen.
Sie bezeichnen die Wegzugsbesteuerung als Beratungsklassiker. Was macht sie so bedeutsam?
MARCEL DUPLOIS: Der Wegzug gestaltet sich typischerweise als Prozess. Ein Gesellschafter erwirbt zum Beispiel zunächst ein Feriendomizil, in dem er kontinuierlich mehr Zeit verbringt. Der Lebensmittelpunkt wird mehr und mehr ins Ausland verlagert, ehe zuletzt der „formale“ Entschluss gefasst wird, tatsächlich ins Ausland zu ziehen. Häufig wird der Berater erst im letzten Schritt eingeschaltet. Gegebenenfalls hat der Gesellschafter zu diesem Zeitpunkt seinen Wegzug aber bereits verwirklicht.
ERIK MUSCHEITES: Die Wegzugsbesteuerung, die zum 1. Januar 2022 erheblich verschärft wurde, ist besonders gefährlich, weil sie einen Veräußerungsfall fingiert und beim Gesellschafter auf stille Reserven zugreift, ohne dass ihm tatsächlich Liquidität zugeflossen ist. Dies ist umso misslicher, als die Wegzugsbesteuerung auch unerwartet greifen kann, nämlich bei einem Todesfall.
Die Wegzugsbesteuerung kann durch einen Todesfall ausgelöst werden?
ERIK MUSCHEITES: In der Tat. Leben die Erben oder Vermächtnisnehmer im Zeitpunkt des Erbfalls im Ausland, gehen die Anteile von einem Inländer auf einen Ausländer über. Dies führt regelmäßig dazu, dass Deutschland das Besteuerungsrecht an den Kapitalgesellschaftsanteilen, das heißt an einem Gewinn aus dem Verkauf, verliert und die Wegzugsbesteuerung Anwendung findet. Auch bei Personengesellschaften kann es in einer solchen Situation zu einer Art Wegzugsbesteuerung kommen – genauer: zu einer Entstrickung –, wenn die Personengesellschaft aus steuerlicher Sicht nicht originär gewerblich tätig ist, wenn sie also nur gewerblich infiziert oder geprägt ist, oder aber wenn Wirtschaftsgüter der Gesellschaft nicht dem unternehmerischen Bereich zugeordnet werden können. Betroffen sind davon insbesondere vermögensverwaltende Personengesellschaften oder Holdinggesellschaften in der Rechtsform einer Personengesellschaft.
Die Rechtsfolgen einer Wegzugsbesteuerung betreffen aber stets die Ebene des Gesellschafters, richtig?
ERIK MUSCHEITES: Die Folgen der Wegzugsbesteuerung für Kapitalgesellschaftsanteile treffen den wegziehenden Gesellschafter beziehungsweise den Erben oder Vermächtnisnehmer. Darüber hinaus muss die Ebene der Gesellschaft zusätzlich in die Betrachtung einbezogen werden. Bei Personengesellschaften kann auch die Gesellschaft selbst betroffen sein, zum Beispiel durch eine Belastung mit der Gewerbesteuer. Die steuerliche Transparenz der Personengesellschaften betrifft nicht die Gewerbesteuer, sodass eine entsprechende Steuerlast von der Gesellschaft geschuldet und wirtschaftlich von allen Gesellschaftern getragen wird.
MARCEL DUPLOIS: Um ein solches unbilliges Ergebnis zu verhindern, sehen die Gesellschaftsverträge von Personengesellschaften regelmäßig vor, dass der wegziehende Gesellschafter die betroffene Personengesellschaft von einer entsprechenden Gewerbesteuerbelastung freizustellen hat. Viele Gesellschaftsverträge berücksichtigen die Folgen der globalen Mobilität aber noch nicht hinreichend. Sollten in dem Unternehmen erhebliche stille Reserven vorhanden sein, könnte die bei einem Wegzug entstehende Steuerlast gegebenenfalls den Wegzug in Gänze verhindern.
Gibt es Maßnahmen, die ein Gesellschafter ergreifen kann, um sich vor dem Entstehen einer solchen Steuerlast zu schützen?
MARCEL DUPLOIS: In der Praxis gibt es zwei Ansatzpunkte. Auf der einen Seite können die Lebensumstände der betroffenen Personen betrachtet werden. Vereinfacht gesprochen sind sie so auszugestalten, dass ein steuerlicher ständiger Wohnsitz und der Mittelpunkt der Lebensinteressen in Deutschland kontinuierlich beibehalten werden. Dieser Ansatz birgt jedoch stets eine gewisse Unsicherheit, weil der Mittelpunkt des Lebensinteresses zwar nach objektiven Kriterien zu bestimmen, dabei allerdings eine zusammenfassende Wertung vorzunehmen ist. Indizien sind zum Beispiel bestehende Bekanntschaften (Ehepartner, Kinder, Freunde), Vereinsmitgliedschaften (Sportvereine, Dauerkarten für Stadionbesuche), Einkaufsorte oder die Lagerung privater Dokumente (Pässe, Rechnungen etc.). Vor allem aber ist dieser Ansatz mit einem hohen praktischen Aufwand verbunden, da die individuellen Lebensumstände permanent im Auge behalten werden müssen.
Was wäre der zweite Ansatzpunkt?
ERIK MUSCHEITES: Beim zweiten Ansatz wird auf Ebene der Gesellschaft angesetzt. Stichwort hierfür ist die sogenannte geschäftsleitende Holding. In diesem Fall bildet eine Personengesellschaft die Spitze einer Beteiligungskette. Diese Gesellschaft übernimmt aktiv unterschiedliche Tätigkeiten (zum Beispiel HR, Rechnungswesen, Legal) und das Beteiligungsmanagement. Bei entsprechender Ausgestaltung und ausreichenden Aktivitäten übt diese Holding-Personengesellschaft aus steuerlicher Sicht eine sogenannte originär betriebliche Tätigkeit aus und begründet eine Betriebsstätte. Dieser Betriebsstätte werden anschließend die Beteiligungen zugeordnet, sodass selbst im Falle eines Wegzugs das deutsche Besteuerungsrecht nicht ausgeschlossen wird und eine Wegzugsbesteuerung ausscheidet. Die klassische Wegzugsbesteuerung für Anteile an Kapitalgesellschaften findet keine Anwendung, da diese nur für Anteile von mindestens 1 Prozent gilt, die der Gesellschafter im Privatvermögen hält.
MARCEL DUPLOIS: Das Aufsetzen der Struktur ist natürlich mit einem entsprechenden Aufwand verbunden, regelmäßig auch mit der Einholung einer verbindlichen Auskunft. Der große Vorteil besteht jedoch darin, dass nicht nur die kommende Generation vor einer Wegzugsbesteuerung geschützt ist, sondern auch die aktuelle. Eine „geschäftsleitende Holding“ kann vielfach eine globale Mobilität für die gesamte Familie ermöglichen.
Welche weiteren steuerlichen Aspekte gilt es zu berücksichtigen?
MARCEL DUPLOIS: Die bisherigen Ausführungen betrafen überwiegend einkommensteuerliche Aspekte. Weitere Fragestellungen bringt das Erbschaftsteuerrecht. Das deutsche Erbschaftsteuerrecht unterwirft den gesamten Erwerb, unabhängig vom jeweiligen Belegenheitsort der Vermögensgegenstände, der deutschen Besteuerung, wenn entweder der Erblasser oder der Erwerber oder beide zum Todeszeitpunkt ein Inländer ist beziehungsweise sind. Inländer ist dabei nicht nur derjenige, der seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, sondern auch ein deutscher Staatsangehöriger, der sich noch nicht länger als fünf Jahre dauerhaft im Ausland aufgehalten hat, ohne einen Wohnsitz im Inland zu haben.
ERIK MUSCHEITES: Bei einem Wegzug in die USA ist es sogar erforderlich, dass der nunmehr in den USA lebende deutsche Staatsangehörige seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen über keinen Wohnsitz in Deutschland verfügt. Dies zeigt eindrücklich, dass sich die Rechtslage je nach Wegzugsstaat ändern kann und dass stets eine individuelle Prüfung erforderlich ist. Darüber hinaus ist zu beachten, dass es – anders als für Zwecke der Einkommensteuer – im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer nur wenige Doppelbesteuerungsabkommen gibt, die einen gewissen Schutz vor Doppelbesteuerung bieten.
Könnten Sie dies mit einem Beispiel veranschaulichen?
ERIK MUSCHEITES: Selbstverständlich. Nehmen wir den Fall, dass ein deutsches Ehepaar mit seinem Kind vor zehn Jahren ins Ausland verzogen ist. Das Vermögen (Immobilie, Bankguthaben etc.) befindet sich ausschließlich im Ausland. Während eines Heimatbesuchs in Deutschland verliebt sich das Kind, heiratet und bleibt in Deutschland. Nach zwei Jahren wird die Ehe geschieden und das Kind kehrt zurück. Verstirbt ein Elternteil anschließend innerhalb von fünf Jahren, unterliegt der gesamte Erwerb grundsätzlich der deutschen Besteuerung, weil das erwerbende Kind nicht länger als fünf Jahre im Ausland lebte, ohne einen Wohnsitz im Inland zu haben. Dies ist besonders gravierend, da der deutschen Besteuerung das gesamte Vermögen unterliegt, obwohl es sich ausschließlich im Ausland befindet.
MARCEL DUPLOIS: Wie Sie sich sicher vorstellen können, droht in solchen Fällen stets eine Doppelbesteuerung, weil der Ansässigkeitsstaat grundsätzlich auch ein Interesse an der Besteuerung des Erwerbs hat, insbesondere hinsichtlich des in seinem Hoheitsgebiet befindlichen Vermögens. Insofern bringt die globale Mobilität stets die Herausforderung mit sich, sich mit ausländischen Rechtsordnungen vertraut zu machen und deren Interaktion mit den deutschen Regelungen im Blick zu behalten.
Sie sprachen eingangs auch von rechtlichen Fragestellungen. Welche Aspekte sind in dieser Hinsicht zu beachten?
ERIK MUSCHEITES: Die Gesellschafter eines Familienunternehmens haben natürlich auch Vorsorge dafür zu tragen, dass das Unternehmen vor Ansprüchen naher Angehöriger geschützt wird. Am prominentesten ist hier natürlich der Schutz des Vermögens vor dem Ehegatten oder vor Pflichtteilsansprüchen. Da der Ehegatte an Wertzuwächsen der Unternehmensbeteiligung ab Eheschließung grundsätzlich hälftig partizipiert, kann ihm im Fall der Scheidung, aber auch im Todesfall, ein erheblicher Zugewinnausgleich zustehen, der grundsätzlich in Geld zu erfüllen ist. Die Gesellschaftsverträge verlangen daher üblicherweise, dass die Ehegatten die Unternehmensbeteiligung per Ehevertrag vom Zugewinnausgleich ausnehmen. Entsprechendes gilt im Übrigen auch für Pflichtteilsansprüche des Ehegatten.
MARCEL DUPLOIS: Ein entsprechender Ehevertrag nützt jedoch nichts, wenn er nach einem Wegzug nicht zur Anwendung gelangt. Die Eheverträge sollten daher jedenfalls eine Regelung über das anzuwendende Recht und den Gerichtsstand vorsehen, insbesondere wenn die Ehegatten unterschiedliche Staatsangehörigkeiten haben. Ein hinreichender Schutz kann damit jedoch nicht in jedem Fall garantiert werden, insbesondere bei einem Wegzug in den angelsächsischen Raum. Englische Gerichte fühlen sich beispielsweise nicht an einen deutschen Ehevertrag gebunden. Sie entscheiden unabhängig von der Wahl des Gerichtsstands, wenn ein Ehegatte seinen Lebensmittelpunkt, sein Domicile, in England hat. Der im Fall der Scheidung zu zahlende Vermögensausgleich ist dann grundsätzlich ins freie Ermessen des Gerichts gestellt. Um auch im internationalen Kontext eine rechtssichere Lösung zu entwickeln, empfehlen wir dringend, einen spezialisierten Berater der jeweiligen Jurisdiktion hinzuziehen.
Wie sieht es mit dem Erbrecht aus?
MARCEL DUPLOIS: Auch diesbezüglich sollten dringend etwaige Auswirkungen eines Wegzugs geprüft werden. Gerade im angelsächsischen Raum unterliegen die im United Kingdom befindlichen Vermögensgegenstände unabhängig von einer testamentarischen Rechtswahl dem dortigen Recht, das ein öffentliches Probate-Verfahren vorsieht. Anders als im deutschen Recht geht das Eigentum an den im Nachlass befindlichen Vermögensgegenständen nicht kraft Gesetz auf den Erben über, sondern muss von einem „Executer“ auf diesen übertragen werden. Um eine praktisch handhabbare Abwicklung des Nachlasses sicherzustellen, kann es sich zum Beispiel anbieten, zwei Testamente zu errichten, eines nach deutschem und eines nach englischem Recht.
ERIK MUSCHEITES: Interessant ist hier überdies eine jüngst ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs, des BGH, die insbesondere in England für große Aufmerksamkeit gesorgt und entsprechenden Beratungsbedarf ausgelöst hat. Der BGH entschied, dass auch bei einer an sich zulässigen Rechtswahl zugunsten eines ausländischen Rechts deutsches Recht Anwendung findet, wenn ansonsten die deutsche öffentliche Ordnung, also der ordre public, verletzt würde. Dies sei der Fall, wenn das ausländische Recht kein nach festen Quoten bestimmtes, bedarfsunabhängiges Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge vorsieht. Eine Umgehung unliebsamer Pflichtteilsberechtigter durch die Wahl einer ausländischen Rechtsordnung ist somit nicht möglich.
Die globale Mobilität erweist sich als komplexe Materie. Was empfehlen Sie den Gesellschaftern von Familienunternehmen?
MARCEL DUPLOIS: Wichtig ist, zu verstehen, dass es keine „One-size-fits-all-Lösung“ gibt. Abhängig von den Wünschen der aktuellen und unter Berücksichtigung der nachfolgenden Generation müssen individuelle Vorschläge unter Würdigung der konkreten Lebensumstände und Planungen erarbeitet werden: Handelt es sich um eine Patchworkfamilie? Was ist die Vorstellung der aktuellen Generation? Möchten sie sich in das Unternehmen einbringen oder nur als Gesellschafter auftreten?
ERIK MUSCHEITES: Wir empfehlen, die Thematik der globalen Mobilität als Herausforderung für die Familie und das Unternehmen zu sehen, und zwar unabhängig von einer konkreten Wegzugsabsicht der aktuellen Gesellschafter. Es gilt, die aktuelle und nachfolgende Generation für die Folgen und Risiken der globalen Mobilität zu sensibilisieren und geeignete Maßnahmen zur Vorbeugung zu ergreifen, beispielsweise die Errichtung einer geschäftsleitenden Holding. Darauf aufbauend kann die langfristige Vermögensnachfolge in den Blick genommen werden, unter Berücksichtigung der individuellen Vorstellungen.
Dieses Interview ist erstmals erschienen in: Financial Planning 01/2023, S. 22-25