Infrastruktur als attraktives Anlageziel
Konnten Versorgungswerke in Zeiten höherer Zinsen schlicht primär in Staats- und Unternehmensanleihen investieren, um die Beitragszahlungen der Mitglieder vermögensmehrend anzulegen, entfallen diese Möglichkeiten im aktuellen Marktumfeld zunehmend. Alternative Investments treten bereits seit einigen Jahren vermehrt an die Stelle klassischer Fremdkapitalinvestitionen, da diese auch weiterhin wahrnehmbare Renditen generieren. Ähnlich wie bei Fremdkapitalinvestitionen kann auch mittels Infrastrukturinvestitionen ein gleichbleibender Cash-Flow generiert werden. Im Unterschied zu diesen sind Investitionen in Infrastruktur jedoch weniger volatil, was die Asset-Klasse aus Investorensicht attraktiv macht. Neben Unternehmensbeteiligungen, bspw. im Rahmen von klassischen Private Equity-Fonds, sind damit Investitionen in Infrastruktur und darauf ausgerichtete Fonds als neue Anlageziele zu identifizieren.
Die Stärkung von Infrastrukturinvestitionen ist dabei auch aus staatlicher Sicht begrüßenswert. So kann der Staatshaushalt entlastet werden, wenn nicht-staatliche Akteure in diesem Feld ebenfalls investieren und hiervon (mittelbar) die Allgemeinheit profitiert. Ferner kann der Transformationsprozess der Wirtschaft hin zu einem nachhaltigen Wirtschaften durch Nachhaltigkeitsvorgaben und -strategien gestärkt werden. Das Fördern von Infrastrukturinvestitionen stellt folglich auch eine effektive Maßnahme im Kampf gegen den Klimawandel dar.
Aufsichtsrechtliche Regulierung von Versorgungswerken
Die versicherungsaufsichtsrechtliche Regulierung von Versorgungswerken spiegelt eine solche veränderte Anlagestrategie der Versorgungswerke (noch) nicht wider. Versorgungswerke unterliegen einer landesrechtlichen Regulierung. Diese ist jedoch im Grundsatz an der des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) und speziell der Anlageverordnung (AnlV) orientiert, wobei einige landesrechtliche Vorschriften starr auf die bundesrechtlichen Vorgaben verweisen (vgl. § 2 Abs. 1 HVAG, § 9 Abs. 1 DDVersoG Bayern), andere dagegen Abweichungen zulassen (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 2 VersWerkVO Saarland, § 5 Abs. 2 Satz 2 SächsVAG). Die somit im Grundsatz häufig auf Versorgungswerke anwendbare Anlageverordnung enthält neben einem Katalog zulässiger Anlageformen auch Vorgaben bezüglich Mischung und Streuung der Anlagen. Die Vorgaben zur Mischung der Anlage des Sicherungsvermögens sollen zu einer ausreichenden Diversifizierung des Portfolios hinsichtlich der Anlagegegenstände beitragen.
Infrastrukturinvestitionen werden im Anlagekatalog der Anlageverordnung nicht eigenständig erfasst. Da diese in der Praxis häufig über Eigen- oder Fremdkapitalbeteiligungen an Gesellschaften strukturiert werden und demnach als Anlagen in Fremd- oder Eigenkapitalinstrumenten zu qualifizieren sind, sind diese in der Risikokapitalanlagenquote zu erfassen. Die Risikokapitalanlagenquote ist auf 35% des Sicherungsvermögens beschränkt, kann jedoch um weitere 5% im Rahmen der Öffnungsquote erweitert werden. Erfolgen direkte Investitionen, ist eine Erfassung im Rahmen der Immobilienquote möglich. Im Ergebnis werden Investitionen in Alternative Assets damit in diesen Quoten einheitlich erfasst und so inhärent quantitativ begrenzt. Wegen der bereits skizzierten Attraktivität alternativer Investments setzt eine solche einheitliche Erfassung die betroffenen Versorgungswerke zunehmend unter Druck.
Nordrhein-Westfalen: Anpassung der Regulierung an veränderte Umstände
Zur Abmilderung dieser Problematik hat das nordrhein-westfälische Finanzministerium nunmehr reagiert und eine zusätzliche Infrastrukturquote von 5% eingeführt. Entsprechende Investments können damit aus der Risikokapitalanlagenquote herausgenommen werden und diese folglich entlasten. Ähnliches gilt u. U. für andere Quoten, wie die Öffnungs-, Immobilien- oder Alternative-Quote.
Die neue Infrastrukturquote kann durch die Versorgungswerke nur nach vorherigem Antrag bei der Aufsichtsbehörde genutzt werden. Voraussetzung einer positiven Bescheidung ist zunächst die Zustimmung des jeweiligen Überwachungsgremiums. Weiterhin müssen Versorgungswerke, die die neue Quote nutzen wollen, die Voraussetzungen des ABV-Risikoleitfadens zur Risikostufe drei und damit im Ergebnis erhöhte Managementanforderungen erfüllen. Weiter muss das Versorgungswerk insbesondere eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickeln und der Aufsichtsbehörde vorlegen. Die Nachhaltigkeitsstrategie soll vor allem sicherstellen, dass die mit der Einführung der Infrastrukturquote bezweckten Ziele auch erreicht werden können. So sollen Gelder der Versorgungswerke besonders in nachhaltige (Infrastruktur-)Investitionen gelenkt werden. Die Aufsichtsbehörde verzichtet zunächst auf eine Definition des Merkmals der Nachhaltigkeit. Jedoch behält sich diese vor, konkretisierende Vorgaben zu erlassen. Weiter bestehen zukünftig gesonderte jährliche Berichtspflichten, welche erstmalig ab 30. Juni 2022 zu erfüllen sind. Die Kehrseite der Nutzung der neuen Infrastrukturquote besteht aus Sicht der Versorgungswerke darin, dass Positionen im freien Vermögen zukünftig nicht mehr zulässig sind oder im Umfang einer noch bestehenden Nutzung zu einer Reduzierung der Infrastrukturquote führen. Dies ist aus Sicht der Aufsichtsbehörde erforderlich, da die andernfalls bestehenden Risiken einer Wahrung der Belange der Versicherten entgegenstünden.
Neben den oben genannten Voraussetzungen enthält die Verlautbarung des nordrhein-westfälischen Finanzministeriums jedoch bewusst keine weiteren materiellen Voraussetzungen für die Einordnung eines Investments als Infrastrukturinvestition. Insoweit kommen nach Auffassung des Ministeriums sämtliche in der AnlV vorgesehenen Anlageklassen im Grundsatz für eine Zuordnung zur Infrastrukturquote in Betracht, die nach gängiger Auffassung als Infrastrukturinvestition einzuordnen sind. Die Versorgungswerke müssen diese Verwaltungsverlautbarung durch eigenständig zu entwickelnde Kriterien präzisieren. Diese Kriterien sind der Aufsicht im Rahmen der Berichtspflicht bekannt zu geben. Die Aufsichtsbehörde hat sich insoweit vorbehalten, als Folge der Auswertung der einzureichenden Berichte konkretisierende Vorgaben zur Definition von Infrastrukturmaßnahmen zu erlassen.
Im Rahmen der Anwendung der Infrastrukturquote sollte es weiter möglich sein, auch Infrastrukturinvestitionen einzelner Fonds, in die das Versorgungswerk investiert hat, der neuen Quote zuzuschreiben. Fraglich ist dabei aber, ob dies lediglich für „quotentransparente“ Fonds (bspw. § 2 Abs. 1 Nr. 16 AnlV) gelten soll oder auch bei intransparenten Fonds (wie § 2 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. b AnlV) in Betracht kommt. Hier ist im Einzelfall eine Abstimmung mit der Aufsicht erforderlich.
Mit der Förderung von Infrastrukturinvestitionen bei Versorgungswerken folgt NRW dem Beispiel der europäischen Regulierung von Versicherungen. Nach dem Solvency II-Regime wird entsprechenden Investitionen bereits seit 2017 ein reduzierter Stressfaktor zugewiesen.
Einführung einer Infrastrukturquote durch weitere Länder geboten
Mit der Schaffung einer eigenständigen Infrastrukturquote bei der Anlagetätigkeit von Versorgungswerken ist NRW Vorreiter. Neben dem Saarland kommen für die Einführung einer Infrastrukturquote insbesondere Niedersachsen, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen in Betracht, da diese Länder in ihren Aufsichtsgesetzen bereits jetzt Abweichungen von den bundesrechtlichen Vorgaben durch die zuständigen Aufsichtsbehörden zulassen. Die Einführung einer vergleichbaren Quote ist in anderen Ländern aktuell (noch) nicht vorgesehen: So stehen einige Bundesländer der Einführung einer vergleichbaren Quote zwar offen gegenüber. Jedoch soll die Einführung einer vergleichbaren Quote nicht proaktiv erfolgen. Vielmehr soll dies erst auf den gegenüber den Aufsichtsbehörden artikulierten Wunsch der Versorgungswerke geschehen. Andere Bundesländer sehen zunächst noch Abstimmungsbedarf auf Länderebene, bevor eine finale Entscheidung getroffen wird. Weitere Länder haben sich gegen die Einführung einer Infrastrukturquote entschieden. Grundlage dieser Auffassung ist teils eine Abstimmung mit den Versorgungswerken, welche aufgrund der flexiblen Handhabung der gesetzlichen Grundlagen durch die Aufsichtsbehörden, für die Einführung einer neuen Quote keinen Bedarf sehen. Eine Erhöhung der Mischungsquoten kann dort bereits jetzt auf Antrag und bei Vorliegen einer ausreichenden Begründung zugelassen werden. Die Problematik der inhärenten Begrenzung der Quoten stellt sich damit nicht mehr, sodass Chancen und Risiken im aktuellen Marktumfeld angemessen abgebildet werden können. Wiederum andere Bundesländer orientieren sich bereits an den Vorgaben aus NRW und übernehmen die dortigen Regelungen, so dass eine Infrastrukturquote auch außerhalb Nordrhein-Westfalens Anwendung findet.
Um den Versorgungswerken eine ausreichende Flexibilität bei der Vermögensanlage zuzugestehen, sollten die Länder aus eigener Initiative eine Infrastrukturquote am Beispiel von NRW einführen. Bei dem im Herbst stattfindenden Treffen des Arbeitskreises der Versicherungsaufsichtsbehörden der Länder sollte daher eine Verständigung über die Einführung einer solchen Quote bereits aus Gleichbehandlungsgründen dringend erfolgen. Auch ist wegen des aktuellen und zukünftig weiter zu erwartenden Marktumfelds eine Anpassung sämtlicher landesrechtlicher Vorschriften angezeigt, um auch in Zukunft eine Vermögensanlage gewährleisten zu können, die sämtliche Interessen der Beteiligten befriedigt. Versorgungswerke sollten zudem ggf. zusätzlich den Kontakt mit den Aufsichtsbehörden suchen und ein entsprechendes Interesse an der Einführung einer Infrastrukturquote anmelden (soweit die zuständige Aufsichtsbehörde die Auslastung der Quoten nicht bereits flexibel handhabt).