
Verdunkeln sich die wirtschaftlichen Aussichten am Horizont, steht damit auch die nächste Welle von Anlegerklagen und Prospekthaftungsansprüchen ins Haus. Initiatoren, Manager und Anlageberater dürfen sich daher über eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH; Beschluss vom 23. Oktober 2018, Az. XI ZB 3/16) freuen. Darin reduzieren die höchsten deutschen Zivilrichter Haftungsrisiken in Bezug auf Fonds, die vor Inkrafttreten des Kapitalanlagegesetzbuches (KAGB) als Sondervermögen aufgelegt wurden (v.a. offene Wertpapier-, Immobilien- und Infrastrukturfonds). Die BGH-Entscheidung hat aber auch das Potential, für unter dem KAGB aufgelegte, offene wie auch geschlossene Fonds eine Zeitenwende bei der Prospekthaftung herbeizuführen, weshalb sich für Initiatoren wie Anlageberater ein genauer Blick lohnt.
Prolog für Prospekthaftungsklagen
Verschlechterte wirtschaftliche Aussichten treffen die Fondsbranche doppelt: Zum einen sinkt die Performance, zum anderen steigen gleichzeitig die Haftungsrisiken. Denn viele Anleger sehen die Prospekthaftung zwischenzeitlich als Handlungsoption, um sich von schlecht laufenden Beteiligungen zu trennen und ohne Verlust die eingesetzte Investitionssumme vollständig zurückzuerhalten. Insbesondere im Segment der Privatinvestoren („Retail-Investoren“) hat sich ein eigenes Geschäftsmodell von Beratern entwickelt, die alle Anleger eines wirtschaftlich in Schieflage geratenen Fonds anschreiben und klagewillige Anleger einsammeln. Klagewellen werden daher häufig durch Verlangen nach Herausgabe von Anlegerlisten eingeleitet (vgl. hierzu BGH, Urteile v. 5. Februar 2013, Az. II ZR 134/11, II ZR 136/11). Nächste Stufe der aufziehenden Klagewelle ist dann die Versendung von Forderungsschreiben sowie Güteanträgen zum Ziel der Verjährungshemmung. Werden auf diese Weise keine bedeutenden Vergleichsschlüsse erzielt, bricht die Klagewelle auf alle (potentiellen) Haftungsadressaten ein.
Adressaten einer Haftung für Prospektfehler
Adressaten einer Haftung für Prospektfehler sind insbesondere: Anlagevermittler und -berater, Initiatoren- und Management- bzw. Kapitalverwaltungsgesellschaften, Konzernmuttergesellschaften und Emissionshäuser sowie an dem betreffenden Fonds beteiligte Gründungs- und Treuhandgesellschaften. Die Furcht von Geschäftsführern vor einer individuellen Inanspruchnahme für Prospektfehler durch Anleger ist hingegen in den meisten Fällen unberechtigt.
Grundlagen der Prospekthaftung
Zwei verschiedene Rechtsbereiche regeln seit 2005 Prospekthaftungsansprüche: Einerseits die Prospekthaftung aufgrund spezialgesetzlicher Regelungen („spezialgesetzliche Prospekthaftung“) und andererseits die Prospekthaftung aufgrund allgemeiner bürgerlich-rechtlicher Vorschriften, hier maßgeblich die sogenannte Prospekthaftung im weiteren Sinne („Prospekthaftung i.w.S.“). Aus Initiatoren- und Anlageberatersicht hat die spezialgesetzliche Prospekthaftung Vorteile, insbesondere kurze Verjährungsfristen mit kenntnisunabhängigem Fristbeginn (allerdings nicht mehr unter dem KAGB), keine Zurechnung von falschen Aussagen des Vertriebs, rein formeller Prospektbegriff und abgeschwächte Fehlerkategorien, ggf. leichterer Nachweis fehlenden Verschuldens soweit für einfache Fahrlässigkeit nicht gehaftet wird. Spiegelbildlich hierzu sind die Vorteile der spezialgesetzlichen Prospekthaftung zugleich die Nachteile der Prospekthaftung i.w.S., bei der regelmäßig für 10 Jahre ab Zeichnung bzw. Beitritt zum Fonds gehaftet wird.
Entscheidung des BGH
Das Rangverhältnis zwischen spezialgesetzlicher Prospekthaftung und Prospekthaftung i.w.S. ist bisher nicht abschließend geklärt. In der Literatur gehen bedeutende Stimmen davon aus, dass neben der spezialgesetzlichen Prospekthaftung auch auf die Prospekthaftung i.w.S. zurückgegriffen werden darf, womit die Vorteile der spezialgesetzlichen Prospekthaftung häufig ins Leere laufen. So tut dies z.B. bisher der 2. Zivilsenat des BGH bei Gründungs- und Treuhandgesellschaftern geschlossener Fonds (vgl. z.B. Urteil v. 9. Juli 2013, Az. II ZR 9/12).
Es besteht aber Hoffnung, dass dies nicht länger in Stein gemeißelt bleibt. In seiner eingangs erwähnten, neuen Entscheidung stellt der 11. Zivilsenat des BGH fest, dass die spezialgesetzliche Prospekthaftung (im konkreten Fall § 127 des Investmentgesetzes in der bis Inkrafttreten des KAGB gültigen Fassung – „InvG a.F.“) in ihrem Anwendungsbereich keinen Rückgriff auf die Prospekthaftung i.w.S. zulässt. Das Urteil betraf den offenen Immobilienfonds „Morgan Stanley P2 Value“.
Durch diese nun erstmals festgestellte Sperrwirkung reduzieren sich die Haftungsrisiken bei Sondervermögens nach dem InvG a.F. ganz erheblich. So ist die Prospekthaftung von Kapitalanlagegesellschaften von vor dem 1. Juli 2011 aufgelegten Sondervermögen durch das BGH-Urteil praktisch direkt verjährt. Anlageberater und -vermittler von unter dem InvG a.F aufgelegten Sondervermögen haften nur noch, wenn sie die Unrichtigkeit von Prospektangaben tatsächlich kannten, schon aber nicht mehr bei fahrlässiger Unkenntnis von der Falschheit.
Das Ende der Prospekthaftung i.w.S. und neues Haftungszeitalter unter dem KAGB
Echte Sprengkraft bekommt das neue BGH-Urteil, wenn man sich daran erinnert, dass das KAGB eine einheitliche spezialgesetzliche Prospekthaftung eingeführt hat. Die §§ 306, 307 Abs. 3 KAGB regeln eine spezialgesetzliche Prospekthaftung für die dort genannten Adressaten in Bezug auf alle unter dem KAGB aufgelegten offenen wie geschlossenen Fonds (der fehlende Verweis auf die Haftungsnormen des KAGB in Bezug auf nach § 2 Abs. 4 KAGB „nur“ registrierte Kapitalverwaltungsgesellschaften ist ein Redaktionsversehen, da ein isolierter Rückgriff auf abweichende spezialgesetzliche Haftungsnormen systemwidrig wäre). Wenn der BGH also einen Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung feststellt, der einen Rückgriff auf die Prospekthaftung i.w.S. verbietet, dann sollte dies Emissionshäuser, Kapitalanlagegesellschaften und Anlagevermittler aufhorchen lassen. Denn es waren insbesondere die in den vergangenen Jahren durch die Rechtsprechung immer weiter getriebenen Haftungsrisiken, die so manche Bank zum Ausstieg aus dem Vertrieb geschlossener Fondsbeteiligungen bewegte und Manager das Segment der Retail-Investoren scheuen ließ.
Das neue Urteil gibt aber noch keine dahingehende Rechtssicherheit, solange der BGH nicht auch zur Rechtslage unter dem KAGB Stellung nimmt. Dies dürfte noch Jahre dauern. Es ist nicht auszuschließen, dass das Pendel dabei auch wieder zurückschwingt – das juristische Handwerkszeug gibt dies her (entweder durch eine restriktive Bestimmung des Personenkreises, vom dem der Erlass des Prospektes ausgeht, oder einen auf § 306 Abs. 5 KAGB gestützten Rückfall in alte Zeiten vor dem KAGB für geschlossene Fonds). Haftungsadressaten überbrücken diese Zeit durch Berücksichtigung von Haftungsrisiken schon bei der Strukturierung – und durch von Fondsexperten erstellte Prospekte, welche die aktuelle Rechtsprechung beachten und von vornherein haftungsrelevante Fehler vermeiden. Die Prozessführungspraxis zeigt, dass vermeintlich günstige Paketlösungen „von der Stage“ am Ende teuer bezahlt werden.
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