
Durch ICOs können sich auch Private mit kleinen Budgets an Anlagen beteiligen, zu denen sie bei klassischen Venture-Capital-Finanzierungen keinen Zugang hätten. Investoren erhalten neu kreierte Coins bzw. Token – meist zahlen sie dafür mit etablierten Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether. Die neu ausgegebenen Coins vermitteln dem Erwerber oft in den Algorithmus des Coins eingebaute Befugnisse.
Je nach Ausgestaltung können diese von Rabatten auf etwaige Produkte der Initiatoren, Partizipation an zukünftigen Gewinnen bis hin zu Mitbestimmungsrechten reichen – aber auch eine Armada an rechtlichen Problemen nach sich ziehen.
Wo Honig ist, da gibt es Fliegen
Bereits Verwender „einfacher“ Kryptowährungen (mit dem wohl bekanntesten Vertreter Bitcoin, einem Token, der über seinen Marktwert hinaus keine weiteren Rechte einräumt) sehen sich zunächst steuerlichen Themen ausgesetzt. Für Privatpersonen gilt: Kryptowährungen werden grundsätzlich als nicht abnutzbare immaterielle Wirtschaftsgüter behandelt. Bei der Veräußerung eines Coins handelt es sich daher grundsätzlich um ein steuerbares privates Veräußerungsgeschäft. Liegt zwischen Erwerb und Veräußerung des jeweiligen Coins mindestens ein Jahr oder liegen Gewinne unterhalb einer Grenze von 600 EUR, ist die Veräußerung steuerfrei.
Gewährt ein Token hingegen zusätzlich einen Anspruch auf „Zinsen“, wie man dies zum Beispiel bei BitCore über wöchentliche Gratisausschüttungen (Airdrops) annehmen könnte, erhöht sich der Zeitraum auf zehn Jahre. Bei diesem Token handelt es sich dann um ein Wirtschaftsgut, aus dessen Nutzung als Quelle für Einkünfte zumindest in einem Kalenderjahr Einkünfte erzielt werden. Anders ist die Lage, wenn eine Person nicht am Handel, sondern am Mining, also der Produktion von Token, beteiligt ist.
Für gewerblich tätige Unternehmen gelten andere Vorschriften. Sie können keine privaten Veräußerungsgeschäfte tätigen. Abhängig von der jeweiligen Gesellschaftsstruktur können auf Gewinne, die mit dem Handel von Kryptowährungen erzielt wurden, Körperschaftsteuer bzw. Einkommensteuer sowie Gewerbesteuer erhoben werden. Bezüglich der Umsatzsteuer hat der Europäische Gerichtshof dagegen im Jahr 2015 entschieden, dass auch der gewerbliche Tausch von Kryptowährungen gegen Fiat-Währungen, wie Euro oder Dollar, grundsätzlich keiner Umsatzsteuer unterliegt.
Der Teufel steckt im Detail
Neben diversen steuerlichen Baustellen im Detail sind der Fantasie problembewusster Juristen auch in anderen Rechtsgebieten keine Grenzen gesetzt. Die Kryptowährung mit der zurzeit zweitgrößten Marktkapitalisierung, Ethereum, gewährt ihren Eigentümern beispielsweise die Möglichkeit, über sogenannte Smart Contracts individuell programmierbare Vertragsmodalitäten einzurichten, die bei Eintritt des definierten Umstands Verfügungen jeder Art auslösen können. Dabei ist eine genaue Prüfung der konkreten Mechanismen essenziell.
So hat die auf der Blockchain von Ethereum basierende Kryptowährung Golem die Funktionalität von Ethereum über Smart Contracts abgewandelt, um die Währung als Zahlungsmittel für die eigentliche Dienstleistung des Systems zu nutzen. Über Golem soll dezentral die Rechenleistung fremder Computer online vermittelt werden.
Daran knüpfen sich aus rechtlicher Sicht Folgefragen: Zwischen wem kommt dabei der Vertrag zustande, wenn ein Nutzer auf die Rechenleistung unbekannter User zugreift? Kann es Schlechtleistungen eines Einzelnen geben, wenn dies durch die Masse für den Nutzer nicht spürbar sein wird? Ist eine Rückabwicklung mit Kryptowährungen überhaupt möglich, wenn viele Blockchains technisch Transaktionsketten nur fortsetzen, aber die Lage nicht in den Zustand ex tunc, also vor Vertragsschluss, zurückversetzen können? Moderne Algorithmen und die globale Vernetzung über das Internet bieten, wie so oft, Möglichkeiten, die sich nur schwer unter Regeln fassen lassen, welche dem über hundertjährigen Bürgerlichen Gesetzbuch entstammen.
Wirklich interessant wird es bei Token, die ihren Eigentümern Ansprüche gegenüber oder sogar Anteile an den Herausgebern dieser Token oder etwaigen Dritten vermitteln (sollen). Auch hier sind die verschiedensten Modelle denkbar. So zielt die Plattform LAToken darauf ab, Token an echte Wertgegenstände, wie Unternehmensanteile, Darlehen, Immobilien oder Kunstwerke, zu knüpfen. Die richtigen Vermögenswerte werden dabei von einer Verwahrstelle gehalten, welche die an den jeweiligen Vermögenswert geknüpften Token über ICOs vergibt.
Die Vorteile sind evident. Es ist weder ein Mindestemissionsvolumen nötig, wie dies bei Börsennotierungen der Fall wäre, noch müssen horrende jährliche Notierungs-, Transaktions- oder Zeichnungsgebühren in einer Höhe gezahlt werden, wie dies an den etablierten Börsen oder klassischen OTC-Märkten üblich wäre. Der größte Vorteil liegt in der Schnelligkeit und der Flexibilität. Bei einem IPO bedarf es üblicherweise einer Vorbereitungszeit von einem halben Jahr, während ein ICO in kürzerer Zeit möglich ist.
Aus großer Macht folgt große Verantwortung
Die Vorteile von ICOs bei der Einnahme von Kapital basieren neben modernen Anwendungen und effizienten Prozessen vor allem auf dem – derzeit noch – unregulierten Markt. Dabei sind jedoch diverse gesetzliche Einschränkungen denkbar. Ethereums Co-Founder Vitalik Buterin, einer der Stars der Szene, kündigte kürzlich ein neues dezentralisiertes Fundraisingmodell namens DAICO an: Dies soll zunächst wie ein ICO ablaufen. Allerdings haben die Inhaber dieser Art von Token die Möglichkeit, darüber abzustimmen, wie viel Geld den Initiatoren zur Verfügung gestellt wird oder ob die Finanzierung doch lieber gestoppt werden soll.
Mit dieser Demokratisierung und Stärkung der Anlegerrechte steigen auch die rechtlichen Anforderungen an die Finanzierung. So könnten bestimmte Eigenschaften der Token, wie die Teilhabe an Gewinnen oder Mitbestimmungsrechte, zur Klassifizierung des Tokens als Wertpapier im Sinne des Wertpapierprospektgesetzes oder Vermögensanlage im Sinne des Vermögensanlagegesetzes führen, was eine Prospektpflicht für das jeweilige ICO nach sich ziehen könnte. Fehlende, ungenaue oder unrichtige Angaben können dabei zu empfindlichen Strafen für die Initiatoren von ICOs führen – ähnlich ist die Situation auf europäischer Ebene.
Fazit
Die Rechtslage kann nur für jeden Token bzw. jeden ICO im Einzelfall beleuchtet werden. In jedem Fall ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Szene vom deutschen oder europäischen Aufsichtsrecht in seine Schranken verwiesen wird. Ein solcher Trend ist in den USA, China und Südkorea zu beobachten. Die zugrunde liegende Technologie ist allerdings nicht mehr aufzuhalten.
Dieser Artikel erschien erstmals in: GoingPublic Februar/März 2018, S.44