Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) 2020 regt weiterhin an, dass der Aufsichtsratsvorsitzende in angemessenem Rahmen bereit sein sollte, mit Investoren über aufsichtsratsspezifische Themen Gespräche zu führen. Die Regelung ist wichtig, aber in ihrer praktischen Anwendung fortwährend nicht einfach: Eine Kommunikation kann im Einzelfall aufgrund von Aktien- oder Kapitalmarktrecht unzulässig sein. Die Einordnung von Themen als aufsichtsratsspezifisch und die erforderliche Abstimmung mit dem Vorstand können sich schwierig gestalten.
Aufsichtsrats- und Beiratsarbeit erhält im Rahmen der Diskussion um eine transparente, effiziente und nachvollziehbare Corporate Governance immer größere Bedeutung. Die Anforderungen an die Mitglieder und ihre Arbeit nehmen stetig zu – nicht nur bedingt durch die größere Fokussierung auf ihre Verantwortung und mögliche Haftung, sondern auch durch die steigende Anzahl regulatorischer Voraussetzungen.
Erweiterung der Regelungen im neuen DCGK
Die Regierungskommission hat in dem 2019 strukturell neu aufgesetzten und überarbeiteten DCGK (seit 20. März 2020 in Kraft) Regelungen aus der früheren Fassung teils als Grundsätze qualifiziert. Diese spiegeln wesentliche Vorgaben wider und sind die Basis für die ebenfalls enthaltenen Empfehlungen und Anregungen. Letztere sind teils inhaltlich unverändert und teils angepasst übernommen.
Wesentliche Grundsätze
Im Hinblick auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats sind außerhalb von Gesetzeswiedergabe als Grundsätze (i) die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen wie auch die Erfüllung der gesetzlichen Geschlechterquote sowie (ii) die für die Wahrnehmung der Aufgaben genügende Zeit gefordert.
Zur Arbeitsweise des Aufsichtsrats werden größere Gesellschaften im Wege eines Grundsatzes insbesondere zur Ausschussarbeit motiviert, da diese die Wirksamkeit der Arbeit des Plenums fördere.
Bedeutsame ergänzte Empfehlungen
Höchstzahl an Mandaten
Der DCGK 2020 empfiehlt zur Vermeidung einer Amtshäufung (sogenanntes Overboarding) für Aufsichtsratsmitglieder nunmehr eine Beschränkung auf fünf Mandate bei konzernexternen börsennotierten Gesellschaften; ein Aufsichtsratsvorsitz zählt doppelt. Vorstandsmitglieder sollen nunmehr keinen Aufsichtsratsvorsitz und nicht mehr als zwei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften wahrnehmen.
Unabhängigkeit von Anteilseignervertretern
Nach dem DCGK 2020 müssen die Anteilseignervertreter vom Vorstand bzw. der Gesellschaft und vom kontrollierenden Aktionär unabhängig sein. Weiterhin soll der Aufsichtsrat eine angemessene Anzahl unabhängiger Anteilseignervertreter haben, wobei aber mehr als deren Hälfte unabhängig vom Vorstand bzw. der Gesellschaft sein soll. Neu eingefügt hat die Regierungskommission einen Katalog von Indikatoren für die fehlende Unabhängigkeit: insbesondere aufgrund eigener früherer Nähe zur Gesellschaft (während Cooling-off-Periode), aktueller, wesentlicher, geschäftlicher Beziehung (z.B. Kunde, Kreditgeber), persönlicher Beziehung zu einem Vorstandsmitglied oder eigener Dauer der Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat.
Selbstbeurteilung
Der Aufsichtsrat soll weiterhin die Wirksamkeit und Effektivität seiner Arbeit prüfen (Selbstbeurteilung als begriffliche Klarstellung). Ergänzt wurde dabei aber ausdrücklich, dass auch die Effizienz der Ausschussarbeit überprüft werden soll.
Zustimmungsvorbehalt bei wesentlicher Related Party Transaction
Nach dem ARUG II (seit 1. Januar 2020 in Kraft) unterliegt der Abschluss von sogenannten Related Party Transactions (RPTs) der Zustimmung des Aufsichtsrats, wenn sie wesentlich sind.
Die RPT-Zustimmung unterliegt der Business Judgement Rule. Die RPT muss demnach zu marktüblichen Bedingungen erfolgen (Drittvergleich) und im Unternehmensinteresse liegen (Interessen der Stakeholder). Der Aufsichtsrat überwacht insoweit, dass sachfremde Interessen und unkontrollierte Vermögensabflüsse zugunsten nahestehender Unternehmen/Personen verhindert werden.
Der relevante Unternehmens-/Personenkreis ergibt sich aus dem Verweis auf IAS 24. Eine RPT ist demnach ein Geschäft zwischen der Gesellschaft und einem Mitglied ihres Leitungs- oder Überwachungsorgans (oder von einem konzerngebundenen Unternehmen) sowie mit zu ihnen in enger familiärer Beziehung stehenden Personen. Bei einem Aktionär, der (un-)mittelbar mehr als 20% der Stimmrechte hält, wird die nahestehende Person widerleglich vermutet. Bei laufenden Beziehungen zu Dritten (z.B. Schwestergesellschaften) oder abgestimmtem Zusammenwirken mehrerer (Acting in Concert) kann auch ein relevantes Näheverhältnis vorliegen.
Wesentlich ist eine RPT, wenn der wirtschaftliche Wert 1,5% der Summe aus dem Anlage- und Umlaufvermögen des letzten Jahres- bzw. Konzernabschlusses übersteigt. Ausgenommen sind Geschäfte im ordentlichen Geschäftsgang und bei denen ein besonderer Minderheitenschutz nicht erforderlich oder anders gewährleistet ist (beispielsweise innerhalb eines Vertragskonzerns).
Das Aufsichtsratsplenum kann sein Zustimmungsrecht auf einen Ausschuss (auch ad hoc) delegieren. Konfliktbefangene Mitglieder dürfen sich weder im Plenum noch im Ausschuss beteiligen. Liegt (nur) die Besorgnis eines Interessenkonflikts vor, kann das Mitglied im Ausschuss mitstimmen, wohingegen es im Plenum einem Stimmverbot unterliegt. Der Gesetzgeber wollte damit Anreiz schaffen, einen Ausschuss einzurichten, der Argumente aller Seiten beleuchtet. Der Ausschuss muss sich dafür aber mehrheitlich aus Mitgliedern zusammensetzen, bei denen ein Interessenkonflikt nicht zu besorgen ist. Eine solche Besorgnis besteht, wenn objektiv nicht auszuschließen ist, dass das Mitglied seine Entscheidung nicht allein am Unternehmensinteresse orientieren könnte, z.B., weil es von der nahestehenden Person vergütet wird (beispielsweise auf Basis eines Beratervertrags).
Freiwillige Implementierungen auch bei anderen Aufsichtsorganen
Die Änderungen durch den DCGK 2020 und das ARUG II richten sich an börsennotierte bzw. kapitalmarktorientierte Gesellschaften. Sie sind daher originär weder für andere verpflichtende noch für fakultative Aufsichtsräte oder Beiräte relevant. Ein fakultativer oder paritätisch mitbestimmter sowie drittelbeteiligter Aufsichtsrat hat aufgrund der gesetzlichen Verweisnormen partiell den aktienrechtlichen Pflichtenkanon zu beachten. Ein Beirat ist hingegen grundsätzlich nur an individuell gesetzte Grenzen, wie Satzungsvorgaben und ggf. eine Geschäftsordnung, gebunden.
Die Praxis zeigt gleichwohl, dass internationale Anleger insbesondere den DCGK als „Goldstandard“ begreifen. Insofern und nicht zuletzt auch haftungsrechtlich bieten der DCGK 2020 und die Neuerungen zu RPTs eine allgemeingültige Orientierung für die Corporate Governance sämtlicher Gesellschaften und deren Aufsichtsorgane.
Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in: Going Public, Special Corporate Finance Recht, März 2020, S. 80-82
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