Am 10. Dezember 2019 hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) veröffentlicht. Dies stellt den ersten Schritt der Umsetzung der ATAD-I-Richtlinie der EU (Anti-Tax Avoidance Directive) im Rahmen des BEPS-Projekts (Base Erosion and Profit Shifting) der OECD in nationales Recht dar. Neben der Umsetzung der Art. 9 und 9b der Richtlinie (Hybride Gestaltungen) sowie einer Reform der Hinzurechnungsbesteuerung sieht der Gesetzesentwurf drastische Verschärfungen der sog. Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) bei EU-/EWR-Sachverhalten vor, obwohl diese von der ATAD-I-Richtlinie nicht betroffen ist. Die Verschärfungen in der Wegzugsbesteuerung sollen nach Durchlaufen des Gesetzgebungsverfahrens rückwirkend zum 1.1.2020 in Kraft gesetzt werden. Allerdings befindet sich der Entwurf noch in der Ressortabstimmung, ein Kabinettsbeschluss steht noch aus.
Allgemeines zur deutschen Wegzugsbesteuerung
§ 6 AStG unterwirft stille Reserven einer Beteiligung von mindestens 1% am Kapital einer Kapitalgesellschaft (vgl. § 17 EStG) bei Wegzug des Gesellschafters ins Ausland als fiktive Veräußerung der deutschen Besteuerung. Das Gesetz sichert Deutschland das Recht, die während der Ansässigkeit des Steuerpflichtigen in Deutschland gebildeten stillen Reserven in privat gehaltenen Kapitalgesellschaftsanteilen im Zeitpunkt des Wegzugs des Steuerpflichtigen ins Ausland zu besteuern. Denn nach den meisten Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) steht das Besteuerungsrecht für Einkünfte aus dem Verkauf von privat gehaltenen Anteilen an einer Kapitalgesellschaft dem Wohnsitzstaat zu (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA), so dass Deutschland das Besteuerungsrecht mit Wegzug grundsätzlich verliert. Die Regelungen des § 6 AStG gehen jedoch über diesen Zweck einer Schlussbesteuerung der in Deutschland gebildeten stillen Reserven hinaus und weisen bereits derzeit eine überschießende Besteuerungstendenz auf.
Persönliche Anwendbarkeit der Wegzugsbesteuerung
Bisherige Rechtslage
Nach bisherigem Recht muss der Steuerpflichtige „insgesamt“, d.h. im Laufe seines gesamten Lebens bis zum Wegzug, mindestens zehn Jahre unbeschränkt in Deutschland steuerpflichtig gewesen sein, um überhaupt unter die Wegzugsbesteuerung zu fallen. Die erstmalige Überschreitung dieser 10-Jahresfrist löst dann jedoch eine „generelle“ Wegzugsteuerpflicht bei jedem künftigen Wegzug aus.
Rechtslage nach Referentenentwurf
Der Referentenentwurf sieht eine Verkürzung des Zeitraumes der vor dem Wegzug erforderlichen unbeschränkten Steuerpflicht von zehn auf sieben Jahre vor. D.h. nach Deutschland zugezogene Steuerpflichtige fallen künftig bereits drei Jahre früher unter die Wegzugsbesteuerung. Positiv ist auf der anderen Seite, dass nicht mehr die Dauer der unbeschränkten Steuerpflicht über die gesamte Lebenszeit einbezogen wird. Abzustellen ist bei jedem Wegzug künftig auf die letzten zwölf (Zeit-)Jahre, von denen der Steuerpflichtige mindestens sieben Jahre in Deutschland ansässig gewesen sein muss. Maßgeblich sind Zeit- und keine Kalenderjahre.
Abschaffung der zeitlich unbegrenzten Stundung bei Wegzug ins EU-/EWR-Ausland
Bisherige Rechtslage
Bei Wegzug in ein anderes Mitgliedsland der EU oder des EWR war bislang zwingend eine zeitlich unbegrenzte, unverzinsliche und unbesicherte Stundung der durch den Wegzug ausgelösten Wegzugssteuer zu gewähren, solange der Steuerpflichtige weiter seine Anteile hält.
Rechtslage nach Referentenentwurf
Der Referentenentwurf sieht künftig keine Dauerstundung der Wegzugssteuer mehr vor. Stattdessen wird künftig die Wegzugssteuer bei Wegzug innerhalb oder außerhalb der EU oder des EWR in sieben gleichhohen Jahresraten zu bezahlen sein. Selbst die Ratenzahlung soll nur auf Antrag gewährt werden; eine Verzinsung der Raten findet allerdings nicht statt.
Vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils in der Rechtssache Wächtler vom 26. Februar 2019 halten wir die Abschaffung der Stundung in EU/EWR-Fällen für europarechtlich nicht haltbar. Auch der Gesetzgeber spricht den Widerspruch in der Gesetzesbegründung ausdrücklich an, beruft sich aber auf andere, ältere EuGH-Urteile („dürfte … dennoch unionsrechtskonform sein“).
Positiv festzuhalten ist die erstmals eingeführte Möglichkeit, auch bei Wegzügen in Nicht-EU-/EWR-Länder voraussetzungslos die Zahlung auf sieben gleiche, unverzinste Jahresraten zu strecken.
Vorübergehende Abwesenheit („Rückkehrerregelung“)
Bisherige Rechtslage
Die Wegzugsbesteuerung entfällt rückwirkend nach bisherigem Recht, wenn der Steuerpflichtige nur vorübergehend (mit gut belegter Rückkehrabsicht bereits bei Wegzug!) abwesend ist und innerhalb von fünf Jahren nach Wegzug erneut unbeschränkt steuerpflichtig in Deutschland wird. Eine Verlängerung dieser Frist auf insgesamt zehn Jahre ist möglich, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass seine Abwesenheit berufliche Gründe hat und seine Rückkehrabsicht unverändert fortbesteht.
Rechtslage nach Referentenentwurf
Die Rückkehrerregelung soll im Grundsatz beibehalten werden, allerdings soll die Frist von fünf auf sieben Jahre verlängert werden. Eine Verlängerung um weitere fünf auf insgesamt zwölf Jahre soll ebenfalls möglich sein, wobei nur der Fortbestand der Rückkehrabsicht vorausgesetzt wird, ein Vorliegen von beruflichen Gründen wird nicht mehr gefordert. Auf Antrag des Rückkehrers entfällt die Erhebung von Jahresraten.
Nach der Gesetzesbegründung soll künftig keine Glaubhaftmachung der Rückkehrabsicht erforderlich sein. Mit Rücksicht auf den insoweit unveränderten Wortlaut des Gesetzes sowie die in sich widersprüchliche Gesetzesbegründung ist allerdings zu befürchten, dass die Finanzverwaltung weiter die Rückkehrabsicht bereits bei Wegzug fordert. Wegzüglern ist daher dringend zu empfehlen, eine solche Absicht auch künftig zu dokumentieren, wenn sie bei späterer Rückkehr von dem Wegfall der Steuer profitieren möchten.
Wird im Rahmen der Rückkehrerregelung zugleich eine Stundung beantragt, sind auch künftig während des gesamten Stundungszeitraums bis zur Rückkehr des Steuerpflichtigen nach Deutschland keine Raten zu zahlen. Diese Kombination ist daher zu empfehlen.
Wegfall der Stundung
Verschärfungen sieht der Gesetzesentwurf im Rahmen derjenigen Tatbestände vor, die zum Wegfall der Stundung der Wegzugssteuer führen. Bereits nach bisherigem Recht konnte die Schenkung der Kapitalgesellschaftsanteile des Steuerpflichtigen an eine nicht in Deutschland ansässige Person zum Widerruf der Steuerstundung führen (§ 6 Abs. 5 S. 4 Nr. 2 AStG). Nach dem aktuellen Gesetzesentwurf soll indes jedwede „Übertragung“, die nicht von Todes wegen erfolgt, schädlich für die Stundung sein, egal ob der Beschenkte in Deutschland oder im Ausland ansässig ist. Es kann aber nicht richtig sein, dass selbst eine Schenkung an eine im Inland ansässige Person zum Widerruf der Stundung führen soll. Weitere geplante Verschärfung ist eine Regelung, nach der künftig Gewinnausschüttungen oder Einlagenrückzahlungen ab einem Volumen von 25% des Werts der Anteile des Steuerpflichtigen die sofortige Fälligkeit der Steuer auslösen sollen. Dies kann zu einem (teilweisen) „Einsperren“ von Vermögen in der Gesellschaft führen, das bei der Wegzugsplanung unbedingt berücksichtigt werden sollte.
Sicherheitsleistung
Bisherige Rechtslage
Bisher sieht das Gesetz vor, dass eine Sicherheit für die gestundete Wegzugssteuer nur bei Wegzug in ein Drittland vom Steuerpflichtigen zu leisten ist, nicht hingegen bei Wegzug in ein EU-/EWR-Land.
Rechtslage nach Referentenentwurf
Der neue Gesetzesentwurf sieht keine Differenzierung zwischen Wegzügen in Drittstaaten und EU-/EWR-Staaten mehr vor – zum Nachteil der Steuerpflichtigen, die innerhalb des EU-/EWR-Raums wegziehen wollen. Künftig ist in der Regel bei allen Wegzügen – auch innerhalb der EU/des EWR – Sicherheit für eine i.d.R. siebenjährige, nach der Rückkehrerregelung längstens zwölfjährige Stundung zu leisten. Hierin wird für viele Steuerpflichtige selbst bei Umzügen innerhalb der EU/des EWR künftig eine unüberwindliche praktische Hürde bei der Beantragung selbst der siebenjährigen Ratenzahlung liegen. Denn nach Ansicht der Finanzverwaltung, jedenfalls mancher Bundesländer, können die Anteile der mit der Wegzugssteuer belegten Kapitalgesellschaft grundsätzlich nicht als Sicherheit für die Wegzugssteuer akzeptiert werden. Wenn der Steuerpflichtige also nicht über werthaltige deutsche Immobilien oder über Bundesschatzbriefe verfügt, könnte die Wegzugssteuer selbst bei EU-Wegzüglern künftig sofort fällig werden.
Es spricht viel dafür, dass die Finanzverwaltung das künftige Ermessen beim Einfordern einer Sicherheitsleistung („in der Regel“) vor dem Hintergrund der Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit so auszuüben haben wird, dass innerhalb der EU/des EWR keine Sicherheitsleistung gefordert werden kann. Denn insoweit gilt die EU-Beitreibungsrichtlinie, sodass kein Risiko für das deutsche Steueraufkommen besteht. Gleichwohl wird dies vermutlich in der Mehrzahl der künftigen Fälle erst im Rechtsbehelfsverfahren durchzusetzen sein.
Fazit
Viele Regelungen des bisherigen Referentenentwurfs, insbesondere die Voraussetzungen der Stundung sowie die Tatbestände zu deren Widerruf, sind übermäßig restriktiv ausgefallen. Die Freiheit des Kapitalverkehrs sowie die Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU und des EWR würden durch die geplanten Neuregelungen deutlich stärker eingeschränkt als dies nach der geltenden Gesetzesfassung der Fall ist. Auch stellt sich die Frage, ob die vorgesehenen Neuregelungen zur Steuerstundung mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit in Einklang zu bringen sind. Es ist zu hoffen, dass der Gesetzgeber den Gesetzesentwurf diesbezüglich noch nachbessert. Da das geplante Gesetz nach dem Gesetzesentwurf rückwirkend zum 1.1.2020 in Kraft treten soll, sollten sich Steuerpflichtige mit konkreten Wegzugsplänen für 2020 oder 2021 bereits heute dringend hierzu beraten lassen.
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